Herkunft und Abstammung der Pfahlbauern und der Europäer

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Inhaltsverzeichnis

Grundsätzliche Vorbemerkungen

Grundsätzlicches zu "Rassen", "Völker", "Kulturen", Ethnien" usw.

  • Im Juli 1950 wird von der UNESCO eine Erklärung über Rassenfragen veröffentlicht, die sich gegen die Anwendung des Begriffs „Rasse“ auf Menschen wendet.
  • NHM 1978: → ANTHROPOLOGIE Entwicklung des Menschen - Rassen des Menschen. Führer durch die Anthropologische Schausammlung.
    • Der Begriff "Rasse" kommt im → heutigen NHM nicht mehr vor, sondern "... zu neuer Standortbestimmung: In Neuer Anthropologie müssen sowohl biologische als auch gesellschaftliche Aspekte verknüpft werden, da das komplexe Konstrukt „Mensch" als biologisches und kulturelles Wesen nicht partikularistisch behandelt werden kann".
  • Die "Völker" der "Völkerwanderungszeit" waren ein buntes Gemisch von sich laufend ändernden Gruppierungen, denen aber "Volk"-Namen gegeben wurden... (Beispiele OFFEN)

Aufarbeitungen durch Vorgeschichts-Prof. Schöbel und glg. Dir. von Unteruhldingen

Prof. Gunter Schöbel 2013

Gunter Schöbel hat sich als Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Tübingen und gleichzeitig als Direktor des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen (als Nachfolger von Hans Reinerth) besonders mit der Archäologie der Pfahlbauten während der NS-Zeit beschäftigt. Wie seiner → Internet-Veröffentlichungsliste zu entnehmen ist, befasst er sich auch intensiv mit der Vermittlung der Pfahlbaukultur und Experimenteller Archäologie.

Früheste Hominiden in Europa: die Neandertaler

Funde in Gudenushöhle bei Burg Hartenstein, NÖ

OFFEN: Wickenburg 2018, Claudia-Irene: → Der Neandert(h)aler im Kontext auf der Suche nach dem Platz des Neandert(h)alers in der Reihe der Homininen aus interdisziplinärer Sichtweise. Diss. 2018, 197 Seiten. (Forschungsgeschichte, Gegenüberstellung mit Homo sapiens und Denisova-Mensch; Lebensweise, Siedlungsstrukturen, Artefakte, Sozialverhalten, Kunst und Umgang mit dem Tod; Verschwinden des Neanderthalers)

Auf der Suche nach dem Platz des Neanderthalers in der Reihe der Homininen wird die Forschungsgeschichte zum Neanderthaler aufgerollt, die Nomenklatur beleuchtet, eine Gegenüberstellung mit Homo sapiens und Denisova-Mensch vorgenommen und die Lebensweise der Neanderthaler untersucht. Anhand von ausgewählten Fundstellen wird eine Darstellung der Siedlungsstrukturen, Artefakte, Sozialverhalten, Kunst und Umgang mit dem Tod gegeben. Vor allem das Zusammentreffen mit Homo sapiens und Devisova-Mensch, das nachweislich zu gemeinsamen Nachkommen geführt hat, wird ausführlich betrachtet. Auch die verschiedenen Theorien zum letztendlichen Verschwinden des Neanderthalers werden unter die Lupe genommen.

S. 141 f.: Keine der 2-4% Neanderthaler-Gene, die sich im Genom des modernen Menschen befinden, stammen vom Y-Chromosom. Wir haben also nur weibliche Gene unserer Neanderthaler-Cousins geerbt. Durchaus erklären lässt sich das Fehlen männlichen Neanderthaler-Erbgutes im modernen Menschen mit der Annahme, dass im männlichen Erbgut Faktoren enthalten waren, die nicht mit der DNA der modernen Frauen kompatibel waren. … sich offenbar keine Söhne unter dem gemeinsamen Nachwuchs befanden.


Die frühesten Hominiden in unserem Gebiet waren über 100.000 Jahre lang die "klassischen Neandertaler", die vor etwa 35-40.000 Jahren ausstarben. Der Name geht auf Joachim Neander zurück, nach dem das Tal der Auffindung der ersten Fossilien benannt ist. Sie waren entfernte Verwandte des homo sapiens und hatten mit diesem vor rd. 700.000 Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Die Neandertaler stellten Werkzeuge aus Holz und Stein her und ernährten sich – je nach klimatischen Gegebenheiten – teils von Jagdbeute, teils von Pflanzen. Sie beherrschten das Feuer, konnten sich → sprachlich verständigen und waren zur Symbolbildung befähigt. Die Neandertaler waren spezialisierte Jäger, die Großwild wie Wisente oder Mammuts immer wieder an denselben Stellen auflauerten und erlegten. In Deutschland fanden sich zusammen mit tausenden Steinwerkzeugen Knochenreste von 86 erjagten Rentieren als beredtes Zeugnis für die ausgezeichneten Jagdfähigkeiten der Neandertaler. Mittelgroße Säugetiere wie Pferd und Ren wurden oft einzeln erlegt, zerlegt und die Teile zu den Wohnplätzen geschafft.

In Österreich deutet die 70.000 Jahre alte Kulturschicht in der Gudenushöhle (Kleines Kremstal, bei Burg Hartenstein in Niederösterreich) auf die Jagd auf Mammuts, Wollnashörnern, Rentieren, Wildpferden und Höhlenbären hin.

In der nebenstehenden Abbildung bezeichnen: Fig. 1-4 Knochennadeln (3+4 mit erhaltenem Öhr), 5 Pfriem, 6-9 Speerspitzen, 10 Pfeife aus Bein, 11 Schulterblatt, 12 Geweihstück, 14 durchsägtes Rentiergeweih, 15+16 Feuersteinbohrer, 17+18 Bergkristall-Messerchen und 19-21 Feuersteinmesser.

Einbauen: Svend Hansen "Zur Geschichtlichkeit des paläolithischen Menschen" in: Erwägen Wissen, Ethik (EWE), 16, 2005 (Kunst der Neandertaler … Lit.-Stelle FUNDE …) https://www.academia.edu/37000753/Abweichende_Anmerkungen_zur_Geschichtlichkeit_des_pal%C3%A4olithischen_Menschen_

Erste homo sapiens (Cro-Magnon-Menschen – Jäger und Sammler)

Neandertaler / Cro-Magnon-Menschen / Neolithiker / Indoeuropäer (Kurgankultur)

Hansen Sven: → Anmerkungen zur "Geschichtlichkeit des paläolithischen Menschen" (Grotte Chauvet, Provence – 37.000 Jahre)

Palaeogenomics of Upper Palaeolithic to Neolithic European hunter-gatherers (Nature 1.3.2023)

Die frühesten anatomisch modernen Menschen (homo sapiens) in unserem Raum waren bis zum Neo-Lithikum (= Jung-Steinzeit) die aus Afrika nach Europa eingewanderten alteuropäischen Jäger und Sammler. Diese werden nach dem Fundplatz → Cro-Magnon-Höhle in Frankreich als "Cro-Magnon"-Menschen bezeichnet; der Begriff ist auch ein Synonym für den eiszeitlichen homo sapiens. "Cro" bedeutet "Mulde, Halbhöhle", "Magnon" war der Name des Besitzers der Höhle.

Die Prozesse, die zur Entstehung der genetischen Landschaft der heutigen menschlichen Populationen in Europa und Asien geführt haben, sind nach wie vor umstritten. Jüngste Studien → Allentoft et al. (Population genomics of Bronze Age Eurasia; Nature, 2015) haben ergeben, dass sich Westeurasier und Ostasiaten außerhalb Afrikas zwischen 45 und 36 Jahrtausenden vor unserer Zeitrechnung auseinanderentwickelt haben und dass Ostasiaten, nicht aber Europäer, von den Resten einer früheren Migration australischer Ureinwohner nach Asien zu einem Zeitpunkt vor 20.000 profitieren konnten. Es gibt Hinweise darauf, dass der westeurasische Zweig eine Meta-Population bildete, die sich von Europa bis nach Zentralasien erstreckte und dass er Gene sowohl zu den heutigen Westeurasiern als auch zu den frühen amerikanischen Ureinwohnern (Indianern) beitrug. Die frühen Europäer erhielten während der Neolithisierung (Übergang vom Jagen und Sammeln zum Ackerbau) um 8.000-5.000 Jahren Genfluss aus dem Nahen Osten und möglicherweise auch aus Nordasien.

Nach jüngsten Berechnungen gab es in der Zeitspanne von etwa 42.000–33.000 Jahren vor heute gleichzeitig maximal 3.300 Menschen in West- und Mitteleuropa. Diese Cro-Magnon-Menschen lebten rund 10.000 Jahre gemeinsam mit den Neandertalern, vermischten sich mit ihnen und trugen damit auch einen geringen Anteil von Neandertaler-Genen in sich, die ihnen z. B. hellere Haut (gut für die Produktion von Vitamin D in höheren Breiten) und lange Haare (gut bei kaltem Klima) bescherten. Wie in genetischen Studien von Qiaomei Fu et al. → The genetic history of Ice Age Europe herausgearbeitet wurde, trugen diese ersten Menschen einen Anteil von rd. 5 % Neandertaler-Genen in sich. Dieser Anteil an Neandertaler-Genen nahm später aufgrund neuer Gen-Einträge (zugewanderte Neolithiker, Jamnaja-Leute) immer mehr ab: vgl. die Darstellung in dem beigefügten → Link aus der Zs. "Nature". Auch wir heutigen Europäer tragen so noch 1 bis 2 Prozent Neandertaler-Gene in uns.

Saal der Stiere in Lascaux (Ausschnitt nach G. Bataille 1955)

Die künstlerische Begabung dieser Menschen ersieht man in den → Höhlenmalereien von → Lascaux, und von → Altamiraund der weltweit ältesten Darstellung des menschlichen Körpers mit der elfenbeinernen → Venus vom Hohlefels (2008 in Baden-Württemberg entdeckt; 40.000-35.000 Jahre alt) und der kalksteinernen → Venus von Willendorf (Niederösterreich; 29.000 Jahre alt). An diesem Fundort wurde aber auch schon früher - vor 43.500 (!) Jahren - gesiedelt: in gleicher Seehöhe und klimatischen Verhältnissen wie den oberösterreichischen Alpenrandseen. Daneben gab es auch Darstellungen von “Löwenmenschen“ – die Darstellung von Mischwesen – die in der Natur nicht vorkommen: ein Mensch mit Löwenkopf: dies gibt einen Einblick in die Gedankenwelt der damaligen Menschen und vielleicht auch in ein Glaubenssystem. Aus dieser Zeit gibt es auch Funde von Musikinstrumenten wie Flöten (aus den Röhrenknochen von Vögeln). Die damaligen Menschen haben also Kunst erschaffen, Schmuck getragen, Geschichten erzählt und musiziert (Nicholas Conrad, Uni Tübingen).

Vor rund 25.000 Jahren gab es am Höhepunkt der Eiszeit einen Bevölkerungs-"Flaschenhals" → Maier, A., Population and settlement dynamics from the Gravettian to the Magdalenian. 2017, p. 87 mit nur mehr ca. 700-1500 (!) Jägern und Sammlern in ganz Europa und unsere alten europäischen Vorfahren standen damit knapp vor ihrem Aussterben. Diese Jäger und Sammler bekamen auch nur etwa alle 3-4 Jahre Nachwuchs (wg. der Hormone Prolactin und Oxytocin: → Rebay-Salisbury, S. 15 f.), sodass gegen Ende des Mesolithikums um ~ 6500 v.Chr. maximal 1 Million Menschen als Jäger und Sammler in Europa lebten (Rebay-Salisbury, S. 16).

Strukturelle Entwicklung der heutigen Bevölkerung Europas

Schematische Darstellung der Bevölkerungsstruktur Europas

Die Einwanderer aus Afrika bildeten einen nordeuropäischen (NE) und einen westasiatischen (WA) Zweig von Jägern und Sammlern.

Aus den nordeurasischen Jägern und Sammlern (NE) entwickelten sich in Westeuropa die westlichen (Western Hunter and Gatherer – WHG) und in Osteuropa die östlichen Jäger und Sammler (Eastern Hunter and Gatherer – EHG).

Aus den westasiatischen Zweig der Jäger und Sammler (WA) entwickelten sich im Kaukasus die dortigen Jäger und Sammler (Caucasian Hunter and Gatherer – CHG) und in Anatolien die ersten Bauern (Anatolian). Diese wanderten vor rd. 8.500 Jahren nach Europa ein und vermischten sich teilweise mit den WHG und bildeten so die Neolithiker (Neo), die sich mit der „neolithischen Revolution“ und dem mitgebrachten Agrarpaket (Getreide und Vieh: Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine) über ganz Europa verbreiteten.

Durch die Vermischung von EHG und CHG entstand die Gruppe der Viehzüchter der nordpontischen und kaspischen Steppe – die Jamnaja –, die vor etwa 4.800 Jahren nach Westeuropa einwanderten und sich ausgesprochen rasch mit den Neolithikern vermischten.

Diese beiden Gruppen machen gemeinsam den Großteil unseres Genoms aus.

Die Abbildung zeigt den zeitlichen Verlauf der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur Europas, wobei die Zeitpunkte der Bevölkerungsspaltung und der Vermischung in Generationen angegeben sind. Die farbigen Linien stellen die vier in der Simulation angegebenen Populationen dar, die sich über die Zeit erstrecken. Beprobte Populationen und Zeitpunkte sind mit einem Stern gekennzeichnet, und die Anzahl der beprobten Chromosomen ist in der Legende angegeben.

Kurzes Stillen und die gravierenden Folgen – bis heute

Die Wirkung des kurzen Stillens auf die Geburtenhäufigkeit

Rebay-Salisbury 2017, Katharina: → Breast is best – and are there alternatives? Feeding babies and young children in prehistoric Europe. Mitt. Anthrop. Ges. 117, Wien 2017:13–30.

Zitat S. 15: "Das Stillen ist für die Mutter stoffwechselmäßig sehr aufwendig; es erfordert bis zu 500 zusätzliche kcal pro Tag. Die negative Energiebilanz beim uneingeschränkten Stillen könnte ein Grund dafür sein, warum das Stillen eine Empfängnis verhindert; eine andere Erklärung ist, dass das ständige Saugen des Säuglings an der Brust den Spiegel des Hormons Prolaktin bei der Mutter hoch hält, was den Eisprung unterdrückt. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Dauer des Stillens und dem Abstand zwischen den Kindern, auch wenn der genaue zugrunde liegende Mechanismus noch unzureichend untersucht ist."

Zitat S. 16: "Bei menschlichen Jägern und Sammlern, z. B. den Gainj im Hochland von Papua-Neuguinea, liegt der durchschnittliche Abstand zwischen den Geburten bei 43 Monaten. Renee Pennington errechnete anhand des Durchschnitts von vier nicht sesshaften Populationen 39 Monate für Jäger und Sammler.

Betrachtet man die metabolischen Kosten der Schwangerschaft, des Stillens und des Tragens von Babys aus evolutionärer Sicht wird deutlich, dass die Kosten für die Aufziehen von Babys bei verschiedenen Arten unterschiedlich verteilt sind. Galdikas fand einen Geburtsabstand von 45 Monaten bei Gorillas, 66 Monaten bei Schimpansen und 92 Monaten bei Orang-Utans. Jäger und Sammler, z.B. die Gainj des Hochlandes Papua-Neuguineas, haben 43 Monate Abstand.

Dreieinhalb bis vier Jahre zwischen den Geburten sind für prähistorische Menschen vor der Einführung von Ackerbau, Viehzucht und einer sesshaften Lebensweise normal. Alexandra Greenwald und Kollegen fanden heraus, dass das Durchschnittsalter bei der vollständigen Entwöhnung etwa 28 Monate oder 2,3 Jahre beträgt, mit Ausnahme von drei Ausreißern zwischen 3,5 und 4 Jahren, und zwar bei Jägern und Sammlern des späten Holozäns in Kalifornien. Ebenso scheint der Entwöhnungsprozess bei einer karibischen Jäger- und Sammlerpopulation aus Kuba im Alter von drei Jahren abgeschlossen gewesen zu sein. Die Ergebnisse einer Gemeinschaft aus dem mittleren Holozän (4.300–3.000 BP) in Kalifornien liegen im Durchschnitt eher im Bereich von 3–4 Jahren und deuten darauf hin, dass männliche Kinder länger gestillt wurden als weibliche. Ähnlich variable Ergebnisse wurden für Jäger-Fischer-Sammler-Populationen in Sibirien berichtet. Hier wies eine frühe prä-landwirtschaftliche neolithische Gruppe im Vergleich zu einer späteren neolithischen Bevölkerung relativ lange Abstillzeiten und ein späteres Abstillalter auf.

In nomadischen Jäger- und Sammlergesellschaften werden Kinder unter vier Jahren in der Regel von ihren Müttern auf Sammeltouren oder beim Umzug der Gruppe getragen, was einen weiteren wichtigen Faktor für den Energieaufwand der Mütter darstellt. Bei den !Kung in der Kalahari-Wüste werden Säuglinge in den ersten ein bis zwei Lebensjahren in einem kleinen Beutel auf dem Rücken der Mutter überallhin getragen. Zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr werden die Kinder von ihren Müttern auf den Schultern getragen. Ab dem dritten Lebensjahr verbringen die Kinder zunehmend Zeit getrennt von ihren Müttern im Lager und werden von anderen Personen betreut, während die Mutter unterwegs ist. Bis zum sechsten oder siebten Lebensjahr werden die Kinder teilweise von ihren Vätern getragen, teilweise gehen sie einen Teil des Weges zu Fuß. Wenn die Kinder in dichter Folge geboren werden, d. h. im Abstand von zwei Jahren, trägt die Mutter schließlich beide Kinder, bis das ältere Kind reif genug ist, um allein zu gehen. Es ist bekannt, dass ein enger Abstand zwischen den Geburten der Mütter „ständige Rückenschmerzen“ verursacht und die Kindersterblichkeit erhöht.

Nach der Neolithisierung, d. h. der Einführung einer sesshaften Lebensweise mit einer gleichmäßigeren Versorgung mit kalorienreichen Nahrungsmitteln, stieg die Geburtenrate an, und die demografische Struktur veränderte sich. Bessere Ernährung, einschließlich für die Entwöhnung geeigneter Lebensmittel, eine kürzere Stilldauer und eine geringere Mobilität der Frauen führten zu einer größeren Anzahl von Schwangerschaften und Geburten sowie zu kürzeren Abständen zwischen den Geburten. Dieser „Babyboom“, der neolithische demografische Übergang, führte zu einem erheblichen Wachstum der Bevölkerung. Während der Vorgeschichte nahm die Bevölkerung stetig zu, mit einigen Schwankungen aufgrund von Faktoren wie Klimawandel und Krankheiten, vielleicht bis die Landschaften ihre vor-industrielle Tragfähigkeit erreicht hatten. Johannes Müller hat kürzlich argumentiert, dass die Bevölkerung in Europa zwischen 6500 und 1500 v. Chr. von etwa 1 auf 13 Millionen Menschen anstieg. Die Untersuchung des Stillens und seiner Dauer ist daher wichtig, um die Bevölkerungsdynamik der Vergangenheit zu rekonstruieren.

Eine ethnografische Untersuchung von 113 nicht-industriellen Bevölkerungen aus 97 Kulturen ergab, dass die Beikost mit anderen Flüssigkeiten als Muttermilch und fester Nahrung vor dem sechsten Lebensmonat in den meisten Gesellschaften üblich war, und dass Kinder in der Regel bis ca. 30 Monate gestillt wurden, in mehr als 60 % aller untersuchten Kulturen sogar länger als 24 Monate."

Die "Neolithische Revolution" wurde zur "Neolithischen Bevölkerungs-Explosion"

Die Entwicklung der neolithischen Subsistenzwirtschaft (Äcker und Weiden) und die damit verbundene Sesshaftigkeit führten zu einem hohen Bevölkerungswachstum.

Geht man davon aus, dass eine vor-neolithische Frau in einem Alter zwischen 15 und 30 Jahren Kinder gebären konnte und die Gesellschaften vor der neolithischen Revolution mit dem Abstand von 3 ½–4 Jahren zwischen den Geburten etwa 4 Kinder pro Paar hatten – von denen etwa die Hälfte überlebte – dann hatten sie eine recht stabile Reproduktion.

Demgegenüber hatten neolithische Frauen zwischen den Geburten einen Abstand von etwa 2 Jahren und dem entsprechend 6 – 7 Kinder. Wiederum unter der Annahme, dass etwa die Hälfte überlebte, hätte das eine Verdopplung der Gemeinschaft in 2–3 Generationen bedeutet.

Einer solchen Verdopplung standen auch bei Ausweitung der Besiedlungsräume die dauerhaft doch nur begrenzten Ressourcen gegenüber – und vor allem die mit zunehmender Bevölkerungsdichte häufiger auftretenden epidemischen Krankheiten, die vor allem von den gehaltenen Tieren auf den Menschen übergesprungen waren (und die wir in endemischer Form bis heute haben).


Anm. 1: Die so rasante Besiedlung des gesamten Mittelmeeres mit dessen langer Küste ist ohne die „Neolithische Bevölkerungs-Explosion“ mit ansonsten mangelnden Siedlern gar nicht vorstellbar – ebenso wie jene der donauländischen Besiedlung und jener von Mitteleuropa.

Anm. 2: Bei dem Vorwärtsrücken der Neolithiker entlang der Donau nach Norden wurden die Mesolithiker und deren Gen-Pool immer mehr zurückgedrängt, einfach weil die neolithischen Frauen mehr Kinder bekamen.

Folge der "Neolithischen Bevölkerungs-Explosion": die Besiedlung Europas

Dieses hohe Bevölkerungswachstum brachte zunehmenden Gemeinschafts-Stress hervor, indem ihre Subsistenzbasis – die günstigen Agrarflächen innerhalb weniger Kilometer um die Siedlung – zunehmend nicht mehr ausreichte. Einen zusätzlichen Stress in den immer größer werdenden Siedlungen bewirkten bei Fehlen einer klaren sozialen Hierarchie und Führung – außer wahrscheinlichen Dorfversammlungen – die zunehmenden sozialen Interaktionen.

Inwieweit die damaligen Gemeinschaften die Ursache des Problems erkannten und dem entgegen steuern wollten, ist unbekannt.

Eine sinnvolle Gemeinschafts-Reaktion hätte darin bestanden, dass die zur Siedlung nahe gelegenen Flächen je Familie einschließlich ihrer Nachkommen konstant gehalten wurden und für zusätzlichen Bedarf wachsender Familien immer weiter entfernte Flächen zugewiesen wurden.

Das hat über kurz oder lang zu Abspaltungen von der bestehenden Gemeinschaft geführt, wenn sich die Menschen mit den immer weiter entfernten Agrarflächen eben gleich neue Siedlungs- und Agrarflächen gesucht haben.

Alternativ hätten z. B. Heiratsverbote gegen das massive Bevölkerungswachstum gewirkt: je „Ehepaar“ der Gemeinschaft dürfen nur zwei Kinder wieder eine Verbindung eingehen. Das hätte ein bedeutsames Motiv für Migration und Neugründungen bewirkt.

Jedenfalls machten sich die Neolithiker infolge des großen Bevölkerungswachstums auf ihre expansiven Reisen

  • einerseits nach Südost- und Mitteleuropa über die Donau-Route,
  • andererseits Richtung Südwest-Balkan, Dalmatien, Italien und das westliche Mittelmeer.

Die Geburtenrate hat mit zunehmender Migrationsdauer offenbar zugenommen, wie man an den zunehmenden Geschwindigkeiten ihrer Ausbreitung und Besiedlungen ablesen kann.

Für die Besiedlung der ersten 2.000 km in Richtung westliches Mittelmeer wurden 1.200 Jahre benötigt, die nächsten 1.000 km Meeresküste wurden in knapp 300 Jahren besiedelt. Ganz analoge Gegebenheiten sind auch auf der Nordroute donauaufwärts und in Richtung Mitteleuropa festzustellen.


Lit.: z.B. Leppard 2014, Thomas: → Mobility and migration in the Early Neolithic of the Mediterranean: questions of motivation and mechanism. World Arch. 46, 2014:484–501.



Anatolische Neolithiker: die Vorfahren der Pfahlbauern und unsere ersten Vorfahren

Die genetische Abstammung der ersten Bauern der Welt

Aus genomischer Modellierung abgeleitetes demografisches Szenario

Eine aktuelle Studie vom April 2022 in der Zs. Cell von Marchi, N. et al.: → "The genomic origins of the world’s first farmers" zeigt erstmals die genetischen Ursprünge der ersten Bauern der Welt über 26.000 Jahre von der letzten Eiszeit bis zu deren Besiedlung Europas auf.

In dieser Arbeit wird die historische demografische Entwicklung durch die Zusammenfügung der besten modellhaften Entsprechungen ermittelt. Die Zeiten der Ereignisse werden auf der y-Achse und das Alter der Populationen wird unter den Symbolen in Jahrtausenden vor heute angegeben. Unter jedem Populationsnamen sind die beprobten Genome, die zugehörigen Inzuchtkoeffizienten (Fis) und die effektiven Populationsgrößen (Ne) angegeben. Unausgefüllte Symbole bezeichnen Vorfahrenpopulationen, die nach oder vor Schlüsselereignissen (Auftrennungs-Zeiten oder Vermischungsereignisse) simuliert wurden. Die (x)-Symbole zeigen Engpässe an, die auf den Vorfahrenzweigen aufgetreten sind, modelliert als Engpass vor einer Generation durch eine Population, deren effektive Größe in Kursivschrift angegeben wird. Die wiederholten Vermischungsanteile aus der westeuropäischen Jäger-Sammler-Population zu den frühen Bauern größer als 10% sind als blaue Pfeile von links nach rechts dargestellt.

Vor 26.000 Jahren kommt es zur Aufspaltung in westliche und östliche Jäger/Sammler, die sich getrennt entwickeln. Dabei kommt es durch die letzte Eiszeit beinahe zum Aussterben der westlichen Gruppe, die nur in südlichen Rückzugsgebieten überleben kann. Schätzungen gehen von Engpass-Populationen mit nur 700-1.500 Individuen in Europa; Modellrechnungen sogar nur von 383 Individuen aus. Nach der Eiszeit kommt es vor 14.200 Jahren wieder zu einer geringen Zumischung der westlichen Jäger-Sammler zu den westanatolischen Vorfahren. Weitere geringe Zumischungen der westlichen Jäger-Sammler zu den westanatolischen Bauern erfolgen um 12.900, 9,300 und 8.300 vor heute. Vor 8.600 Jahren sind die westanatolischen frühen Bauern voll entwickelt und tauchen 8.100 in Nordwest-Griechenland, um 7.500 in Serbien, um 7.100 in Österreich (Kleinhadersdorf; Schletz) und um 7.000 in Deutschland auf.

Zeitliche und räumliche Verbreitung der Neolithiker: Anatolien Griechenland Serbien Österreich BRD Schweiz

Excoffier, Laurent (Univ. Bern) et 30 al.: → The genomic origins of the world’s first farmers. Cell 2022. In der nebenstehenden Grafik sind die einzelnen Proben für die genomischen Untersuchungen und ihre zeitliche Einordnung dargestellt. Die Jäger/Sammler beginnen mit 13.600 Jahren vor heute (BP) und reichen bis 8.000 BP. Darauf folgt die ägäische Bevölkerung aus Anatolien, Nordgriechenland und dem Iran. In der Folge werden die Frühen Bauern aufgereiht nach ihrem Vordringen von Serbien (8.000 BP), Ungarn, Österreich 7,500 BP), Deutschland (7.000 BP) bis England (5.500 BC)

Obwohl die anfängliche Entwicklung der Neolithiker im Fruchtbaren Halbmond durch kulturelle Vermischung von genetisch gut differenzierten Gruppen erfolgt sein muss, erfolgte die Ausbreitung nach Nordwestanatolien, ins Ägäische Becken und später auch in den Donaukorridor in erster Linie durch demografische Verbreitung. Die anfängliche Ausbreitung von Populationen jenseits des Fruchtbaren Halbmonds verlief nicht linear und war mit vielfältigen genetischen Einflüssen aus der Levante verbunden und es gab auch Einflüsse von kaukasischen Jägern und Sammlern. Populationen aus Nordwestanatolien und Nordgriechenland scheinen sich etwa zur gleichen Zeit (~ 9.300 - 9.100 BP) voneinander abgegrenzt zu haben, möglicherweise während der Besiedlung des weiteren Ägäisraums durch diese frühen Bauern. Sobald die neolithischen Lebensformen von der Ägäis ausgehend Europa erreichten, gab es auch eine Beimischung westeuropäischer Jäger und Sammler. Die Ausbreitung der Populationen nach Mitteleuropa erfolgte aber linearer und ist im Wesentlichen eine Migration durch eine Abfolge von geographischen Haltepunken entlang der Donau. Wie der nebenstehenden Grafik entnommen werden kann, machen sich die frühen Bauern vor rd. 8.500 Jahren auf den Weg – vorerst von der Ägäis und Griechenland und kommen vor 8.000 Jahren in Serbien an und breiten sich dort aus. Vor 7.500 Jahren erreichen sie Österreich (Asparn-Schletz) und Ungarn (Polgar-Ferenci-hat). Vor ca. 7.300 Jahren sind sie bereits in Deutschland (Dillingen, Essenbach, Herxheim, Stuttgart-Mühlhausen) nachzuweisen. In England tauchen sie erst 5.500 Jahre vor heute auf.

Raum-zeitliche Interpretation der Bevölkerungsdifferenzierung in SW-Asien und Europa aufgrund der geografischen Verteilung der Genome

In der nebenstehenden Abbildung ist eine raum-zeitliche Interpretation der Bevölkerungsdifferenzierung in Europa und Südwestasien auf der Grundlage der modellierten Szenarien und der geografischen Verteilung der Genome dargestellt. Die Jäger-Sammler sind vor der Eiszeit gleichmäßig auf Europa und Südwestasien verteilt (Bild A). Durch das vordringende Eis und die niedrigeren Temperaturen kommt es beim Letzten Glazialen Maximums (LGM) im Zeitraum 25.000 - 20.000 Jahren zu einer Auftrennung in einen westlichen und östlichen Teil der Jäger-Sammler-Population (Bilder B, C); in Westeuropa sogar zur Auftrennung in einen westlichen und östlichen Teil. Man sieht auch, dass kältere Perioden (LGM, Ältere Dryas) mit Schrumpfungen verbunden sind, während wärmere Perioden (Bølling- und Allerød-Interstadial, Holozän) mit Ausdehnungen des Verbreitungsgebiets einhergehen. Vor 15.000 Jahren (Bild D) hatten sich die westlichen und östlichen Gruppen weiter aufgespalten, aber auch in Südwest-Asien gab es eine Auftrennung in einen levantinischen und iranischen Teil. Die Zwischen-Warmzeit des Bølling (Bild E) brachte eine Vermischung I von westlichen und östlichen Jägern/Sammler in Südost-Anatolien. In in der folgenden kälteren Zeit der Älteren Dryas kam es erneut zu einer Separierung der Gruppen (Bild F; um 13.800 vor heute), die den Beginn der Neolithisierung einleitete. In der darauf folgenden wärmeren Zeit des Allerød-Interstadials (Bild G; um 12.900) kam es zu einer erneuten Zumischung von westlichen Jägern/Sammlern und zum Beginn der Ausweitung des neolithischen Pakets in Anatolien. Im Holozän (Bild H; 9.000) erfolgte dann die Neolithische Expansion, die die dünne Jäger-Sammler-Population Europas in kurzer Zeit überflügelte und ersetzte.


Die zeitliche Ausbreitung der anatolischen Neolithiker nach Europa

Wanderung: Anatolien, Marmarameer, Griechenland, Europa

OFFEN: Özdoğan 2011, Mehmet: → Archaeological Evidence on the Westward Expansion of Farming Communities from Eastern Anatolia to the Aegean and the Balkans. Current Anthropology Vol. 52, Nr. 54, 2011.

Wie der nebenstehenden Grafik von → Mariana Diniz (2021) zu entnehmen ist, stammen die ersten Neolithiker aus Anatolien, das Gebiet rund um das Marmara-Meer war bereits um 9500 Jahren vor heute neolithisch besiedelt. Die farbigen Flächen stehen für die verschiedenen neolithischen Kulturen, und die schwarzen durchgezogenen Linien stellen die Gebiete dar, in denen nach Jean Guilaine (2001) eine kulturelle und chronologische Neuzusammensetzung stattgefunden hat.

Im Neolithik-Workshop der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: "The Central/Western Anatolian Farming Frontier", Wien April 2016, gingen Jean Guilaine mit “The Neolithisation of Europe: An Arrhythmic Process.” und Mehmet Özdogan mit → "An Alternative Look at the Neolithisation Process of Western Anatolia – from an old Periphery to a New Core." detailliert auf die zeitliche Ausbreitung des Neolithikums ein.

Özdogan terminisiert in seinen → beiden Grafiken auf S. 147 in der
Abb. 1: Schematic map of the formative zones of primary neolithisation (12.400 - 9.300 vor heute). Mit der ersten neolithischen Ausbreitungswelle wird das Marmarameer bereits vor mehr als 9.500 Jahren rundherum besiedelt.
Abb. 2: Schematic map of initial expansion of Neolithic cultures (9.300 - 8.600 vor heute): Nach dem Marmarameer und der Schwarzmeer-Sintflut sind nun ist auch die Ägäis, Nordgriechenland und die Westküste des Schwarzen Meeres neolithisch besiedelt.


Anm.: Alle Frühen Europäischen Bauern haben in genetischer Sicht einen gemeinsamen Ursprung im neolithischen Westanatolien, vertreten durch nur 5 Individuen aus Menteşe Höyük und 21 Individuen aus → Barcın Höyük im Nordwesten - alle unmittelbar neben dem Marmara-Meer (Haak et al. 2015; Anthony & Brown 2017).


Unsere heutige genetische Verwandtschaft mit Anatolien

Genetischer matrilinearer Abstand zw. modernen Westeuropäern und den anatolischen Neolithikern

In der nebenstehenden Abbildung aus → Genomic Evidence Establishes Anatolia as the Source of the European Neolithic Gene Pool (Current Biology 26, 2016) wird der geringe (grün) bzw. der größere Abstand (orange) der DNA heutiger Westeuropäer von den historischen anatolischen Neolithikern dargestellt. (vgl. auch: → Haak, W. et al.: Ancient DNA from European Early Neolithic Farmers Reveals Their Near Eastern Affinities, PLOS Biology (2010).

Eine von diesen neolithischen Gruppen, unsere sogenannten "Pfahlbauern", tauchten um 4.300 v. Chr. zuerst an den Schweizer Seen (Egolzwil, Zürich-Kleiner Hafner) und – wohl als 400 km entfernter "spin-off" – 500 Jahre später auch am Attersee / Mondsee als deren östlichstem Vorkommen nördlich der Alpen auf. Diese Pfahlbauern besaßen nicht nur das Agrarpaket, sondern verfügten auch über die beeindruckende eigenständig erworbene Innovation der hydrologischen Bewirtschaftung von Alpenrandseen, die auch eine entsprechende gesellschaftlich-kulturelle Organisation der Großgruppe je Pfahlbausee voraussetzte. Siehe dazu auch das eigene Kapitel → Die Kanal-Pfahlbauern-Kultur.

[Reizvoll wäre die konjunktivische Vorstellung, dass sich die vom Schwarzen Meer vertriebenen Neolithiker die ehemalige Flutkatastrophe – über 2000 Jahre – gemerkt hätten (vergleichbar zu Noah´s Erinnerung an die Sintflut und die Arche als Nothilfe), sich über Generationen mit dem Problem "steigenden Wassers" auseinandergesetzt hätten, und sich am Kleinen Hafner gegen erneut steigendes Wasser aufgrund einer Sihl-Schüttung in die Limmat mit Abgraben zur Wehr gesetzt hätten.]

Die genomische Evidenz - unsere Gene

Frühe molekulargenetische Arbeiten

Haak, Wolfgang: → Populationsgenetik der ersten Bauern Mitteleuropas: Eine aDNA-Studie an neolithischem Skelettmaterial. Dissertation 2006, 309 Seiten.

Der genomische Stand der heutigen Westeuropäer

Genetische Zusammensetzungen in europäischen Län- dern: Frühe Neolithiker (orange), Westliche Jäger/Sammler (blau), Jamnaja (Kurganvolk; grün) - [CC BY-NC-ND 4.0]

Nachfolgend werden die Studien aufgeführt, die ab 2015 unsere genetische Abstammung von Jägern/Sammlern, frühen anatolischen Bauern und den indoeuropäischen Kurganern (Jamnaja-Leuten) aus der pontisch-kaspischen Steppe zeigen:

Wie dem unteren Teil der Abbildung zu entnehmen ist, sind aufsteigend von älteren zu jüngeren Individuen die frühen anatolischen, neolithischen Bauern nur wenig mit den indigenen Jägern und Sammlern vermischt. "Ötzi" hat von diesen nur ca. 20 % in seinen Genen, die restlichen 80 % von den frühen Neolithikern. Mit dem Auftreten der Schnurkeramiker ("Corded Ware"), die eine direkte Abstammung von den Jamnaja-Leuten haben, erfolgt der Vormarsch der indoeuropäischen Kurganer und damit von deren Genen rasch und intensiv nach ganz Europa.

Im oberen Teil der Abbildung sind die heutigen Genom-Verteilungen in einzelnen europäischen Ländern - aufsteigend geordnet - nach dem Anteil der Jamnaja-Gene (aus der pontisch-kaspischen Steppe) dargestellt, der doch deutlich zwischen 20 % und 50 % variiert.

"Ursprüngliche" Neolithiker findet man bis heute recht unvermischt in Sardinien, aber auch in Spanien, Südfrankreich und der Toskana. Besonders hohe Jamnaja-Anteile findet man vor allem in den nördlichen Ländern bis Island und Schottland. Die höchsten noch vorhandenen Gen-Anteile von Jägern/Sammlern findet man in Estland und Lithauen: gleichzeitig gibt es in diesen Ländern nur geringe Anteile von den neolithischen, anatolischen Bauern.

Links zu den besonders relevanten Genom-Studien

Nachfolgend werden weitere besonders relevante Genom-Studien gebracht:


Die genetische Herkunft Schweizer Menschen

Genetische Übergänge in der Schweiz: Westliche Jäger/Sammler (blau), Neolithiker (orange), Jamnaja Samara = indoeuropäisches Kurganvolk (grün)

Zur genetischen Herkunft schweizerischer Menschen von Jägern/Sammlern, anatolischen Neolithikern und indoeuropäischen Kurgan-Leuten – in Summe unseren Vorfahren bis heute:

  • Hafner, Albert, Haak, Wolfgang, Furtwängler, Anna et al.: → Ancient genomes reveal social and genetic structure of Late Neolithic Switzerland., Nature Communications, Vol. 11, 20.4.2020.
    In der Abbildung wird die genetische Herkunft historischer Menschen in der Schweiz (Individuenanzahl in Klammern) nach Fundstellen in chronologischer Reihenfolge (von unten nach oben jünger werdend; ganz oben: heute) mit den Bevölkerungsquellen dargestellt: WHG = Western Hunter and Gatherer = Westliche Jäger und Sammler (blau), anatolische Neolithiker (orange) und indoeuropäische pontische Steppenhirten (Samara Jamnaja – Kurganer: grün). Die letzten "Alteuropäer" aus Jägern/Sammlern samt Neolithikern sind die drei Genome aus dem ostschweizerischen Wartau um 3000-2500 v.Chr. Das sind die letzten "klassischen Pfahlbauern" vor der Ankunft der (indoeuropäischen) Schnurkeramiker. Diese ersten bedeutsamen Jamnaja-(Kurgan-)Zumischungen erscheinen mit dem Endneolithikum (~ 2700 v.Chr.) mit den beiden Genomen von Bad-Zurzach etwa aus 2300 v.Chr.
  • Die moderne Schweiz (Balken ganz oben) hat etwa 5 % der Gene von den ursprünglichen Jägern/Sammlern (blau), knapp ⅔ der Gene von den frühen, neolithischen Bauern (gelb) und über ⅓ indoeuropäische Steppen-Gene aus dem pontisch-kaspischen Raum (grün).


Zur Vorgeschichte des Raums

Die geologische Entstehung von Bosporus und Dardanellen

Die Entstehung des Schwarzen Meeres begann mit dem Ozean Thetis (nach der Meeresgöttin Thetis benannt), die sich vor etwa 300 Millionen Jahren an der Stelle des heutigen Mittelmeers, Marmarameers, Schwarzen Meeres, Asowschen Meeres, Kaspischen Meeres und des Aralsees befand. Vor 8-10 Millionen Jahren bildete sich durch Plattentektonik ein riesigwes Süßwassermeer, das aus dem heutigen Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer bestand. Da das Mittelmeer gegenüber der Verdunstung zu geringe Zuflüsse hat, gab es dorthin einen Zustrom von Wasser aus diesem ehemaligen großen Meer – eben über Bosporus-Marmarameer-Dardanellen.

Bosporus und Dardanellen sind offensichtlich diese in geologischen Zeiträumen eingeschnittenen Flusstäler. Anders sind deren geologische Gegebenheiten, nämlich die umgebenden durchschnittlich um 100 m hohen Berge, nicht erklärbar. Da die Flusssohle des Bosporus höher als jene der Dardanellen liegt, ist davon auszugehen, dass die erodierende Flussrichtung vom Norden nach Süden verlaufen ist. Mit der ursprünglich höheren Lage dieses Flusses – vor seiner Erodierung – ist neben dem Schwarzen Meer auch das Kaspische Meer einbezogen gewesen.

Eine Diskussion der möglichen geologischen und hydrologischen Gegebenheiten wird in den folgenden – sehr frühen – Veröffentlichungen der k.u.k. Akademie der Wissenschaften gegeben. Rezentere Veröffentlichungen zu dieser Fragestellung sind nur schwer aufzufinden.

Troja, die Ilias und die Odyssee

Den Eingang zu den Dardanellen und damit zum Schwarzen Meer bewachte und beherrschte am kleinasiatischen Ufer das indoeuropäische Troja mit seiner (kurganischen) Pferde-Armee – vgl. die Ilias und die Odyssee von Homer im "Projekt Gutenberg":

  • Homer: → Ilias mit: Troja, die "Stadt der Rosse", aber noch ohne das "Trojanische Pferd"
  • Homer: → Odyssee 8. Gesang, ab Zeile 490: "Trojanisches Pferd" [ ... timeo Danaos et dona ferentes ...]
  • Homer: → Odyssee Troja → S. 44

Zeus, Bosporus und Europa

Europa und der Stier, Fresko aus Pompeji

Der Name Bosporus (altgriechisch Βόσπορος Bosporos ‚Kuh-, Rinderfurt‘, von altgr, βοῦς boũs ‚Rind, Ochse‘ und altgr. πόρος póros ‚Weg, Furt‘) stammt daher, dass nach der Sage die in eine Kuh verwandelte Io hier auf ihrer Flucht nach Asien hinüberschwamm.

Zeus verliebte sich einst in Io, eine Priesterin der Hera, und verführte sie. Dies bemerkte jedoch seine eifersüchtige Gattin Hera. Um die Tat zu vertuschen, verwandelte Zeus Io in eine weiße Kuh. Hera entdeckte dies jedoch und forderte die Kuh als Geschenk, was Zeus ihr nicht abzuschlagen vermochte. Hera ließ die Kuh von dem hundertäugigen Riesen Argos bewachen. Aus Mitleid mit Io entsandte Zeus den Himmelsboten Hermes zu Argos mit dem Auftrag, ihn zu töten. Dieser schläferte ihn mit seinem Flötenspiel ein und schlug ihm dann den Kopf ab, sodass Io – immer noch in Tiergestalt – entfliehen konnte. Der befreiten Io sandte Hera aber eine Rinder-„Bremse“ die sie unablässig verfolgte und durch die ganze Welt trieb. Auf der Flucht überquerte Io das Meer, das später nach ihr benannt wurde (Ionisches Meer) und schwamm durch die Furt, die ihr ihren Namen verdankt (Bosporus, griechisch für Kuh- oder Rinderfurt), von Europa nach Asien. Schließlich ließ sich Hera besänftigen, und Io, mittlerweile am Nil angelangt, erhielt ihre menschliche Gestalt zurück und gebar den Epaphos.

Europa (altgr. Εὐρώπη Eurṓpē) ist mythologisch die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa. Zeus verliebte sich in sie und darauf verwandelte er sich wegen seiner argwöhnischen Gattin Hera in einen Stier. Sein Bote Hermes trieb eine Stierherde (mit dem Zeus-Stier) in die Nähe der am Strand von Sidon spielenden Europa, die der Zeus-Stier auf seinem Rücken entführte. Er schwamm mit ihr nach Matala auf der Insel Kreta, wo er sich zurückverwandelte. Der Verbindung mit dem Gott entsprangen drei Kinder: Minos, Rhadamanthys (arg. "nth" ein alteuropäischer Name) und Sarpedon. Auf Grund einer Verheißung der Aphrodite wurde der fremde Erdteil nach Europa benannt.

Der griechische Schriftsteller und Geograf Herodot verwendete im 5. Jh. v. Chr. den Begriff Eurṓpē, der geografisch zunächst nur die Peloponnes bezeichnete, auch für das Land nördlich von Mittelmeer und Schwarzem Meer, das er so von Asien (Asía) und Afrika (Libýe) unterschied. Im oströmischen Byzanz und späteren Konstantinopel hieß der Bezirk, über den man nach Europa gelangte, ebenfalls "Europa".

Die kleinere aber schnellere Sintflut des Marmarameeres vor rd. 12.500 Jahren

Nacheiszeitlicher Anstieg der Weltmeeresspiegel

Der Name der Dardanellen leitet sich vom "Fluthelden"''Dardanos''"Δάρδανος" ab, dem mythischen Sohn von Zeus und Elektra (der Tochter des Atlas). Wie seiner mythischen Geschichte auch zu entnehmen ist, steht Dardanos zwischen den Alteuropäern (Göttermutter-Kult: der Name seines Sohnes Zyakinthos – das "nth" deutet auf einen alteuropäischen Namen) und den indoeuopäischen Trojanern. Eine ausführliche, umfassende Darstellung ist enhalten in: Eduard Thraemer → "Dardanos", in "Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft", Stuttgart 1901, Sp. 2164–78. (Diese Quelle ist in den sehr beachtenswerten → acht Bänden zu griech. u. röm. Kultur beinhaltet.)

Dardanos - der mit einem Floß auf die kleinasiatische Seite entkommen sei - soll wie auch → ''Deukalion'', Sohn des Prometheus, dem Stammvater der Hellenen und → ''Ogygos'', dem ersten König der ältesten griechischen Stadt Theben eine Sintflut überlebt haben. Auch eine Siedlung, die von ihm in der Nähe von Troja – also auf der kleinasiatischen Seite – gegründet wurde, hatte den Namen Dardanos. Mit seiner zweiten Frau Bateia hatte er den Zakynthos, den Ilos und den Erichthonios, dessen Sohn Tros der Vater des Ilos (den Gründer von Troja) werden sollte.


Tiefenverhältnisse im Marmarameer, k.u.k. AdW 1895

Das Marmarameer hat ein Volumen von 3378 km³ und nur drei direkte Zuflüsse: Biga, Gonen und Susurluk im Süden. Das Marmarameer war während der letzten Eiszeit wegen der Abtrennung von Mittelmeer und Schwarzem Meer und des zu geringen direkten Zuflusses mehr als 100 m tief trocken. Wegen der höheren Temperaturen (+1°C je 100 Tiefen-Meter) waren Bereiche des heutigen Meeres vor allem während und auch nach der Eiszeit temperaturmäßig besonders begünstigt. Diese Tiefseebecken liegen nördlich der Marmara-Insel mit einer Tiefe von 1358 m unter NN und durch einen Sattel getrennt südlich von Konstantinopel mit einer Tiefe von 1250 m unter NN (siehe die nebenstehende Grafik). Bezüglich der Temperaturen vergleiche den beigefügten Link zu den winterlichen Minima rund um 6.000 v. Chr. in der → Grafik von Maria Ivanova-Bieg (Univ. Wien, Projekt → "Farmers without Borders"), die das trocken gefallene Gebiet des Marmarameeres in diesem Raum als besonders begünstigt ausweist.

Erosionskanal westlich von Marmara, k.k. AdW 1895

Wie den Tiefenlinien der Grafik in: → Natterer, Konrad: Tiefseeforschungen im Marmarameer entnommen werden kann, gab es aufgrund des steigenden Weltmeeresspiegels nach dem Ende der letzten Eiszeit und mit dem Erreichen der Dardanellen-Sohlschwelle (heute durchschnittlich -55 m unter NN) – die tiefer als jene des Bosporus liegt – durch den plötzlichen Wasserzustrom in das westliche Tiefseebecken einen deutlich erkennbaren Erosionskanal zwischen der Marmara-Insel und dem westlich gelegenen Festland zu den tiefsten Bereichen des Marmarameeres. Bei der Annahme einer gleichen Zuflussmenge pro Jahr wie später in das Schwarze Meer wird die Wassermenge von deutlich weniger als 3378 km³ (abzüglich verbliebenes Rest-"Meer"; abzüglich 40 m Wassertiefe gegenüber heutigem Weltmeeresspiegel wegen der Sohlschwelle) in wenigen Jahren zugeführt – wahrlich eine Sintflut ! Die dabei überschwemmte Fläche mag wohl 5.000 km² von den 11.573 km² der Gesamtfläche des Marmarameeres ausgemacht haben. Damit umfasste diese Überschwemmungs-Katastrophe gegenüber der späteren vom Schwarzen Meer zwar nur ein Zehntel der Fläche, ereignete sich deshalb aber zehn Mal schneller.

Wahrscheinlich waren es zwei Sintfluten: a) die erste in das Tiefseebecken nördlich der Marmara-Insel und bei Erreichen der dazwischen liegenden Sattelhöhe b) die zweite in das Tiefseebecken südlich von Konstantinopel. Diese beiden Sintfluten waren sehr schnell, da die sich auffüllenden Becken nur geringere Flächen aufweisen. Die stärkste war wohl jene der Auffüllung des Marmara-Tiefseebeckens, die unter Umständen innert eines Jahres erfolgte, da der Zustrom anfangs ja nur dieses eine Becken auffüllte. Die Auffüllung des Konstantinopel-Beckens verlief nur mehr halb so schnell wegen der verdoppelten Wasserfläche. Erst nach Auffüllung der beiden Tiefseebecken wurden auch die großflächigen Schelfgebiete des Marmarameeres vergleichsweie langsamer (aber immer noch viel schneller als später beim Schwarzen Meer) aufgefüllt, bis auch die Sohlschwelle des Bosporus erreicht wurde.

Gegen eine so tiefe Regression des Marmarameeres sprechen aber Tiefsee-Bohrkerne auf dem Sattel zwischen den beiden Tiefseebecken, die kein Trockenfallen zeigen.



Nacheiszeitliche Besiedlung der Schelf-Platten des Schwarzen Meeres

Aktuelles Buch → The Archaeology of Europe’s Drowned Landscapes Springer online 10. April 2020; Open Access: CC-BY (Geoff Bailey, Nena Galanidou, Hans Peeters, Hauke Jöns, Moritz Mennenga) mit dem

Kapitel 20 zu Bulgarien p. 393: Preslav P. et al.: → Bulgaria: Sea-Level Change and Submerged Settlements on the Black Sea. und dem anschließenden

Kapitel 21 zur Ukraine p. 413: „… but the expectation that the Ukrainian shelf harbours Late Upper Palaeolithic sites is strengthened by the presence of occasional flint artefacts in sediment cores recovered from the shelf area during geological surveys.“
"... aber die Erwartung, dass der ukrainische Schelf spät-frühpaläolithische Fundstellen beherbergt, wird durch das Vorhandensein gelegentlicher Feuersteinartefakte in Sedimentkernen, die während geologischer Untersuchungen aus dem Schelfgebiet geborgen wurden, bestärkt."

Bulgaria, p. 398; Zitat: „The earliest Neolithic cultures known in Bulgaria appear at about 8450 cal BP and have obvious affinities with the Neolithic in Anatolia. The distribution of sites is concentrated along the major river systems in central, western and northern Bulgaria ..."
Übersetzung: "Die frühesten bekannten neolithischen Kulturen in Bulgarien treten etwa 8450 cal BP (Anm.: 8450 Jahre vor heute, dem Frühneolithikum in Bulgarien – also einige Jahrhunderte nach der Wieder-Auffüllung des Schwarzen Meeres) auf und haben offensichtliche Ähnlichkeiten mit dem Neolithikum in Anatolien. Die Verteilung der Fundstellen konzentriert sich auf die großen Flusssysteme in Zentral-, West- und Nordbulgarien. In der (heutigen) Küstenregion des Schwarzen Meeres findet man bis zum Eneolithikum fast keine Hinweise auf eine Besiedlung. Wie für das Mesolithikum stellt sich auch für das Neolithikum die Frage nach einer möglichen neolithischen Präsenz auf dem heute überfluteten Gebiet, was die Seltenheit der früh- und mittelneolithischen Fundstellen in der Küstenregion erklären könnte. Bisher wurden jedoch noch keine versunkenen Siedlungen vor dem Neolithikum gefunden, was möglicherweise daran liegt, dass die älteren Fundstellen in größerer Tiefe liegen als die bisher gefundenen Unterwasserfundstellen und unter einer größeren Dicke von Fluss- und Seesedimenten begraben sind."



Offenbar gibt es in Bulgarien neolithische Siedlungen – vor allem an den größeren Flusssystemen, aber auch an den Seen (Varna usw.). Es gibt auch Siedlungen in geringer Wassertiefe an der bulgarischen Schwarzmeerküste – alle in größerer Wassertiefe bis zu 9 m. Wie den beiden letzteren Veröffentlichungen zu entnehmen ist, ging der Anstieg des Weltmeeresspiegels und damit des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres erst vor etwa 4600 Jahren zu Ende.


Geht man vom Beginn der Auffüllung des Schwarzen Meeres mit ca. 9.400 Jahren vor heute aus, so dauerte die restliche Auffüllung (etwa 5-8 m über der Sohlschwelle des Bosporus bis zur heutigen Bosporus-Tiefe von 38 m) – mit abnehmender Geschwindigkeit – fast 4000 Jahre aufgrund des weiteren Abschmelzens von Eismassen weiter (vgl. den folgenden Abschnitt).

Damit waren die Schelfbereiche bis in eine Wassertiefe von ca. 30 m über Jahrtausende einer intensiven erodierenden Wirkung von Meeres-Brandungswellen ausgesetzt, sodass bis zu dieser Tiefe wohl wenig Hinterlassenschaften zu finden sein werden.

Da aber die erste Auffüllung des Schwarzen Meeres bis zum Erreichen des Weltmeeres-Spiegels um 8.300 Jahren vor heute recht rasch erfolgte, wären unterwasserarchäologische Untersuchungen erst unter dieser Wassertiefe von 30 m zielführend, da es unter dieser Wassertiefe zu nur geringerer Erosion gekommen ist.


Der Streit in der Literatur 1997–2022 um die Schwarzmeer-Flut 7.400 v. Chr.

Nacheiszeitlicher Anstieg der Weltmeeresspiegel

Heute ist das Schwarze Meer mit dem Ägäischen Meer und damit mit dem Mittelmeer über eine Passage mit zwei schmalen Meerengen verbunden, zunächst mit dem Bosporus und dann mit den Dardanellen, zwischen denen sich das Marmarameer befindet. Das Marmarameer ist tief, aber sowohl am Bosporus als auch an den Dardanellen gibt es relativ flache Schwellen. Da mehrere große Flüsse (die Donau, der Dniepr, der Dniestr, der Don, der Kuban, der Sacharja und der Südliche Bug) in das Schwarze Meer münden, fließt eine für den Beobachter deutlich sichtbare, überwiegend aus Süßwasser bestehende Strömung durch den Bosporus und dann das Marmarameer in Richtung Ägäis. In tieferen Schichten gibt es aber eine entsprechende Salzwasserströmung in die entgegengesetzte Richtung, von der Ägäis zum Schwarzen Meer. Ein ähnliches Zweischichtsystem findet sich im Schwarzen Meer selbst, und das Fehlen einer Durchmischung bedeutet, dass der Luftsauerstoff, der sich in der oberen, salzarmen Schicht löst, niemals in die darunter liegende, salzigere Schicht eindringt, so dass die Tiefen anoxisch, d. h. sauerstoffarm bleiben.

Palmer Tr. (2009):Katastrophale Überschwemmungen des Schwarzen Meeres und die Geschichte von Noah; Chronology and Catastrophism Review 2009, pp. 45 - 54.

Palmer bringt einen ausgezeichneten Überblicksartikel über weltweite Sintflut-Mythen und deren konkrete reale Hintergründe (Ostsee, Zweistromland, Rotes Meer, Indonesien, Australien usw.). In der Folge geht er auf die Historie der Forschungen zur Überschwemmung des Schwarzen Meeres und deren Gegentheorien - von Ryan über Aksu bis Yanko-Hombach u. a. - detailliert ein und zeigt eine Möglichkeit für die Integration der einzelnen, nachfolgend dargestellten Ansätze auf. (8 Seiten)

Ryan, William et al. (1997):An abrupt drowning of the Black Sea shelf; Marine Geology, 138 (1997), pp. 119-126. → Wesentlicher Inhalt von Ryan

Nach Ansicht von Bill Ryan und Walter Pitman gab es zu der Zeit, als die großen Eisschilde am Ende der Jüngeren Dryas zu schmelzen begannen, überhaupt keine Verbindung zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer, weil die Wasserstände auf beiden Seiten der Bodenschwelle am Bosporus viel zu niedrig waren, um eine Verbindung herzustellen. Der Meeresspiegel der Ägäis ist mehr als 100 Meter unter dem heutigen Niveau gelegen, und Schwarze Meer war damals ein Süßwassersee, bei dem der Zufluss von Wasser aus den Flüssen durch die Verdunstung ausgeglichen wurde. Das Schmelzwasser des nördlichen Eisschildes wurde in dieser Zeit nach Westen in Richtung der neu entstandenen Nordsee geleitet und nicht nach Süden. Während das Schmelzwasser in den Atlantik strömte, stiegen die Pegel des Mittelmeers, der Ägäis und des Marmarameers weiter an, bis schließlich ein natürlicher Sedimentdamm, der sich über der Felsenschwelle am Bosporus gebildet hatte, auf katastrophale Weise durchbrochen wurde. Salzwasser strömte in den Süßwassersee und veränderte seine Beschaffenheit und Größe, so dass innerhalb von etwa zwei Jahren 150.000 Quadratkilometer des umliegenden Landes überflutet wurden. Ryan und Pitman haben am Schwarzen Meer Sedimentkerne entnommen und stellten fest, dass die Weichtierschalen in den unteren (d. h. älteren) Schichten von Süßwasserarten stammten, während die Weichtieren in den höheren (jüngeren) Schichten stets Salzwasserformen waren, die vermutlich beim Bruch des Bosporus-Damms eingeschleppt worden waren. Die Radiokohlenstoffdatierung der jüngsten Süßwasser-Molluskenschalen ergab 7.500 Jahre vor heute.

Aksu (2002); bearbeitet für Vergleich mit Aksu (2022)

Aksu, Ali et al. (2002):Persistent Holocene outflow from the Black Sea to the Eastern Mediterranean contradicts Noah's Flood hypothesis GSA Today, 12 (5) (2002), pp. 4-10. → Wesentlicher Inhalt von Aksu (2002)

Aksu und Hiscott legten Nachweise vor, die ein anderes Szenario für die Geschichte des Schwarzen Meeres während des Holozäns nahelegten. Sedimentkerne aus dem Marmarameer zeigten, dass sich bereits vor etwa 11.000 Jahren ein organischer Faulschlamm unter anoxischen Bedingungen gebildet hatte, was bereits auf ein zweischichtiges System hinweist. Seismische Studien weisen auf ein Delta vom Bosporus ins Marmarameer hin. Radiokarbondaten zeigen ein Alter von 9-10.000 Jahren. Sie schlugen folgendes Szenario vor: Das Marmarameer war während der Jüngeren Dryas sowohl von der Ägäis als auch vom Schwarzen Meer isoliert. Bald jedoch wurde der Kontakt mit der Ägäis wieder hergestellt, da die Dardanellenschwelle etwa 70 Meter unter dem heutigen Meeresspiegel lag. Das Marmarameer stieg dann im Einklang mit dem Anstieg des Welt-Meeresspiegels an. Das Schwarze Meer stand zu dieser Zeit kurz davor, das Niveau der Bosporusschwelle zu erreichen. Schließlich begann salzarmes Wasser über die Bosporus-Schwelle ins Marmarameer zu fließen und zwar in der entgegengesetzten Richtung zu der von Ryan und Pitman vorgeschlagenen und mehrere tausend Jahre früher. Dieser salzarme Zufluss dauerte so lange, wie der Agäis/Marmarameer-Spiegel unter der Bosporusschwelle lag und dauerte rund 1.000 Jahre. Das erklärt die Existenz des Deltas.

Aksu (2022); bearbeitet für Vergleich mit Aksu (2002)

Aksu, Ali et al. (2022):Persistent Holocene outflow from the Black Sea to the eastern Mediterranean Sea still contradicts the Noah's Flood Hypothesis: A review of 1997–2021 evidence. Earth-Science Reviews, Volume 227, April 2022, 56 p. → Wesentlicher Inhalt von Aksu (2022)

Aksu´s Vergleich der schematischen Wasserstandsverläufe des Schwarzen Meeres, Marmarameers und der Ägäis gemäß der Fluthypothese

Aksu (2022) verlegt den Zeitpunkt des Bosporus-Durchbruchs nun auf das Jahr 9.300 BP, was 2.000 Jahre früher ist als Aksu (2002) mit 7.300 BP. Die Höhe des Sedimentdammes am Bosporus sinkt von (2002) -15 m unter NN auf (2022) nunmehr -35 m unter NN.

In Aksu (2002) sinkt der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres kontinuierlich; jenes des Marmarameere ebenfalls, wenn auch langsamer. Um 12.000 BP liegen die Wasserspiegel der drei Meere gemeinsam auf gleicher Höhe und das Marmarameer verbindet sich mit der Ägäis. In Aksa (2002) steigen ab 12.000 BP die miteinander verbundene Ägäis und das Marmarameer laufend an, jedoch ohne Wasser in das Schwarze Meer zu liefern, da die Sohlschwelle des Bosporus auf -15 m unter NN gelegen sei. Demgegenüber sinkt der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres durch Verdunstung bis -160 m Tiefe. Erst mit dem Durchbruch des Marmarameeres um 7.300 BP wird das Schwarze Meer mit einer Katastrophe plötzlich aufgefüllt.

In Aksu (2022) sind seit 25.000 BP sowohl das Schwarze Meer als auch das Marmarameer bis ca. -90 m trocken gefallen, wobei die beiden Meere nicht miteinander verbunden sind und das Marmarameer eine bessere Wasserzufuhr zu haben scheint; das Weltmeer liegt auf -120 m unter NN. Mit der beginnenden Eisschmelze um 18.000 BC kommt es für 2.000 Jahre durch den Schmelzwasserzustrom zu einem starken Anstieg des Schwarzmeerwasserspiegels, das auch in das Marmarameer ausfloss. In der Folge fällt das Schwarze Meer rapide bis auf -160 m trocken. Ab 14.000 BP ist das Marmarameer mit der Ägäis verbunden und beide haben den gleichen Anstieg der Wasserspiegel. Im Jahr 9.470 (sic!) vor heute erreicht das Marmarameer die Sohle des Bosporus in -30 m unter NN und füllt das Schwarze Meer in kürzester Zeit um 90 m Höhendifferenz auf.


Yanko-Hombach, Valentina et al. (2007):Controversy over the great flood hypotheses in the Black Sea in light of geological, paleontological, and archaeological evidence.; Quaternary International; Volumes 167–168, June 2007, Pages 91-113. → Wesentlicher Inhalt von Yanko-Hombach

Ein weiteres Element wurde dann von Wissenschaftlern aus der ehemaligen Sowjetunion in die Kontroverse eingebracht. Sie und ihre Kollegen waren der Ansicht, dass es tatsächlich eine katastrophale Überschwemmung des Schwarzen Meeres gegeben hatte, die jedoch fast 10 000 Jahre früher stattfand als Ryan und Pitman angenommen hatten. Sie brachte Nachweise, dass das Abschmelzen des Eises während des Spätpleistozäns vor etwa 18.000 Jahren zu einer erheblichen Ausdehnung des Schwarzen Meeres führte und brachten das folgende Szenario: Das schnelle Abschmelzen des nordeuropäischen Inlandeises vor 18-17.000 Jahren führte zu einem massiven Abfluss von Wasser in die nach Süden fließenden Flüsse. Der Pegel des Kaspischen Meeres stieg um mehr als 100 Meter an und erreichte einen Wert, der etwa 50 Meter über dem heutigen lag. Dadurch wurde die Mündung der Wolga zurückgedrängt, was schließlich zu einem immensen Wasserabfluss in die Hochwasserentlastungsrinne Manych und von dort über das Asowsche Meer ins Schwarze Meer führte, wo sich das Wasser aus den eigenen Zuflüssen addierte. Infolgedessen stieg der Pegel des Schwarzen Meeres von seinem tiefsten Punkt aus um etwa 100 Meter an und lag zu Beginn der Jüngeren Dryas vor etwa 12.900 Jahren etwa 20 Meter unter dem heutigen Stand und floss damit in das Marmarameer ab. Der Landverlust in der Region könnte die damals dort lebenden Jäger und Sammler gezwungen haben, in andere Gebiete umzuziehen, wodurch die Bevölkerungsdichte zunahm und der Übergang zu einer bäuerlichen Kultur begünstigt wurde; außerdem entstand die Legende von der großen Flut. Während der kalten, trockenen Jüngeren Dryas sank der Pegel des Schwarzen Meeres um etwa 15 Meter, und die Verbindung, die während der großen Überschwemmungen durch den Bosporus zum Marmarameer hergestellt worden war, wurde wieder unterbrochen.


Einfügung: Zwischenzeitlich hatte Ryan einige seiner Ansichten geändert. Da bekannt war, dass sich die Strontium-Isotopenverhältnisse in Meeresumgebungen von denen in Süßwasser unterscheiden, wurde er durch Messungen der 87Sr/ 86Sr-Verhältnisse in Muscheln davon überzeugt, dass der katastrophale Durchbruch des Mittelmeers ins Schwarze Meer vor 9.400 Jahren stattgefunden habe.

[Anm.: Das Datum "9.400 Jahre" scheint nun wie in Stein gemeißelt und nicht mehr in Frage gestellt.]


Yanchilina, Anastasia et al. (2017):Compilation of geophysical, geochronological, and geochemical evidence indicates a rapid Mediterranean-derived submergence of the Black Sea's shelf and subsequent substantial salinification in the early Holocene. Marine Geology Vol. 383, 2017, Pages 14-34. (Die Zusammenstellung geophysikalischer, geochronologischer und geochemischer Daten deutet auf eine rasche Überflutung des Schelfs des Schwarzen Meeres durch das Mittelmeer und eine anschließende erhebliche Versalzung im frühen Holozän hin.) → Wesentlicher Inhalt von Yanchilina

Yanchilla kam nach enorm aufwändigen Untersuchungen zu einem (mithilfe von Stalagmiten-Daten von Fleitmann: siehe die folgende Literaturstelle) zu einem kalendermäßig ermittelten Datum für den Durchbruch des Schwarzen Meeres mit 9.300 Jahre vor heute, das sie später wegen methodischer Kritik auf eher 9.350 bis 9.375 Jahre anhoben.

Fleitmann, D., et al. (2015):Umwelt- und Klimadynamik während der letzten beiden Glaziale und Interglaziale in der Schwarzmeer/Nordanatolischen Region in Buch: Integrated Analysis of Interglacial Climate Dynamics (INTERDYNAMIC) (S.121-126) November 2015. Link zu → Wesentlicher Inhalt von Fleitmann


Das 8,2 ka-Event OFFEN

Weninger 2005, B., Todorova, H. et al.: → Die Neolithisierung von Südosteuropa als Folge des abrupten Klimawandels um 8200 calBP. In: Detlef Gronenborn (Hrsg.) Klimaveränderung und Kulturwandel in neolithischen Gesellschaften Mitteleuropas 6700-22 v.Chr. RGZM-Tagungen Bd.1; 2005:75–117.

Parker 2022, S.; Harrison, S.: → The timing, duration and magnitude of the 8.2 ka event in global speleothem records. Nature Scientific Report 12; 2022.


Diskussionen zur Neolithisierung Westanatoliens und Griechenlands (~ 7.400 v. Chr.)

OFFEN: Özdoğan 2011, Mehmet: → Archaeological Evidence on the Westward Expansion of Farming Communities from Eastern Anatolia to the Aegean and the Balkans. Current Anthropology Vol. 52, Nr. 54, 2011.

Grundsätzliches zur Verwendung von Radiokarbon-Daten 8.000-5.200 v. Chr.

Variation des 14C-Gehalts in ‰

Mit der einzigen Ausnahme Barbara Horejs (2019): → Lange und kurze Revolutionen zum Neolithikum in Westanatolien und der Ägäis. Documenta Praehistorica 46: 68–83. (ÖAW: Inst f. Orientalische u. Europäische Archäologie: barbara.horejs@oeaw.ac.at) weist keine/r der weiter unten angeführten AutorInnen darauf hin, dass genaue Datierungen mit Radiokohlenstoff aufgrund eines Plateaus in den Kalibrierungskurven nicht möglich sind. (Horejs, S. 74: „The aprupt arrival of the Neolithic: … unfortunately a more precise date cannot be achieved due to a plateau in the current radiocarbon calibration curves.")

Ernst Pernicka stellt in der nebenstehenden Grafik seiner Veröffentlichung „Gewinnung und Vertreitung der Metalle in prähistorischer Zeit“ die Variation des 14C-Gehalts (in Promille = Delta C) in der Atmosphäre in der Zeit von 10.000 v. Chr. bis heute dar. Wenn der 14C-Gehalt konstant gewesen wäre, wie bei der Einführung dieser Datierungsmethode angenommen, dann könnte man 14C-Jahre als Kalenderjahre betrachten. Insbesondere ergibt sich ein Problem für den Zeitraum von 8.000–5.000 v. Chr., da man beim radioaktiven Zerfall des 14C nicht feststellen kann, wann das biologische Material tatsächlich entstanden ist. Wegen dieser Schwankungen ist auch eine unabhängige Kalibration mit Baumringen notwendig.

Atmosphärischer Δ-C14-Gehalt/Jahre (INTCAL20)

Zur Verdeutlichung dieser für Radiokarbondatierungen bedeutsamen Gegebenheit wird auch auf die rezentere Grafik von Reimer, Paula et al.: → The INTCAL20 Northern Hemisphere Radiocarbon Age Calibration Curve (0–55 cal kBP) 2020 (CC-BY) zum Verlauf des Δ-C14-Gehalt/Jahre der Atmosphäre für den betrachteten Zeitraum 8.000-5.200 v. Chr. hingewiesen.

Eine viel bessere zeitliche Auflösung bringen die folgenden (leider Copyright-) Grafiken:

Bei diesen Grafiken ist aus dem Verlauf der Kalibrierungs-Kurven direkt zu entnehmen, dass Kohlenstoffproben für den Zeitraum 8.000 - 5.200 v. Chr. nicht genau datiert werden können, da sich die hoch volatilen Kalibrierungskurven für diesen Zeitraum auch mehrfach überlappen.

Brami/Heyd verschieben griechischen Beginn um tausend Jahre auf 6.450 v. Chr.

Brami, M. u.Heyd, V. (2011). → The origins of Europe's first farmers: The role of Hacilar and Western Anatolia, fifty years on. Praehistorische Zeitschrift, 86(2), 2011, S. 165-206.

Brami und Heyd geben vor, dass sie sich objektiv mit den Ursprüngen der ersten Bauern in Europa befassen wollen. Es ist aber recht offensichtlich, dass sie Daten einseitig in ihrer Zielrichtung biegen, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen. Dem soll hier näher nachgegangen werden.

Brami und Heyd schreiben, dass "jüngste Entdeckungen ein neues Licht auf die Herkunft von Europas ersten Neolithikern" werfen würden. Nach "einer nochmaligen Evaluierung der absoluten und relativen Chronologien, die in dieser Arbeit vorgeschlagen werden ... seien es wiederholte Migrationen aus dem zentralanatolischen Plateau, und darüber hinaus aus der Levante, die in der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. wahrscheinlich die neolithische Lebens- und Wirtschaftsweise nach Europa gebracht haben. Nachweise für noch frühere neolithische Ausbreitungen blieben hingegen nach wie vor unsicher."

Es geht ihnen vor allem darum, dass "Stätten, die bis in die Mitte des 7. Jahrtausends v. Chr. zurückreichen und damit mit dem Frühneolithikum in Griechenland und auf dem Balkan zeitgleich sind, an der Ägäisküste der Türkei und in der Marmararegion" nicht vorkommen. Insbesondere wird von ihnen in Frage gestellt, dass "die Radiokarbondaten und die Klassifizierung der keramischen Phasen in Griechenland darauf hindeuten, dass das griechische Neolithikum im Vergleich zum westanatolischen Neolithikum älter ist" und dass "diese Diskrepanz mit Verzerrungen in der Forschung zusammenhängt."

Um das zu belegen, nehmen sie eine ziemlich einseitige und durchsichtige "Neubewertung der bestehenden Chronologien durch eine sogenannte Qualitätsbewertung der in Westanatolien, Griechenland, Thrakien und Mazedonien verfügbaren Radiokarbondaten vor, indem sie durch nicht begründete "Ausreißer-Eliminierung" ihrem Ziel näher kommen. Das soll im folgenden anhand einseitiger Veränderungen bzw. "Manipulation" der bestehenden Radiokarbondaten aufgezeigt werden. Zum Nachweis dieser Behauptung werden die entsprechenden Grafiken angeführt.

Alle Radiokarbondaten für das früheste Neolithikum in Griechenland

Die nebenstehende Abbildung von Brami und Heyd (2011, fig. Nr. 6) zeigt die "Verteilung aller Radiokarbondaten (kalibriert, bei 2σ) für das früheste Neolithikum in Griechenland, unabhängig von ihrer Qualität. Die Daten sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet."

Wie direkt zu erkennen, beginnt das früheste Neolithikum in Griechenland um ca. 7.500 v. Chr. mit anfangs wenigen Daten, die zwischen 7.000 und 6.500 v. Chr. deutlich anwachsen und zw. 6.500 und 6.000 v. Chr. breiten Raum einnehmen.

Brami und Heyd meinen, dass "die absoluten Altersdaten aus Griechenland im Allgemeinen schlechter sind, da viele in den ersten Jahrzehnten der Radiokohlenstoffdatierung gewonnen wurden." und "Ein weiteres Problem der Datenbank ist die fast ausschließliche Verwendung von Holzkohle als Datierungsmaterial. Holzkohle ist und bleibt ein wichtiges Material für die Datierung, aber es gibt inhärente Probleme, die ihre Zuverlässigkeit einschränken." Nicht identifizierte Holzkohlenproben werden von ihnen wegen eines möglichen "Altholz-Effekts" ausgeschieden weil auch Pfosten von früheren Bauperioden stammen könnten. Weiters schieden sie Datierungen mit größeren 2σ-Werten aus ebenso wie besonders alte Daten, die ihnen "unzuverlässig" schienen.

Korrigierte Radiokarbondaten von Griechenland unter Ausschluss von Daten mit 2σ > 100 a und „unzuverlässigen“ Holzkohleproben

Auf diese wenig elegante und durchsichtige Vorgangsweise elimieren Brami und Heyd 1.000 Jahre der ältesten neolithischen Besiedlung Griechenlands. Sie beschriften ihre Abbildung 7 (siehe die nebenstehende Abbildung) wie folgt: "Verteilung der Radiokarbondaten (kalibriert, bei 2 σ) für das früheste Neolithikum in Griechenland, diesmal unter Ausschluss aller Daten mit Standardabweichungen größer oder gleich 100 Jahre und derjenigen, die aus unzuverlässigen Holzkohleproben (z. B. Holzkohle und Sediment) gewonnen wurden. Die Autoren kommen aufgrund ihrer Qualitätsbewertung zum Schluss, dass die erste neolithische Besiedlung in Griechenland konsistent kurz nach 6450 cal. v. Chr. bei 2σ stattgefunden hat. Die gestrichelte Linie gibt den Standard an, der sich aus den Daten von Nea Nikomedeia ergibt. Die Daten, die statistisch gesehen unter diesen Schwellenwert fallen, stammen aus den Höhlen von Theopetra u. Franchthi, an denen Fehler bei der stratigraphischen Zuordnung der Ebenen formell nicht ausgeschlossen werden können."

In der Folge schreiben Brami und Heyd nach Eliminierung von 14 Daten ("fragwürdige" Daten, an sich "sehr alte" (sic!) Daten u.ä.m.), dass auch das griechischen Makedonien - ebenfalls - kurz nach 6450 cal v. Chr. bei 2σ besiedelt worden sei, obwohl das Frühneolithikum in dieser Region archäologisch als etwas jünger angesehen wird als das in Thessalien und in Zentral- sowie Südgriechenland.


Radiokarbondaten für das früheste Neolithikum in Westanatolien

Brami und Heyd liefern nun einen Datensatz von Westanatolien (siehe die nebenstehende Abbildung), bei dem sie aber bei den Daten fast nichts verändert haben - und man erkennt die hohe Ähnlichkeit mit den korrigierten Daten von Griechenland.

Weiters schreiben sie bzgl. Westanatolien, dass "hier vor allem im westlichen Teil der türkischen Seenplatte die spätneolithischen Fundstellen von Hacılar, Höyücek und Bademapacı um 6450-6200 cal. v. Chr. bei 2σ besiedelt worden zu sein scheinen. Radiokarbondaten aus dem Basalniveau der Fundstelle von Mentese setzen den Beginn des Neolithikums in der Region Marmara kurz nach 6450 cal. v. Chr. bei 2σ. Außerdem wird dieses Ergebnis durch vier Daten aus der Ebene IV in Hoca Çeşme nahe den Dardanellen bestätigt. Es werden zwar noch weitere Daten benötigt, es scheint aber, dass ganz Westanatolien von neolithischen Gruppen kurz nach 6450 cal. v. Chr. bei 2σ und vielleicht schon etwas früher besiedelt wurde." und sie kommen zum Schluss: "Vergleicht man die Daten aus Westanatolien und Südosteuropa, so zeigt sich, dass die neolithischen Stätten mehr oder weniger gleichzeitig kurz nach 6450 cal. v. Chr. bei 2σ auf beiden Seiten der Ägäis auftraten, während die Regionen nördlich der Ägäis und im südlichen Balkan erst in einem zweiten Schritt neolithisiert wurden. Die Gleichzeitigkeit der Fundstellen in Westanatolien und Griechenland deutet auf einen gemeinsamen Expansionshorizont der neolithischen Lebensweise hin."

Kritik an Brami und Heyd: Griechisches Neolithikum doch um 7.400 v. Chr.

Kritik an Brami/Heyd (2011)

Brami und Heyd haben offenbar das Ziel, die Neolithisierung von Anatolien ausgehen zu lassen. Da die dortigen Daten zu spät einsetzen, müssen eben die Daten von Griechenland gedrückt werden. Ihre Eliminierung von Radiokohlenstoffdaten wirkt durchsichtig, manipulativ und manchmal beinahe lächerlich:

  • Untersuchungen von Holzresten zeigen, dass bedeutende Holzstrukturen, wie z. B. Pfosten, oft entfernt und in mehreren Bauphasen wiederverwendet wurden. Solche hölzernen Überreste werden mit Sicherheit Daten liefern, die älter sind als der Kontext. [Argument ist völlig unverständlich: Da hat dann eben bereits früher jemand dort gesiedelt - was zu beweisen war.]
  • "Altholz"-Effekt (Eiche ist langlebig; altes Kernholz beeinflusst wahrscheinlich die Datierung. Wie Brami und Heyd zur Ansicht kommen, dass Neolithiker z.B. 500 Jahre altes Eichen-Kernholz als Brennholz verwendet hätten, ist nicht nachvollziehbar.)
  • Wenn es keine Angaben zur Proben-Beschaffenheit gibt, sei "Altholz"-Effekt nicht ausschließbar.
  • In einigen Fällen sei die anthropogene Herkunft der Holzkohleprobe nicht eindeutig nachweisbar.
  • Grundlose Vermutung von Verunreinigungen des Holzkohlematerials bei alten Daten.
  • Die Siedlungsebene könnte gestört sein.
  • Vermutung, dass vier Daten aus einer einzigen Knochenprobe von Schafen (Ovis) gewonnen wurden.
  • "Präkeramische" Phase vor 6450 BC beruht auf Daten, deren Qualität zumeist schlecht ist.
  • Zwei sehr frühe Daten ... sind auffallend alt und sollten daher mit Vorsicht behandelt werden.

Die Schlussfolgerungen von Brami und Heyd: "Die Erforschung des Neolithikums in Westanatolien ist eng mit der Frage nach den Ursprüngen der ersten Bauern Europas verknüpft. In seinen frühen Schriften ging Mellaart von einer "gemeinsamen Abstammung" der südosteuropäischen neolithischen Gemeinschaften in Westanatolien aus (Mellaart 1960, 90). Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass diese Ansicht auch heute noch Gültigkeit hat." und "So wird beispielsweise seit langem auch darüber diskutiert, ob die frühneolithischen Gesellschaften in Griechenland vor denen in Westanatolien entstanden sind. Die neuen Fundstellen in der Türkei wurden in ein breiteres chronologisches Schema integriert, um zu zeigen, dass die neolithischen Gesellschaften auf beiden Seiten der Ägäis kurz nach ca. 6450 cal. v. Chr. entstanden sind." sind unrichtig und unnötig: Die neolithischen Bauern auf dem Schelf des Schwarzen Meeres stammen ja ursprünglich sicher vom Fruchtbaren Halbmond und in der Folge aus Anatolien.

Die wesentliche Fragestellung nach ihrer gezielten Eliminierung von Radiokohlenstoffdaten lassen Brami und Heyd unbeantwortet, nachdem sie den Beginn der Besiedlung durch die Neolithiker in ganz Westanatolien und in ganz Griechenland auf die Zeit um 6.450 v. Chr. geschoben haben: nämlich nach dem gleichzeitigen und plötzlichen Auftreten solcher Massen an Neolithikern um 6.450 v. Chr. und ihrer Herkunft.

Kritik an Brami (2015)

Brami wiederholt in seiner Veröffentlichung → A graphical simulation of the 2,000-year lag in Neolithic occupation between Central Anatolia and the Aegean basin aus 2015 die obigen Argumentationen von 2011 gegen die griechischen Daten. In der hier angeführten instruktiven Grafik LINK: "Summed distribution of calibrated radiocarbon dates" hat Brami wiederum die (griechischen) Daten mit einem größeren Zeitbereich (> 100 Jahre) unterdrückt - vgl. die Bildunterschrift. Trotzdem ist in der Grafik klar zu erkennen, dass das Neolithikum in Zentral-Anatolien (8.300 BC) rd. 2.000 Jahre vor West-Anatolien (um 7.000 BC) beginnt. Obwohl Brami bei Griechenland Daten unterdrückt hat, beginnt dort das Neolithikum aber bereits um 7.400 v. Chr..

Weiters wird aus dieser Grafik deutlich, dass es keine "Entvölkerung" von Zentral-Anatolien gegeben hat - weder um 6.450 v. Chr. - dem von Brami und Heyd 2011 genannten Datum für den massiven Beginn des Neolithikums in Griechenland und West-Anatolien -, noch um 7.400 v. Chr., dem tatsächlichen Beginn des Neolithikums in Griechenland. Dementsprechend stammen diese Neolithiker in Griechenland und West-Anatolien (und der Ägäis) nicht aus Zentral-Anatolien.

In einer weiteren Veröffentlichung von Brami und Zanotti in 2015: → Modellierung der anfänglichen Ausbreitung des Neolithikums aus Anatolien werden in der Abbildung 8A-D der zeitliche Beginn des Neolithikums als "Summenwahrscheinlichkeitsverteilungen der kalibrierten Radiokarbondaten" in den vier Zielregionen: A: Zentralanatolien; B: Westanatolien; C: Griechenland und D: Thrakien dargestellt. Demnach beginnt das Neolithikum in Zentral-Anatolien 8.500 BC; in West-Anatolien 7.000 BC; in Griechenland 7.500 BC und in Thrakien 6.000 BC. Die beiden Autoren finden auch die folgende Feststellung für notwendig (Zitat): "In Zentralanatolien kann kein regionaler Bevölkerungszusammenbruch vor ca. 6000 cal BC festgestellt werden." Ein solcher ist in der ganzen Datenreihe von Zentral-Anatolien in der Abbildung 8A nicht zu erkennen.

Diskussionen in der Literatur zur Herkunft des Neolithikums um die Ägäis

Vorgeschlagene Kolonisierungsrouten zur Neolithisierung von Westanatolien

Horejs et al. (2015): → Die Ägäis im frühen 7. Jahrtausend vor Christus: Maritime Netzwerke und Kolonisation Journal for World Prehistory (2015) 28:289–330.

Da es die bekannte Lücke zwischen den mesolithischen Funden in der Ägäis, im Nordwesten und Südwesten Anatoliens und den ersten Bauern und Hirten im frühen Neolithikum zu schließen gilt, definieren wir Cukurici und Ulucak als Pionier-Standorte, die von Neuankömmlingen gegründet wurden. Auch Barcin Hoyuk in der Marmara-Region scheint ebenfalls ein Pionierstandort zu sein. Cukurici zeigt eine Gemeinschaft, die auf Ackerbau und Viehzucht, Muschelfischerei und Fischfang beruhte. Diese besonderen Technologien und Fähigkeiten zur Seefahrt wurden wahrscheinlich von Neuankömmlingen an diesen Ort gebracht. Es ist unbestreitbar, dass die Neolithisierung der mediterranen Küstengebiete durch mobile Gruppen und die Verbindung zur Seefahrt beeinflusst wurde. Wir argumentierten für die ostägäischen Küstendörfer und insbesondere für Cukurici Hoyuk eher für maritime Besiedlungswege als eine terrestrische Migration aus dem anatolischen Binnenland.

Wir schlagen eine maritime Kolonisierung im 7. Jahrtausend v. Chr. über Routen vom östlichen Mittelmeer in die östliche Ägäis vor (siehe die Abbildung). Die Neuankömmlinge brachten ihr nautisches Know-how (von der Levante?) mit, das höchstwahrscheinlich mit den Seeverkehrsnetzen des östlichen Mittelmeers verbunden war. Ihr Wissen über Routen, Navigation und alle Aspekte einer erfolgreichen Seefahrt scheinen von Gruppen im frühen 7. Jahrtausend v. Chr. bei der Erkundung des Zentrums der anatolischen Ägäisküste genutzt worden zu sein, um einige der ersten dauerhaften Siedlungen in der Region zu errichten. Obwohl die Frage nach der Herkunft der Kolonisatoren offen bleiben muss, wurde eine Beziehung zur neolithischen Kernzone, insbesondere zur Levante, auf der Grundlage von Technologie, Material und materiellen Praktiken diskutiert. Die Mehrzahl der charakteristischen PPNB-Elemente in der Levante und im oberen Mesopotamien fehlen in Cukurici Hoyuk aber mit Sicherheit.


Çilingiroğlu Çiler (2017): → Die Ägäis vor und nach 7000 v. Chr. Ausbreitung: Definition von Mustern und Variabilität. Neo-Lithics 1(16): 32-41. ciler.cilingiroglu.unlusoy@ege.edu.tr

Das ägäische Mesolithikum der Jäger und Sammler, das im 9. und 8. Jahrtausend v. Chr. in der Ägäis blühte, endete um 7000 v. Chr. und markierte eine neue prähistorische Ära mit neuen Ankömmlingen. Eines der interessantesten Merkmale der frühneolithischen Fundstellen um die Ägäis ist der Mangel an Vielfalt und Reichtum in der materiellen Kultur. Die typischen Gegenstände des südwestasiatischen und zentralanatolischen Neolithikums wie Tonstempel, Figurinen, Spinnwirtel sind hier kaum zu finden. Die Bauern-Hirten-Stätten um die Ägäis des frühen 7. Jahrtausends v. Chr. wurden von Gruppen mit enger genetischer Verwandtschaft bewohnt und diese frühen Ackerbauern Zentralanatoliens, Westanatoliens, Griechenlands und sogar Mitteleuropas und des westlichen Mittelmeers sind eine homogene Gruppe mit gemeinsame Vorfahren im östlichen Mittelmeerraum ohne Vermischung mit den lokalen Wildbeutern.

Der auffälligsten Aspekte dieses Prozesses ist seine Schnelligkeit im Vergleich zu den neolithischen Entwicklungen in Zentralanatolien. Das Frühneolithikum um die Ägäis hat alle vier Haustierarten; in Zentralanatolien gab es aber keine Hausrinder und keine Hausschweine. Die Haltung dieser Tiere erfordert aber ein enzyklopädisches Wissen. Das Erkennen dieses Musters veranlasste Zooarchäologen, auf eine vom Menschen vermittelte Mobilität von Herdentieren über Küstenschifffahrt zu schließen, was das wahrscheinlichste Szenario ist. Der recht schnelle Prozess der Ausbreitung im frühen 7. Jahrtausend v. Chr. wurde durch eine küstennahe Mobilität, verbessertes Navigationswissen und maritimer Technologie ermöglicht und erleichterte die recht schnelle Bewegung von Menschen zusammen mit ihrer schweren und lebendigen Ladung wie Hausrindern, Schweinen, Schafen und Ziegen, ganz zu schweigen von Ladungen von Getreide und Hülsenfrüchten.


Horejs, Barbara (2019): → Lange und kurze Revolutionen zum Neolithikum in Westanatolien und der Ägäis. Documenta Praehistorica 46: 68–83. (ÖAW: Inst f. Orientalische u. Europäische Archäologie: barbara.horejs@oeaw.ac.at)

Im 9. und 8. Jahrtausend v. Chr. gab es zwei verschiedene kulturelle Weltsysteme: einerseits das ägäische Mesolithikum (Steinwerkzeuge zeigen, dass auch die Landschaft am Nordufer des Bosporus und die Marmara-Küstengebiete sowie Gallipoli-Halbinsel und Insel Lemnos von den Jägern, Fischern, Sammlern genutzt wurden.), andererseits einem Neolithikum (Bauern) in den "Kernzonen" Südwestasiens (Zentralanatolien, Levante).

Die neolithische Lebensweise beginnt in in den Regionen Griechenland, Ägäis und Westanatolien zeitgleich und abrupt und ist in allen wesentlichen Aspekten, wie Ackerbau, Viehzucht (Schafe, Ziegen, Rinder und Schweine) und Sesshaftigkeit, bereits voll entwickelt. Die Pionierstätten rund um die Ägäis wurden also von Neuankömmlingen gegründet und diese brachten die neuen neolithischen Subsistenzstrategien (Tiere und Pflanzen) zusammen mit anderen sozialen und kulturellen Elementen - die alle wichtigen Aspekte des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens betrafen - mit. Mehrere Autoren haben für die Ausbreitung der Neolithiker entlang der Mittelmeerküsten unter Umgehung Zentralanatoliens (wo Rinder und Schweine nicht vorkommen) argumentiert. Das Modell eines ägäischen Neolithikums, das sich von dem der Levante unterscheidet, ist inzwischen weitgehend akzeptiert. („… the model of an Aegean Neolithic pathway that is different from the Levant is now widely accepted.“) Die Gründung der ersten Gemeinschaften von Ackerbauern und Viehzüchtern auf dem griechischen Festland und in der Westtürkei erfolgte in Gebieten, die sich gut für den Ackerbau eigneten. Die Wanderung von Menschen ist daher das derzeit am besten passende Modell für die Neolithisierung der Ägäis und Westanatoliens. Der Auslöser für diese Entwicklungen bleibt eine offene Frage.

Der Zeitraum lässt sich auf 7000 bis 6600 cal v. Chr. datieren; eine genauere Datierung ist aufgrund eines Plateaus in den aktuellen Radiokohlenstoffkalibrierungskurven leider nicht möglich. ( „The aprupt arrival oft he Neolithik: … unfortunately a more precise date cannot be achieved due to a plateau in the current radiocarbon calibration curves.")


Leppard, Thomas (2022, June): → Prozess und Dynamik der mediterranen Neolithisierung (7000-5500 v. Chr.) Journal of Archaeological Research 30(16): p. 1-53.

Die Prozesse der Domestizierung von Tieren und Pflanzen waren nicht auf eine Kernzone beschränkt, wie bisher angenommen wurde, sondern sie entwickelten sich in einem breiten Gebiet von Anatolien über die Levante, Mesopotamien, und die persische Hochebene. Das Ergebnis war um 7000 v. Chr. ein breiter Streifen von vor-keramischen neolithischen Gemeinschaften in ganz Südwestasien mit zunächst Ziegen und Schafen, später Schweinen und Rindern, neben Getreide und Hülsenfrüchten, darunter Emmer und Einkorn, Nacktweizen, Gerste, Erbsen, Linsen, Kichererbsen und Flachs. Der Bedarf an klingenorientierter Steinindustrie (Erntegeräte) ist offensichtlich.

In Zentralanatolien gab es seit dem 9. Jahrtausend v. Chr. Bauerngemeinschaften, so dass es bemerkenswert ist, dass es bis etwa 7.000 v. Chr. keine Belege für Landwirtschaft westlich von Zentralanatolien gibt. Es ist bemerkenswert, dass dann Belege des südwestasiatischen Neolithikums weitgehend synchron in der Zirkum-Ägäis auftauchen: im westlichen Anatolien, Thessalien, Kreta und Mazedonien. Die Ausbreitung des Neolithikums erfolgte plötzlich und beinhaltete die vollständige Ersetzung der mesolithischen Jäger-Sammler-Ökonomien durch die komplette südwestasiatische Palette an Domestiken. Neue Belege für eine dichte neolithische Besiedlung an der anatolischen Küste, in der Nähe des Marmarameers und der thrakischen Küste haben an diesem Gesamtbild wenig geändert.

Hacılar, am Rande des anatolischen Neolithikums gelegen, bleibt ein [möglicherweise erhellender?] Faktor. Wenn das Radiokarbondatum, das auf 8282-7468 cal BC bei 2σ rekalibriert wurde, zulässig ist, dann könnte die Stätte als a-keramische neolithische Verbindung zwischen dem neolithischen Landesinneren und Westanatolien [Anm.: oder dem Schwarzen Meer?] angesehen werden.

Die zirkum-ägäischen Fundorte sind trotz einiger kontextueller Unterschiede in der materiellen Kultur und Architektur in ihrer wirtschaftlichen Organisation vergleichbar, wobei alle wichtigen südwestasiatischen Domestiken vertreten sind. Sie stellen aber einen radikalen Bruch mit dem früheren Mesolithikum in Bezug auf Architektur, materielle Kultur und technologische Organisation dar.

Mehrere Wissenschaftler haben, aufbauend auf einer frühen Arbeit (Broodbank und Strasser, 1991), vorgeschlagen, dass die Geschwindigkeit der Neolithisierung, die Vollständigkeit der Übertragung aller Domestiken und der gemeinsamen materiellen Kultur und wahrscheinlichen maritimen Routen dieser Übertragung auf einen Prozess der "Pionierkolonisation" hindeuten, bei dem sich frühe landwirtschaftliche Gemeinschaften schnell von der anatolischen Küste ausbreiten.

Wegen der Belege für seefahrende mesolithische Populationen in der Ägäis am Vorabend des siebten Jahrtausends scheint es sehr wahrscheinlich, dass Pionier-Ackerbaugemeinschaften Kontakt mit bestehenden Jäger- und Sammlergruppen hatten und deren nautisches Wissen nutzten. [Anm.: Diese Vermutung wird aber von einem absoluten Bruch zwischen mesolithischen und frühesten neolithischen Sequenzen konterkariert.]

Die weitere Ausbreitung des Neolithikums verlief terrestrisch nach Norden in Richtung Donau und auch nach Westen über das Pindos-Gebirge an die Adria und weiter in Richtung westliches Mittelmeer. Der mutmaßliche Ausgangspunkt dieser letztgenannten Küstenachse ist die südwestliche Balkanhalbinsel.


Broodbank und Strasser (1991):Migrant Farmers and the Neolithic Colonization of Crete, Antiquity, Vol. 65 (1991), pp. 233-245.

Da sich die obigen Autoren mit ihrer Argumentation einer maritimen Besiedlung um die Ägäis aus Südwestasien/Levante durchwegs auf Broodbank und Strasser berufen: Broodbank-Zitate von Horejs et al. (2015) 19 x; Çilingiroğlu (2017) 7 x; Horejs (2019) 7x und Leppard (2022) 17 x; werden deren wesentliche Aussagen kompakt gebracht.

Die ersten Domestiken in Knossos auf Kreta repräsentieren das gesamte neolithische "Paket" an Fauna und Flora, das von Kolonisten mitgebracht wurde. Die Besiedlung Kretas wird von Broodbank und Strasser anhand von Alternativen diskutiert. Als wahrscheinlich wird „Inselhüpfen“ mit Abständen zwischen den Inseln von jeweils rd. 30 km angesehen.

Die kolonisierende Gruppe dürfte rd. 10 Familien mit 40 Personen betragen haben. Die Anzahl der Individuen der vier Haustierarten betrug wohl zwischen 10 und 20 je Art (gegen Inzucht, genetisch variantenreich, fortpflanzungsfähiges Alter), für die tiefgehendes Wissen um Zucht und Haltung erforderlich waren. Damit ergibt sich für den Transport der Kolonisten folgende Fracht: 250 kg Getreide je Person (alle Arten; für Nahrung und erste Aussaat). Damit und mit dem Gewicht der Tiere ergeben sich für die Besiedlung Transportgewichte von 15 – 20.000 kg. Durch die Mitnahme von Futter und etwas Trinkwasser für Tier und Mensch würde diese Schätzung deutlich erhöht.

Als Boote für die Überfahrt sind keinesfalls die leichten Boote der mesolithischen Jäger und Sammler möglich. Die neolithischen Bauern brauchten aber wasserdichte und sehr stabil konstruierte Boote, um die schwere Fracht und die lebenden Tiere transportieren zu können. Man könnte sich Paddelboote oder Baumstämme vorstellen. Die Ladung macht es notwendig, eine Flotille von 10-15 Booten anzunehmen, die jeweils 2 Tonnen Ladung transportieren. Die Schiffe wurden gepaddelt, da Segel erst Jahrtausende später auftauchen.

Die Abreise erfolgte nach der Sommerernte und früh genug, um geeignete Flächen für die Aussaat im Spätherbst zu finden und zu roden. Die Überfahrt muss mit den Tieren an Bord so rasch wie möglich erfolgen, da die Haustiere Wasser (und Futter) brauchen. Vor allem die kräftigen Rinder lassen sich während des Transports nur schwer füttern und tränken und wären nach ein paar Tagen praktisch nicht mehr im Zaum zu halten.

Die schwere Ladung und der Paddelantrieb (4 Paddler pro Boot) sprechen bei wechselnden Wind- und Strömungsverhältnissen für eine sehr langsame Fortbewegung von ca. 15 km pro Tag. Die direkte Überfahrt vom Festland nach Kreta wäre mit Vieh an Bord nicht möglich gewesen. Dementsprechend musste eine Strecke mit Zwischenstationen auf Inseln gewählt werden.

Erfließende Argumente gegen eine Neolithisierung um die Ägäis aus der Levante

1.300 km Distanz einer Besiedlung Westanatoliens aus Levante
  • Die vorigen Autoren beziehen sich in ihrer Argumentation einer maritimen Besiedlung um die Ägäis aus Südwestasien/Levante durchwegs auf ursprünglich nur eine alte (migrationistische) Veröffentlichung aus 1991 (Broodbank und Strasser), die sich zudem auf die deutlich spätere Besiedlung Kretas von Griechenland aus bezieht.
  • Da Griechenland, Westanatolien und viele Inseln der Ägäis gleichzeitig und plötzlich besiedelt wurden erhebt sich die Frage, woher diese Menschenmengen plötzlich gekommen sein könnten. Weder in Zentralanatolien noch in der Levante gibt es einen plötzlichen und massiven Bevölkerungsrückgang. Ganz im Gegenteil gibt es in Zentralanatolien zwischen 7.500 und 6.400 v. Chr. einen kontinuierlichen Anstieg der Bevölkerung (vgl. die Grafik in → Brami (2015).
  • Eine genaue Datierung ist aufgrund des Plateaus in den Kalibrierungskurven des Radiokohlenstoffs nicht möglich (siehe oben).
  • Es ist bemerkenswert, dass Funde, die auf das Kerngebiet (Zentralanatolien, Levante, Mesopotamien) des Neolithikums hinweisen, weitgehend synchron in der Zirkum-Ägäis auftauchen: im westlichen Anatolien, Thessalien, Kreta und Mazedonien.
  • Andererseits wird vermerkt, dass die typischen Gegenstände des südwestasiatischen und zentralanatolischen Neolithikums wie Tonstempel, Figurinen, Spinnwirtel kaum zu finden sind.
  • Hacılar, am Rande des anatolischen Neolithikums gelegen, bleibt ein [möglicherweise erhellender?] Faktor. Wenn das Radiokarbondatum, das auf 8282-7468 cal BC bei 2σ rekalibriert wurde, zulässig ist, dann könnte die Stätte als akeramische neolithische Verbindung zwischen der neolithischen Kernzone [und dem Schwarzen Meer?] angesehen werden.
  • Zentralanatolien scheidet als "Quelle" zum relevanten Zeitraum aus, da dort die Rinder und Schweine im Paket fehlten. (Da die Haltung dieser Tiere genaue Kenntnisse zu deren Zucht und Haltung erfordert, kam die plötzlich auftauchende ägäische Viehzucht und -haltung nicht von dort.)
  • Die mesolithischen Jäger/Fischer/Sammler haben mit den Neolithikern keine (wenig) gemeinsame Geschichte. Sie waren zwar gute Seefahrer, aber hatten mit den Neolithikern keine familiären Verbindungen. Die in Frage kommenden Seefahrer waren jedenfalls Neolithiker. Inwiefern die südwestasiatischen / levantinischen Neolithiker vergleichbar gute Seefahrer waren, wird nirgends erörtert.
  • (Anm.: Die Besiedlung Zypern aus der Levante war vergleichsweise einfach, da die Fahrtstrecke (nur) rund 100 km beträgt. Andererseits sind dort die Rinder bald ausgestorben.)
  • Eine Kolonisierung aus der Levante in die Ägäis und deren Küsten erforderte angesichts der Strecke von ca. 1.300 km (vgl. die obige Abbildung) mehr als 100 Tage (ohne Zwischenstopps für das Weiden der Tiere...); dass die Rinder so lange auf den Booten ruhig gehalten hätten werden können, ist unwahrscheinlich (vgl. dazu heutzutage das erste "Austreiben von Rindern im Herbst".) Diese Reisedauer hätte auch enorme logistische Probleme mit sich gebracht (Getreidemengen, Aufbruch, Rodung, Aussaat usw.).
  • Die rasche und gleichzeitige Besiedlung beider Küsten der Ägäis ist wohl nur aufgrund eines enormen Migrantionsdrucks auf große Menschenmengen zu erklären.

THESE: Schwarzes-Meer-Schelf über Hacilar vor 7.400 BC neolithisch besiedelt

Die Forschungen von James Mellaart zu Hacilar

Wie dem Vorhergehenden zu entnehmen ist, kommen das südwestasiatische Gebiet / Levante als Quelle für die plötzliche und gleichzeitig erfolgte Besiedlung von Griechenland, Ägäis und Westanatolien eher nicht in Frage.

Hacılar, als deutlich ältestes und westlichstes Vorkommen von Landwirtschaft am Rand des zentral-anatolischen Neolithikums gelegen, kann aber als ursprünglich a-keramische, neolithische Verbindung zwischen der neolithischen Kernzone und dem Schwarzen Meer fungiert haben. Das Radiokarbondatum, das auf 8282-7468 cal v. Chr. bei 2σ rekalibriert wurde, passt auch zeitlich als entsprechendes Zwischenglied. Mellaart berichtet in seinem vierten Bericht (S. 72, u.) über die ältesten Schichten Harlicars: "Provisionally sheep, goat and cattle could be identified..." (Vorläufig konnten Schafe, Ziegen und Rinder identifiziert werden...) Auf der Platte XIV des 4. Berichts wird auch ein Schwein dargestellt. Damit weist Hacilar das gesamte neolithische Viehpaket auf – im Gegensatz zu jenem von Zentral-Anatolien, bei dem Rind und Schwein fehlen. Es könnte also von Hacilar das gesamte neolithische Viehpaket auf die Schelfgebiete des Schwarzen Meeres versetzt worden sein.

Im Folgenden werden die vier Berichte von Mellart zu Hacilar angeführt:

Mellaart, James:Excavations at Hacilar. First Preliminary Report, 1957.; Anatolian Studies 1958, Vol. 8; pp 127-156.

→ p. 155: "Ox, sheep, goat and pig are found in both cultures, but whereas pig is by far the most common in Thessaly, it is apparently rare at Hacilar."

Mellaart, James:Excavations at Hacilar: Second Preliminary Report, 1958.; Anatolian Studies 1959, Vol. 9; pp 51-65.

→ Dieser Bericht bringt auch Abbildungen der wunderbar bemalten Keramik.

Mellaart, James:Excavations at Hacilar: Third Preliminary Report, 1959; Anatolian Studies 1960, Vol. 10; pp 83 – 104.

p. 90 f.: In unserem "Ersten Vorbericht" (AS. VIII, 1958, S. 153-6) haben wir die Verbindungen zwischen der Hacilar- und der Sesklo-Kultur betont, wenn nicht gar überbetont. Ein Besuch in den Museen von Larisa und Athen hat gezeigt, dass zwar die Techniken und Waren praktisch identisch sind, nicht aber die Formen und gemeinsamen Motive, denn jede Kultur hat ihre eigenen Besonderheiten. Es sieht nun so aus, als ob die unbestreitbaren Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Kulturen wahrscheinlich am besten durch eine gemeinsame Abstammung und anschließende Divergenz zu erklären sind. Dazu müssen wir in eine frühere Phase zurückgehen, und es sei erwähnt, dass manche Ähnlichkeiten unübersehbar sind. Wenn dies die früheste Keramik in Griechenland ist, kann man nur sagen, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass sie nicht von Einwanderern aus Anatolien hergestellt wurde. Die Beziehungen zwischen Sesklo und Hacilar könnten vielleicht in folgendem Schema (S. 91) ausgedrückt werden, das allerdings noch durch zukünftige Ausgrabungen bestätigt werden muss.

Mellaart, James:Excavations at Hacılar: Fourth Preliminary Report, 1960; Anatolian Studies 1961, Vol. 11, pp. 39-75.

→ Dieser Bericht bringt auf den Tafeln faszinierende Abbildungen von (Göttinnen?-)Figurinen (die den späteren Figurinen von Gimbutas "Alteuropa" ähneln).

p. 72 u.: In a-keramischer Schicht: "Provisionally sheep, goat and cattle could be identified and there were a few fragments of deer antler." (Vorläufig konnten Schafe, Ziegen und Rinder identifiziert werden, und es gab einige Fragmente von Hirschgeweihen.) Auf der Platte XIV wird auch ein Schwein abgebildet.

Der Mangel an Gegenständen in den ältesten Schichten ist sehr bemerkenswert. Es wurde keine einzige Tonscherbe gefunden, und es gab auch keine Figurinen. Die üblichen Haushaltsgefäße müssen aus anderen Materialien stammen. Es wurden zwei Fragmente einer Marmorschale gefunden. Die einzigen anderen Funde sind eine polierte Axt, eine feine Knochenahle und eine Reihe kleiner Hornstein- und Obsidianklingen. Das letztgenannte Material ist fremd und musste importiert worden sein.

Die Entdeckung einer "akeramischen neolithischen" Kultur in Hacilar ist [damals] für Anatolien neu. Parallelen zwischen dem akeramischen Hacilar und dem vorkeramischen Neolithikum B in Jericho sind offensichtlich. Hier gibt es das gleiche Fehlen jeglicher Keramik, den gleichen Ahnenkult, der die Aufbewahrung von Schädeln beinhaltet, die gleichen Gipsböden, die technisch identisch sind, und einen ähnlichen Beginn der Landwirtschaft und der Domestizierung von Tieren. Zwischen den Beginn des Spätneolithikums und des Akeramikums muss ein langes Frühkeramik-Neolithikum eingeschoben werden. Typologisch müsste zumindest das akeramische Neolithikum von Hacilar dem frühesten keramischen Neolithikum vorausgehen.

Mögliche Besiedlung des Schwarzmeer-Schelfs durch die Neolithiker

Rückwärtserosion der tiefsten Mündung der Donau (Pfeil) vor der Schwarzmeer-Flut

Da der Bosporus bis vor 7.400 v. Chr. noch nicht durchgebrochen war, konnten bis zu dieser Zeit anatolische Neolithiker – vom Nordwesten der heutigen Türkei ("Hacilar"?) kommend – trockenen Fußes durch den Bosporus ziehen und sich mit dem gesamten neolithischen Paket an Tieren und Pflanzen auf den ebenen und fruchtbaren Strandplatten des Schwarzen Meeres der heutigen Türkei, von Griechenland, Bulgarien, Rumänien bis zur Ukraine niederlassen, die gegenüber dem Hochplateau von Zentral-Anatolien und Hacilar (Seehöhe um 1.000 m über NN) klimatisch viel günstiger waren. Diese Klimagunst war durch die vergleichsweise tiefe Lage (vgl. den tief liegenden ehemaligen Erosionskanal der Donaumündung in der Abbildung links) bedingt: je 100 Höhenmeter tiefer liegt die Durchschnittstemperatur um knapp 1 °C höher. Das bedeutet, dass die durchschnittlichen Temperaturen am Schwarzmeer-Schelf mit -120 m unter NN um rd. 10 °C höher lagen als in den Herkunftsgebieten Anatoliens (~1.000 m über NN). Diese klimatischen Gegebenheiten ähnelten jenen im Süden Griechenlands, der Ägäis und Westanatoliens, wie der erhellenden Darstellung der winterlichen Minimaltemperaturen im LINK zur → Grafik von Maria Ivanova-Bieg um 6.000 v. Chr. des zirkum-ägäischen Raumes entnommen werden kann.



THESE: Die Schwarzmeerflut vertreibt um 7.400 v. Chr. die dort lebenden Neolithiker

Die plötzliche Vertreibung der Neolithiker vom Schelf des Schwarzen Meeres

Küstenlinie ca. 7400 v.Chr. vor der zweiten Sintflut Anastasia Yanchilina et al., Marine Geology, 2017

Als mögliche Ursache und Quelle für die plötzliche und sehr schnelle Neolithisierung Griechenlands, der Ägäis und in der Folge von Westanatolien - mit dem gesamten Neolithik-Paket - kommt die Überschwemmung der Schelfgebiete des Schwarzen Meeres in Frage, die die dort siedelnden Neolithiker mit ihrem gesamten Agrarpaket durch die 40-60 m starke → Schwarzmeer-Flut: (evaluierende Veröffentlichung in Marine Geology aus 2017) von ihren Siedlungsplätzen innerhalb einer Generation vertrieb: siehe dazu in der Abbildung rechts → das um 7.400 v.Chr. innert kurzer Zeit überschwemmte Schwarzmeer-Gebiet von etwa 40-50.000 km².

Durch den seit dem Ende der Eiszeit laufend ansteigenden Weltmeeresspiegel wurde unvermittelt und plötzlich die Überschwemmungskatastrophe ausgelöst: Als der Meeresspiegel von seinem tiefsten Niveau von minus 120 m gegenüber heute um ca. 7.400 v.Chr. die Höhe der Sohlschwelle des Bosporus (heute 36 m unter NN) erreichte, begannen sich in kurzer Zeit enorme Wassermassen aus dem Mittelmeer via Marmarameer in das Schwarze Meer zu ergießen und dieses mit einem Anstieg von etwa 2 m pro Jahr bis auf die Höhe der Weltmeere aufzufüllen. Insgesamt waren das rd. 20-30.000 km³ – das entspricht einem Zufluss des 25fachen der Donau über 30 Jahre, einen Attersee pro Tag oder den Bodensee alle zwei Wochen. In der nebenstehenden Abbildung ist das überflutete Gebiet aber zu groß dargestellt, da der damalige Wasserzustrom ja endete, wenn der Schwarzmeerspiegel die Höhe des Weltmeeresspiegels (~ 36 m minimale Tiefe der heutigen Sohlschwelle des Bosporus) erreichte. Der weitere Anstieg des Schwarzen Meeres bis auf das heutige Niveau vollzog sich in der Folge langsamer und parallel zum weiteren Anstieg des Weltmeeresspiegels. Aber auch dieser weitere Anstieg des Schwarzmeerspiegels vertrieb kontinuierlich die noch dort lebenden Bauern auf weiteren 40.000 km².

(OFFEN: siehe auch 8,2 ka-Ereignis)

Abwanderung der Schwarzmeer-Neolithiker nach Griechenland und West-Anatolien

Nach Beginn der Überflutung des Schwarzen Meeres war der Bosporus ein "reißender" Strom, der wohl nicht einfach überquert werden konnte. Damit wandten sich die vertriebenen Neolithiker vorerst Richtung Griechenland und erst in der Folge nach der Auffüllung des Schwarzen Meeres und der Verringerung der Strömungsgeschwindigkeit im Bosporus auch nach West-Anatolien.

Die vor dem kontinuierlich und laufend ansteigenden Wasser klarerweise flussaufwärts flüchtenden Neolithiker nahmen das Agrarpaket (Getreideanbau und Viehwirtschaft: Rind, Schaf, Ziege, Schwein) mit sich und besiedelten vorerst griechisches Gebiet und hier vor allem Thessalien und in der Folge auch das südliche Griechenland, die Ägäis und dann auch West-Anatolien.

Siedlungen in Griechenland, Westanatolien und dem südlichen Balkan sind mit den folgenden Ausgrabungsstätten vertreten: vgl. die Abb. 5 auf S. 172 in Brami/Heyd: → The origins of Europe’s first farmers: the role of Hacılar and Western Anatolia, fifty years on. Praehistorische Zeitschrift (Berlin) 86/2, 2011.

Der weitere Weg der frühen Bauern nach Europa

Griechenland →Donautal →Plattensee →Mitteleuropa

Pionierbauern wanderten von Griechenland vor 6.200 v. Chr. in einer ersten Welle in die Gegenden des klimatisch gemäßigten Europas auf den Balkan und in das Karpatenbecken und gründeten dort erste Siedlungen. Diese Bauern kamen aus Griechenland sowie Mazedonien, wohin sie zuvor vom Schwarzen Meer eingewandert waren, und brachten Samen von Emmer und Einkorn, Gerste, Erbsen sowie Ziegen, Schafe, Rinder und Schweine mit, die Jahrtausende zuvor im Nahen Osten domestiziert worden waren und nun erstmals nach Europa eingeführt wurden. Zu den materiellen Merkmalen gehörten anatolisch anmutende Töpferwaren, Werkzeuge aus Feuerstein, Ornamente, Gürtelhaken aus Knochen, breithüftige weibliche Figurinen aus Ton, Roll-Stempel zum Aufpressen von geometrischen Mustern auf Textilien, Brot und menschliche Haut usw. Die erste Nordgrenze der Ausbreitung endete an der klimatischen Grenze zwischen mediterranem Klima mit griechischer bzw. mazedonischer Flora und dem kälteren, feuchteren Klima von Südosteuropa.

Etwa um 6.200 v. Chr. überschritt eine zweite Welle von Pionieren diese Grenze. Sie „hüpften“ von einem günstigen Ort zum anderen und drangen schnell durch Griechenland und Mazedonien in das mittlere Donautal vor. Ihre kleinen bäuerlichen Siedlungen im heutigen Nordserbien und Südwestrumänien werden der frühneolithischen Starčevo- und Criş-Kultur zugeordnet. Dieser Siedlungsschwerpunkt an der Mitteldonau war Ausgangspunkt für zwei Ströme von Migranten, die einerseits donauabwärts in Richtung Ost-Rumänien sowie Bulgarien und andererseits flussaufwärts entlang des Mureş und des Körös in Richtung nordöstliches Transsilvanien gingen.

Sobald sie sich etabliert hatten, diversifizierten sich die neolithischen Bauerngemeinschaften des mittleren und unteren Donautals und entwickelten unterschiedliche regionale Kulturen. Südlich der Donau entstand auf der Hochebene im Balkangebirge in Karanovo eine Siedlung, die während des Balkan-Neolithikums und der Kupferzeit (6.200-4.300 v. Chr.) fast durchgehend bewohnt war. Wie zuvor ging die Ausbreitung der bäuerlichen Gemeinschaften nur bis zu einem gewissen Punkt und kam dann zum Stehen. Auf die anfängliche Phase schneller, weiträumiger Siedlungsbewegungen folgte eine Konsolidierungsphase. In Ungarn ergab sich südlich des Plattensees wiederum eine Grenze, die mindestens fünfhundert Jahre lang von etwa 6100 bis 5600 v. Chr. Bestand hatte.

Um 5.600-5.500 v. Chr. setzte eine weitere, dritte Welle der Kolonisation ein, die Ackerbau und Viehzucht über die Karpaten hinaus in kürzester Zeit bereits bis 5.200 v. Chr. bis an die nördlichen und westlichen Grenzen von Polen, Deutschland und Nord-Frankreich, aber auch in die Schweiz und nach Österreich brachte (vgl. die Grafik). Diese neuen Pioniere in Mittel- und Nordeuropa – die sogenannten Linearbandkeramiker – schätzten weiterhin den Spondylus-Muschelschmuck aus ihrer ehemaligen Heimat, was einen intensiven Muschelhandel befeuerte, der sich zwischen 5.500-5.000 v. Chr. von Griechenland bis nach Deutschland und Nordfrankreich erstreckte.

OFFEN Windler 2018, Arne:Der Austausch von Spondylus gaederopus in Europa zwischen 5500 und 5000 v. Chr. Eine ökonomische Analyse. Diss. Univ. Bochum; VML Verlag Marie Leidorf 2018. 227 Seiten (S. 84: Spondylus-Funde im Zeitverlauf; Funde in Nieder-, OÖ, CH, D; 31 x Österreich)

Die Neolithiker erreichten wegen ihrer höheren Bevölkerungsdynamik (absolut höhere Kinderzahl je Frau wegen anderer Ernährung der Kleinkinder) im Vergleich zu den (wenigen) Jägern und Sammlern bald einen entsprechenden Überhang an der Gesamtbevölkerung und durch (friedfertige) Vermischung auch am Genpool der damaligen Bevölkerung.

Dort wirtschafteten sie bevorzugt mittels Brandrodung in Lößgebieten und bewirkten so die "neolithische Revolution". Eine von deren Gruppen entwickelte um 4.300 v. Chr. vor allem an ehemaligen Gletscherseen (ehemaliger Egolzwilersee, Zürichsee – Kleiner Hafner und Limmat) die hydrologische Innovation der Bewirtschaftung von Alpenrandseen und wurden zu unseren "Pfahlbauern" (vgl. hierzu das eigene Kapitel → "Die Kanal-Pfahlbauern-Kultur").

Gimbutas erkennt bei ihnen eine ausgeprägte matrilineare, matriarchalische Gesellschaftsstruktur. Funde von Schlichtherle zeigen ebenfalls in diese Richtung: → Älteste Wandmalereien nördlich der Alpen. (Ludwigshafen, Pfyner Kultur, ~3860 v. Chr.; Ebenso: „Mitten im Leben“, in: 4000 Jahre Pfahlbauten, Begleitband zur Landesausstellung Baden-Württemberg 2016. Siehe auch Universum History: "Rätselhafte Pfahlbauten - Versunkenes Erbe der Steinzeit": ORF 2, 29.4.2022.)



Pflanzen und Tiere der Neolithiker

Prof. Dr. Helga Oeser → Pflanzen der Steinzeit: Unter der Leitung von Prof. Dr. Helga Oeser entstand in den Jahren 2015–2016 am Pfahlbaupavillon in Attersee am Attersee ein Schaugarten, der anschaulich demonstriert, mithilfe welcher Pflanzen sich die Menschen am Attersee um etwa 4000 v. Chr. ernährt, Krankheiten behandelt und Textilien gefärbt haben mögen.

VARNA: erste Hochkultur der Welt im Südosten Europas (~5.000–4.200 v. Chr.)

Umfassende Präsentationen der Varna-Kultur 2010 und 1982

Anthony 2010, David W. & Jennifer Y. Chi (Hrsg.): → The Lost World of Old Europe. The Danube Valley, 5000–3500 BC Princeton Univ. Press, 2010.


Ivanov 1982, Ivan: → The First Civilisation in Europe and the Oldest Gold in the World – Varna, Bulgaria. Nipon Television Network Cultural Society, 122 pages.

Besonders interessante, relevante Aussagen:

  • Die kupferzeitliche Nekropole von Varna befindet sich im westlichen Industriegebiet der Stadt Varna, etwa 500 Meter von der Nordküste des heutigen Sees entfernt, der während der Kupferzeit eine Meeresbucht war, die 20 Kilometer ins Festland hineinreichte. Bislang wurden mehrere Siedlungen vom Pfahlbautyp entdeckt. Sie wurden entweder im Wasser oder der Küste errichtet und hatten mit einer Länge von bis zu 500 Metern eine beachtliche Größe.
  • Die überwiegende Zahl an Funden in der Nekropole sind die Goldgegenstände. Es handelt sich um mehr als 2000 Stück mit einem Gesamtgewicht von etwa 6 Kilogramm. Heutzutage würden die Goldschmiede die schlichten Formen als sehr schwer herzustellen ansehen. Dies ist auch auf den hohen Reinheitsgrad des Goldes – etwa 23,5 Karat – zurückzuführen. Bei den Goldgegenständen handelt es sich zweifellos um die Arbeit von professionellen Handwerkern. Die große Anzahl von Goldwaren in der Nekropole spricht für eine bestehende Werkstatt in der Region. Wahrscheinlich entstand dort die Technologie und die Form der Goldgegenstände, die in den Nachbarländern gefunden wurden: im heutigen Rumänien, Jugoslawien, in der Slowakei usw.
  • Die in der Nekropole gefundenen Kupferwerkzeuge und -ornamente zeigen die Entwicklung des Kupferbergbaus und der hochwertigen Metallurgie. Die Spektralanalyse der meisten Funde bringt das Metall eindeutig mit den Kupferminen in der Nähe des heutigen Stara Zagora in Verbindung.
  • Ein beträchtlicher Teil der Funde in der Nekropole sind Feuersteinwerkzeuge. Unter ihnen überwiegen die Flachmesser, einige von ihnen sind bis zu 44 cm lang. In Anbetracht der Zerbrechlichkeit dieser Werkzeuge wurden sie als solche kaum benutzt, sondern sind Ausdruck der Geschicklichkeit des Herstellers. Die Technik des Schneidens und der Herstellung dieser Werkzeuge wurde zu dieser Zeit vollständig beherrscht.
  • Von außergewöhnlicher Machart und Form sind die Perlen aus Bergquarz, die gefunden wurden. In der Härte steht Quarz den echten Edelsteinen in nichts nach, aber die alten Handwerker verstanden es, kleine Perlen in Form einer Doppelpyramide herzustellen. Einige der Perlen wurden mit bis zu 22 polierten Facetten hergestellt.
  • Symbolische Gräber sind einem Gott der Viehzucht und der Mutter-Göttin „continuator“ („Fortsetzerin, Weiterführerin“) des Clans gewidmet.
  • Ein gutes Beispiel für das soziale System ist der enorme Reichtum einiger Gräber. Wenn man bedenkt, dass die Bestatteten nur mit ihren persönlichen Habseligkeiten und nicht mit ihrem gesamten Besitz und Vermögen in die Erde gelegt wurden, können wir uns ihre große soziale Macht vorstellen. Die grundlegenden Mittel zur Anhäufung von Vermögen waren die Metallurgie von Kupfer und von Gold und der Handel.
  • Bei der technologischen Analyse der Funde wird deutlich, dass die Objekte das Werk geschickter Fachleute sind, die sich meist auf ein bestimmtes Handwerk spezialisiert haben. In bestimmten Bereichen gibt es Belege dafür, dass es auch eine berufliche Differenzierung gab. Dies gilt für den Abbau und die Verarbeitung von Kupfer. Eine Gruppe von Arbeitern grub in offenen Minen nach Kupfer, eine andere goss das Metall und eine dritte Gruppe stellte an einem anderen Ort die notwendigen Werkzeuge und Verzierungen her.
  • Das galt nicht nur für die Kupferschmiede, sondern auf für die Goldschmiede, die Feuersteinmacher und die Juweliere.
  • Eine wichtige Rolle für das gesellschaftliche Wachstum spielte der Handel. Vor zwanzig Jahren wurde am Ufer des Dniestr ein Schatz von 444 Kupfergegenständen gefunden. Die Analyse des Metalls zeigt definitiv einen Ursprung – die Minen rund um das heutige Stara Zagora. So kann man sich leicht den Weg vom Landesinneren zu den Seen bei Varna vorstellen, dann entlang der Meeresküste weit in den Norden.

Die Entwicklung dieser ersten Hochkultur

Cucuteni-, Varna-Kultur; Ausbreitungs-Wellen; Spondylus-Funde; links oben "Der Denker"; rechts unten "Figurinen"
Goldobjekte aus Varna. a) Blatt-vergoldete Kupferperle aus Grab Nr. 41; b) Goldperle aus Grab Nr. 4 (mit Wachsausschmelzverfahren hergestellter Hohlkörper; c) Ringidole aus Grab Nr. 271 (mit 16 cm Durchmesser); d) Goldperlen aus Grab Nr. 43 (adaptiert nach Leusch et al. 2014 © CC BY-NC-ND 4.0 von B. Armbruster und V. Leusch)

Dieser Link: → Die erste Hochkultur Alteuropas 5000 v. Chr. im Südosten und deren Untergang bringt das nachfolgend kompakt Dargestellte ausführlicher und detaillierter und mit den wesentlichen Ereignissen (ca. 10 Schreibseiten).

Lange vor Griechenland und Rom, noch vor den ersten Städten Mesopotamiens oder den Pyramiden am Nil, lebten im unteren Donautal und im Balkanvorland Menschen, die ihrer Zeit in Kunst, Technik und Fernhandel weit voraus waren. Um 5.000 v. Chr. bestanden die verstreuten Bauerndörfer Bulgariens und Südrumäniens aus größeren Dörfern mit mehrstöckigen Häusern mit gerodeten, kultivierten Feldern, umgeben von Rinder-, Schweine- und Ziegen-/Schafherden. Marija Gimbutas machte Alteuropa für seine Göttinnen berühmt. Haushaltskulte, die durch breithüftige weibliche Figurinen symbolisiert wurden, waren im gesamten Alteuropa verbreitet. Die Töpfer erfanden Brennöfen, die mit Holzkohle Temperaturen von 800 bis 1.100 °C (mit Blasbälgen) erreichten. Diese Töpferöfen führten auch direkt zur Metallurgie. Schon vor 5.000 v. Chr. lernten die Schmiede des Balkan, dass sich Kupfer bei einer Temperatur von 1.100 °C in eine zähe Flüssigkeit verwandelt und dann in Formen gegossen werden kann. Gut gefertigte gegossene Kupferwerkzeuge wurden zwischen 4.800 und 4.300 v. Chr. in ganz Südosteuropa verwendet und getauscht: in Ostungarn, Serbien, Westrumänien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien und Ostrumänien, was dieser Kulturstufe die Bezeichnung „Kupferzeit“ brachte.

Das bronzezeitliche Griechenland wird häufig als erste europäische Zivilisation angesehen, aber noch vor Troja waren die mit Gold gefüllten Gräber in Varna bereits fünfzehnhundert Jahre alt. Viel früher als allgemein anerkannt, erreichte Alteuropa hohes zivilisatorisches Niveau an technischem Können, innovativer Metallurgie, künstlerischer Kreativität, überraschend modern aussehender Keramikkunst, sozialer Komplexität und rätselhaften (religiösen) Ritualfiguren (Figurinen).

  • Im - doppelseitig gescannten - Katalog The Lost World of Old Europe. The Danube Valley, 5000–3500 BC der internationalen Ausstellung 2009-2010 am Institute for the Study of the Ancient World an der New York University ist eine umfassende Darstellung der faszinierenden Kulturleistungen samt Abbildungen von Alteuropa enthalten.

Der "goldene Mann" in Grab Nr. 43 von Varna, Bulgarien (4600 – 4300 v.Chr.)

Varna, Grab 43, Museum Varna
Varna, Grab 43, Grabbeigaben
Varna, Grab 43, Goldschmuck

Die Nekropole von Varna ist eine Begräbnisstätte westlich von Varna (etwa ½ Kilometer vom Varna-See und 4 km vom Stadtzentrum entfernt), die international als eine der wichtigsten archäologischen Stätten der Weltvorgeschichte gilt. Hier wurden die ältesten Goldschätze und Schmuckstücke der Welt entdeckt, die aus der Zeit zwischen 4.600 und 4.300 v. Chr. stammen. Der Goldschatz von Varna ist der größte und vielfältigste. In der Nekropole wurden insgesamt 294 Gräber gefunden, von denen viele hochentwickelte Beispiele der Metallurgie (Gold und Kupfer), Töpferwaren (etwa 600 Stück, darunter auch mit Gold bemalte), hochwertige Klingen aus Feuerstein und Obsidian, Perlen und Muscheln enthielten. Die Gräber wurden mittels Radiokarbondatierung auf 4569-4340 v. Chr. datiert.

"Varna ist das älteste bisher gefundene Gräberfeld, in dem Menschen mit reichlich Goldschmuck bestattet wurden. ... Das Gewicht und die Anzahl der Goldfunde im Friedhof von Varna übersteigt um ein Vielfaches das Gewicht und die Anzahl aller Goldartefakte, die in allen ausgegrabenen Stätten desselben Jahrtausends, 5000-4000 v. Chr., in der ganzen Welt, einschließlich Mesopotamien und Ägypten, gefunden wurden. Drei Gräber enthielten Goldobjekte, die zusammen mehr als die Hälfte des Gesamtgewichts aller goldenen Grabbeigaben des Friedhofs ausmachten. In jedem dieser drei Gräber wurde ein Szepter, das Symbol einer obersten weltlichen oder religiösen Autorität, entdeckt." (Slavchev 2010)

Varna - Typische Metallobjekte: Goldapplikationen, goldene Schmuckketten, Perlen, Ringe, Armringe, Spangen, steinernes Axtszepter mit vergoldetem Schaft, kupferne Beile, Spitzen und Hammeraxt

Die Funde zeigen, dass die Varna-Kultur Handelsbeziehungen mit fernen Ländern unterhielt (bis zur unteren Wolga und den Kykladen) und sie exportierte Metallwaren und Salz aus einem Steinsalzbergwerk. Das für die Artefakte verwendete Kupfererz stammte aus einer Mine bei Stara Zagora. In den Gräbern wurden auch mediterrane Spondylus-Muscheln gefunden.

Die Kultur verfügte über tiefe religiöse Vorstellungen über das Leben nach dem Tod und hatte hierarchische Statusunterschiede entwickelt. Der Fundort bietet die ältesten bekannten Belege für die Bestattung eines Elite-Mannes (Marija Gimbutas sagt, dass zum Ende des fünften Jahrtausends v. Chr. die Entwicklung zur männlichen Dominanz in Europa begann). Der hochrangige Mann, der mit der bemerkenswertesten Menge an Gold bestattet wurde, hielt eine Kriegsaxt oder einen Streitkolben in der Hand und trug eine goldene Penishülle. Stierförmige Goldplättchen könnten auch der Männlichkeit, der Triebkraft und der Kriegsführung gedient haben. Gimbutas geht davon aus, dass die Artefakte größtenteils von lokalen Handwerkern hergestellt wurden.

Gimbutas (1991) zufolge "sind die Diskontinuitäten der Kulturen von Varna, Karanovo, Vinča und Lengyel in ihren Hauptgebieten und die großflächigen Bevölkerungsverschiebungen nach Norden und Nordwesten indirekte Beweise für eine Katastrophe von solchem Ausmaß, dass sie nicht durch mögliche klimatische Veränderungen, Landverödung oder Epidemien erklärt werden kann. Direkte Beweise für den Einfall von Reiterkriegern finden sich nicht nur in einzelnen Bestattungen von Männern unter Grabhügeln, sondern in der Entstehung eines ganzen Komplexes von kurganischen Kulturmerkmalen."

Chapman (2006): "Vor nicht allzu langer Zeit wurde allgemein angenommen, dass Steppennomaden aus der nordpontischen Zone in den Balkan eindrangen und dem Gipfelpunkt der kupferzeitlichen Gesellschaft ein Ende bereiteten, die den Höhepunkt des Lebens auf den Tell-Siedlungen, eine autonome Kupfermetallurgie und als größten Höhepunkt das Gräberfeld von Varna mit seinen beeindruckenden frühen Goldschmiedearbeiten hervorbrachte. Nun sieht es so aus, dass der Varna-Komplex und die mit ihm verbundenen Gemeinschaften für den Beginn der Bestattungen mit Prestigegütern in der Steppe – nach der Ausbreitung der Viehzucht – verantwortlich zu machen sind."

Unter den metallischen (Gold und Kupfer) und nichtmetallischen (Mineralien, Steine, Keramik, Farbstoffe) Artefakten in den Gräbern der kupferzeitlichen Fundstätte von Varna befinden sich zahlreiche Perlen aus Karneol und Achat. Karneol und verwandte Perlen des Typs 2 haben eine "konstante" Anzahl von 32 Facetten - 16+16 auf beiden Seiten der länglichen Perle, was wahrscheinlich als die früheste komplexe Facettierung eines so harten Minerals im Chalkolithikum gilt (die Härte von Karneol beträgt 6,5-7 auf der Mohs-Skala). In der Bohrung einer einzigen Karneolperle wurde ein Minizylinder aus Gold (~2x2 mm) gefunden. Die Goldartefakte werden aufgrund ihres Gesamtvolumens und ihrer Menge als das "älteste Gold der Menschheit" angesehen.

Populäre Darstellung der ältesten Hochkultur Europas (Haarmann 2011)

Haarmann 2011, Harald: → Das Rätsel der Donauzivilisation. Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas. 2011, 289 Seiten (mit über 100 Abbildungen und Karten). durchsuchbar: z.B. Pelasger; Webstuhl usw. [2. Quelle: Harald Haarmann: → Das Rätsel Der Donauzivilisation – Die Entdeckung der Ältesten Hochkultur Europas]


Webstuhl (Gimbutas 1991: p. 61; Haarmann S. 115

Haarmann zeichnet ein ausgesprochen positiv gefärbtes Bild der Donaukultur und neigt daher immer wieder zu einer Idealisierung. Deswegen wird es von der wissenschaftlichen Archäologie und auch der Linguistik als zu ungenau beurteilt.

Trotzdem wird – mit Ausnahme der archäologischen Aussagen und der „Donauschrift“ – auf dieses gut lesbare, nie langweilig werdende Buch hingewiesen, da es bis dato keine vergleichbare Darstellung der „Donaukultur“ gibt. Das Buch ist schon wegen der vielen faszinierenden Bilder und Grafiken der Donaukultur lesenswert.

Er behandelt den Übergang zum Neolithikum in Europa (ca. 7500-5500 v.Chr.) und wie der Ackerbau über die Landbrücke am Bosporus nach Europa kam. Haarmann gibt einen recht soliden Überblick über die materielle Kultur des südosteuropäischen Neolithikums. Er rekonstruiert das Wirtschaftsleben der Donauzivilisation und geht auch auf das Kunsthandwerk und das Handwerk (Weberei, Keramik, Metallverarbeitung) ein. Es wird auch dargestellt, dass es erste zweistöckige Häuser gab.

Zum „Niedergang und Ende der Donauzivilisation“ schreibt Haarmann auf S. 233:

  • „Chronologisch steht die Einführung der elitären Clan-Ordnung der Leute aus der Steppe am Anfang der Umwälzungen. Damit begann der interne Umschwung der gesellschaftlichen Verhältnisse Alteuropas. Vor der Umstellung auf die Viehhaltung als bevorzugter Wirtschaftsform waren die Bewohner in den alten Siedlungen wahrscheinlich von einer Verknappung der Nahrungsreserven betroffen. Soziale Unruhen und die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen in der Geschichte Alteuropas waren vermutlich die Folge. Nur so lassen sich wohl die Brandspuren in vielen verlassenen Siedlungen erklären. In den neuen Siedlungen im Flachland, die deutlich kleiner waren als die Tell-Siedlungen und die auch weniger Bewohner hatten, wurden die Werkstätten für Keramikherstellung und die Schmieden für Kupfer und Gold nicht mehr aufgebaut. Diese Handwerkszweige lagen eine Zeitlang brach und man kann nur darüber spekulieren, wie viel von dem einstigen Know-how während der Periode der Umwälzungen überlebte (Chernykh 1992: 52).“

Rezensionen:

  • Raphael Brendel: Die Leistung Haarmanns besteht darin, dass ihm ein gut lesbares und nie langweilig werdendes Buch gelungen ist.
  • Detlef Gronenborn: Der Autor beschreibt die Entstehung der einzelnen angesprochenen Kulturen, dann folgen Kapitel zum „Wirtschafts- und Lebensraum“, zu „Handwerk und Kunst“ oder zu „Religion und Mythologie“. Hier erhält der Leser einen recht soliden Überblick über die materielle Kultur des südosteuropäischen Neolithikums.
  • Hendrik Hennicke: Haarmann zeichnet das Bild einer kulturellen Blüte im Herzen Europas, das unser Weltbild möglicherweise nachhaltig verändern wird. Einige seiner Thesen (Große Flut, matrifokale Sozialordnung, früheste Schrift) müssen hinterfragt werden, schmälern jedoch seine reich bebilderte Darstellung in keiner Weise.
  • Florian Klimscha als damaliger Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts beweist in: "Das Altertum 57, 2012:145–154" dem Linguisten Haarmann, dass dieser kein studierter Ur- und Frühgeschichtler ist. Die Kernaussage des Textes ist schnell zusammengefasst: Nach einer ersten, relativ kurzen Einwanderung aus Anatolien entstand im Südosten Europas eine Hochkultur, die mit mehreren „Regionalkulturen" zu umschreiben sei (S. 51). Daraus habe sich ohne Beeinflussung aus Vorderasien eine Hochkultur, die sog. „Donauzivilisation", gebildet. Die „Donauzivilisation" habe über eine egalitäre Gesellschaftsstruktur, weit verzweigte Handelsnetze, deren „erwirtschafteter Überschuss" in die Gemeinschaft investiert wurde, mathematische Zeichen, Schrift und größere Städte als Mesopotamien verfügt. Der archäologische Teil des Buches ist vielfach ungenau und fehlerhaft und basiert auf einer mitunter merkwürdigen Auslegung bekannter Funde. Der Autor zeigt viel Unsicherheit bzgl. einzelner Kulturen und bei archäologischen Fachbegriffen. Eine Bewertung des Buches von Haarmann ergibt einen wenig positiven Eindruck, denn die beschreibenden Teile weisen eine erhebliche Menge an Fehlern, Ungenauigkeiten und Missverständnissen auf. Es wird archäologisch kein guter Überblick gegeben.
  • Salomon 2012/13, Corinna: → Donauschriftforschung gestern und heute: Harald Haarmanns Einführung in die Donauschrift (2010). Die Sprache 50; 2012/13:83–125. (S. 99–118: Harald Haarmann und die Donauschriftforschung.)
    • Der Wert, den Haarmanns „Sprachliche Spuren“ haben kann und sollte, ist ein Einstiegs in die Materie und eines (eingeschränkten) Überblicks über die relevante Literatur. Es ist anzunehmen, dass die Einführung der Beförderung der Donauschrift-Theorie in der Öffentlichkeit zu-, in der scientific community jedoch abträglich sein wird, da Haarmanns spekulativer Zugang Laien enthusiasmieren, Fachleute aber nur weiter abschrecken kann.

Viehzüchter bringen 4.200 Rückschlag (Suvorovo), 3.300 v.Chr. Ende (Jamnaja)

Ausgehend von ihren Forschungen zur Kurgan-Kultur hat sich Marija Gimbutas in der Folge auch mit der früh blühenden Kultur des "Alten Europas" im Südosten intensiv auseinandergesetzt, die später in mehreren Wellen von kriegerischen Steppenkulturen (um 4.200 v. Chr,) und insbesondere den kriegerischen Jamnaja-Leuten (Kurganern; um 3.300 v. Chr.) verdrängt und überlagert wurde. Inwieweit diese Vermischung der Kulturen bis heute und in welchen Bereichen nachwirkt, hat wesentliche Auswirkungen auf unser Selbstverständnis gegenüber der Umwelt und unser Zusammenleben.

Der magische Aspekt der Kupfergewinnung (aus einem grünen Stein) und die Nachfrage nach Kupfergegenständen förderte den Handel. Der Fernhandel mit Kupfer und Fertigprodukten bewirkte inter-regionale Politik und gegenseitige Abhängigkeit in ganz Alteuropa und sogar mit den Steppengebieten nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres.

Um 4.300-4.100 v. Chr. kam es zu ersten Invasionen aus den Steppen der Ukraine und mehr als 600 Siedlungen im unteren Donautal und Ostbulgarien wurden dabei niedergebrannt. Die eindringende Gruppe wird wegen ihrer Gräber als Suvorovo-Kultur bezeichnet, nach einem Grab in Suvorovo (Ukraine) nördlich des Donaudeltas, in dem ein Mann mit einem steinernen Keulenkopf in Form eines Pferdes (Pferdekopf-Szepter) bestattet wurde.

Danach ist das Balkanhochland leer und es lassen sich zwischen 3.900 und 3.300 v. Chr. keine dauerhaften Siedlungen mehr nachweisen. Verbrannte Siedlungen enthalten menschliche Skelette, die als massakriert angesehen werden. Die letzte kupferzeitliche Zerstörungsebene bei Karanovo VI. enthielt 46 menschliche Skelette, die ebenfalls als Massaker gedeutet werden. Die kupferverarbeitenden Kulturen in Mitteleuropa wechseln um 4.000 v. Chr. zu serbischen Erzen. Metallgegenstände wurden nun aus neuen arsenhaltigen Bronze-Legierungen hergestellt. Der Stil von Keramik und Metallgegenständen änderte sich deutlich. Die Migration aus den Steppen hat zur gleichen Zeit wie dieser Zusammenbruch stattgefunden. "Wir haben es mit der vollständigen Ersetzung einer Kultur zu tun" sagt ein führender Experte für kupferzeitliche Metallurgie. Es war "eine Katastrophe von kolossalem Ausmaß ... eine vollständige kulturelle Zäsur", so eine bulgarische Archäologin.

Mobile Hirtenvölker der Jamnaja-Kultur, die um 3.400-3.300 v. Chr. die zweite Invasion aus den Steppen vortrugen, praktizierten eine neue und revolutionäre Hirtenwirtschaft, die auf Wagen und Pferden basierte, und errichteten Kurgane (Grabhügel) auf den grasbewachsenen Flächen, auf denen sich die letzten Siedlungen der Alteuropäer befunden hatten; ihre Vettern wanderten das Donautal hinauf nach Bulgarien und sogar Ungarn und hinterließen sichtbarere archäologische Zeugnisse als die kleinere Suvorovo-Invasion tausend Jahre zuvor.


Neolithikum, Eneolithikum und Übergangsperiode in Bulgarien (Todorova 1995) OFFEN

Todorova 1995, Henrieta:: → The Neolithic, Eneolithic and Transitional Period in Bulgarian Prehistory. In: D. W. Bailey et al. (eds.): Prehistoric Bulgaria. Monographs in World Archaeology 22 (Madison) 1995:79–98.

Die zur LBK parallele Neolithisierung des Mittelmeers bis in die Südwest-Schweiz

Rasante Besiedlung des westlichen Mittelmeers: eigene Bearbeitung

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Um 7.000 v. Chr. wird das südwestasiatische Neolithikum erstmals westlich der Kernzone sichtbar. In Zentralanatolien gab es seit dem 9. Jt. v. Chr. bäuerliche vorkeramische Gemeinschaften, und so ist es bemerkenswert, dass es westlich von Zentralanatolien bis etwa 7000 v. Chr. keine Nachweise für Landwirtschaft gibt.

Das Aufkommen des Ackerbaus in der Ägäis trat zwischen 7.000 und 6.500 v. Chr. abrupt auf und etwa zeitgleich mit dem Höhepunkt der späten Vorkeramik-Gemeinschaften in Zentralanatolien. Die frühen Bauerngemeinschaften in der Ägäis wurden von see- und landgestützten Kolonisten gegründet, die aus dem südwestasiatischen Präkaeramik-Kern ausgewandert sind.

Von der Ägäis aus verbreitete sich die bäuerliche Lebensweise in Europa entlang zweier unterschiedlicher Achsen. In der nördlichen Ägäis bewegte sie sich nach Norden in Richtung Donau . Diese Bewegung ist zwischen 6.200 und 6000 v. Chr. anzusiedeln; die daraus resultierenden Starčevo-Körös-Criș- und Karanovo-Komplexe weisen wirtschaftliche und materielle Parallelen zu den früheren neolithischen Fundorten im Süden auf.

Die zweite Achse der Bewegung verlief nach Westen: über den Pindos, in die Adria und schließlich in Richtung Tyrrhenisches Meer und westliches Mittelmeer. Der mutmaßliche Ausgangspunkt dieser Küstenachse ist die südwestliche Balkanhalbinsel. Im Allgemeinen sind dort die Belege für die frühe Landwirtschaft aber nur spärlich.

Insgesamt zeigen diese Funde eine zunehmende neolithische Präsenz an der westlichen Balkanküste, die zeitlich mit der anderen terrestrischen Ausbreitung der bäuerlichen Lebensweise nach Norden zusammenfällt. In den folgenden Jahrhunderten kam es zu einer explosionsartigen Übertragung des neolithischen Lebensstils von der südwestlichen Balkanküste nach Norden in die Adria und nach Nordwesten über das Ionische Meer auf die italienische Halbinsel.

Die ersten Belege für eine bäuerliche Wirtschaft in Verbindung mit charakteristischer Keramik stammen von Küstenstandorten entlang der dalmatinischen Küste mit ~6000 v. Chr. Die Ausbreitung erfolgte extrem schnell und die Funde in Norddalmatien und Istrien sind mit jenen in Montenegro synchron. Dass es sich dabei um einen Küstenprozess handelt – und nicht um einen terrestrischen wie beim Vormarsch nach Norden in Richtung Donau – wird durch widerstandsfähige mesolithische Jäger- und Sammlergemeinschaften im gebirgigen Landesinneren nahegelegt.

Nach der Besiedlung Italiens erfolgte auch jene Siziliens im 6. Jt. v. Chr. Die Besiedlung der Inseln um Sizilien herum erfolgte eher in der zweiten Hälfte des 6. Jt. v. Chr. und hängt mit der Wachstumsdynamik auf der großen Insel zusammen.

Ankunft des Ackerbaus im westlichen Mittelmeerraum 5.800–5.500 v. Chr.

Das erste Auftreten der südwestasiatischen Domestiken und der damit verbundenen Wirtschaftsweise an der westlichen Mittelmeerküste lässt sich zw. 5.800 und 5.500 v. Chr. eingrenzen. Die erstaunliche Geschwindigkeit dieser Übertragung von Süditalien bis an die portugiesische Atlantikküste und auch das Verstehen der zugehörigen Akkulturationsprozesse sind zu erforschen.

Der sardisch-korsische Zeithorizont von 5.800 v. Chr. stimmt mit den frühesten Daten aus Ligurien und Südfrankreich überein. Rezent wird der Zeitraum von 5.800–5.600 v. Chr. für die Neolithisierung des Küstenstreifens entlang des Ligurischen Meeres und des Golfs von Lyon bestätigt. Die wichtigsten Küstenorte weisen neolithische Lebens- und Wirtschaftsformen auf und es ist keine Ost-West-Grenze zu erkennbar. Das kann nur auf eine sehr schnelle Übertragung der bäuerlichen Lebensweise entlang der Mittelmeerküste zurückgeführt werden.

Bezüglich Liguriens wäre nicht nur eine Übertragung von der Küste über das Tyrrhenische und das Ligurische Meer möglich, sondern auch die Möglichkeit, dass die bäuerliche Lebensweise von der nördlichen Adria entlang der Poebene kam. Die jüngsten Analysen der Poebene-Daten deutet jedoch darauf hin, dass sich die Landwirtschaft in dieses Gebiet langsam von Osten und Süden her ausbreitete und deren früheste Radiokarbondaten sind jünger als die der ligurischen Küste.

Dieses extrem schnelle Tempo setzte sich auch südlich der Pyrenäen fort. Analysen deuten auf eine zeitliche Lücke zwischen den letzten Jägern/Sammlern und den ersten neolithischen Funden an der östlichen iberischen Küste hin, wobei letztere auf ~5.600 v. Chr. datiert sind. Die frühesten neolithischen Funde aus Andalusien in Südspanien zeigen 5.600–5.500 v. Chr.
Die ältesten Daten westlich der Straße von Gibraltar liegen um oder knapp nach 5.500 v. Chr.

In Taï in Südfrankreich wurden neben Nacktgerste und einer Nacktweizenart (Triticum aestivum) auch Einkorn und Emmer sowie Linsen und Erbsen nachgewiesen, ein Muster, das sich im gesamten neolithischen Siedlungsgebiet entlang der iberischen Küste gleich wiederholt. Rinder und Schweine sind unterrepräsentiert – wie häufig in den frühesten neolithischen Küstensiedlungen zugunsten von Ziegen und Schafen. Das hängt sicher auch mit dem viel schwierigeren Transport von Rindern und Schweinen über das Meer zusammen.

In nur 1 1/2 Jahrtausenden zwischen etwa 7000 und 5500 v. Chr. breitete sich das südwestasiatische Neolithikum von der Levante und Anatolien bis zur Atlantikküste Spaniens aus. Das ist eine Entfernung von über 3000 km.

Die Bewegung der mediterranen Neolithiker bis in die Südwest-Schweiz

Die Kulturen im oberen Rhonetal 5.500–5.200 cal. BC

Dallaire 2022, Marc-Andre: → Neolithisation in the Northern French Alps. Open Archaeology 2022.

Die ersten Anzeichen der Neolithisierung in den nordfranzösischen Alpen werden zwischen 5.500 und 5.350 cal.BC beobachtet, nachdem sie sich vom Mittelmeerraum aus in einem unregelmäßigen Rhythmus nordwärts entwickelt hatte.

Das Thema ist komplex, da es eine zeitliche und geografische Nähe zwischen den letzten mesolithischen, einheimischen Jäger-Sammler-Gruppen und der Ankunft der ersten Agropastoralisten in den Regionen mit wechselseitiger Akkulturation zu geben scheint.

Einige Fundstätten bieten daher Pfeilspitzen-Assemblagen, die als "gemischte Sets" bezeichnet werden, in denen charakteristische Merkmale der spät-mesolithischen Jäger und Sammler und den frühen Neolithikern gemeinsam auftauchen.

Einige Fundstätten bieten daher Pfeilspitzen-Assemblagen, die als "gemischte Sets" bezeichnet werden, in denen charakteristische Merkmale beider Gruppen gemeinsam auftauchen.

Um diese Zeit erscheinen diese „gemischten Sets“ der Pfeilspitzen auch im Schweizer Jura und dem Schweizer Plateau.

Nach einer Phase von rd. 200 Jahren gehen diese Misch-Kulturen gänzlich im Neolithikum auf. In Nordost-Frankreich dem "Cardial", in der Schweiz im „Rhone-Frühneolithikum“.

Die Schweiz am Schnittpunkt von mediterraner Kardial-Kultur und LBK

früheste Besiedlung Südfrankreichs 5800–5200 cal.BC
Schmelztiegel Schweiz Jura/Plateau 5200–4650cal.BC

Hamon 2020, Caroline; Manen, Claire: → Mechanisms of Neolithisation of Western Europe: Beyond a South/North Approach. Open Archaeology 2021.

Die frühesten bäuerlichen Gemeinschaften wurden im westlichen Mittelmeerraum zwischen 5800 und 5600 v. Chr. gegründet. Diese Gruppen von Pionierkolonisten bestanden aus kleinen Familienverbänden, deren Wirtschaft weitgehend auf der Schaf- und Ziegenzucht und dem Anbau von Emmer beruhte. Die technischen Produkte dieser Gemeinschaften weisen deutliche Verbindungen zum Komplex der "Impresso-Ware" in Italien auf und lassen auf unterschiedliche Herkunftsgebiete schließen. Die Funde von Gegenständen, die mehrere hundert Kilometer entfernt erworben oder hergestellt wurden (Obsidian und Keramik), untermauern die Bewegung von Pioniergruppen innerhalb des Mittelmeerraums. Diese Pioniergemeinschaften reproduzierten das technische und wirtschaftliche Modell Italiens.

Um 5500-5400 cal. v. Chr. etablierte sich in Südfrankreich und in Spanien ein neuer kultureller und sozialer Komplex, die Kardial-Kultur. Ab etwa 5200 v. Chr. treten parallel zu einer deutlichen Zunahme der Besiedlungsdichte deutliche Regionalisierungserscheinungen auf. Aus dieser Zeit stammen auch Hinweise auf Interaktionen zwischen den mediterranen und kontinentalen Kulturkomplexen.

Um den Erfolg ihrer Kolonisierungsbemühungen zu gewährleisten, scheinen die kardialen Gesellschaften, die sich mit unterschiedlichen Ökosystemen auseinandersetzen mussten, die durch ein kontrastreiches Mittelmeerklima gekennzeichnet waren (heiße Sommer mit drohender Trockenheit, seltene, aber heftige Niederschläge usw.), ihre wirtschaftlichen Praktiken so weit angepasst zu haben, dass diese manchmal ganz erheblich vom ursprünglichen Modell abweichen. So beobachten wir in einem sehr kurzen Zeitraum, zwischen 5200 und 4900 v. Chr., die Besiedlung einer Vielzahl von Ökosystemen, deren Nutzung von dem Bestreben zeugt, alle potenziellen Ressourcen (auch Wild) zu nutzen; offenbar wollte man die Risiken durch eine Vervielfachung der genutzten Nahrungsressourcen und die Entwicklung komplementärer wirtschaftlicher Aktivitäten minimieren. Es ist auch wahrscheinlich, dass die besiedelten Gebiete zu einem System mit Streusiedlungen mit nur geringer Dichte führte. Es scheint also, dass die frühe Erkundung sehr unterschiedlicher Gebiete und die Fähigkeit, sich anzupassen und zu erneuern, der Schlüssel zur Neolithisierung in Frankreich waren. Die kardiale Gesellschaft entschied sich dafür, ihre ursprünglichen Wirtschaftsmodelle aufzugeben, indem sie das Spektrum der Möglichkeiten wesentlich erweiterte.

Mit anderen Worten, die Neolithisierung der Regionen, die sich von der Atlantikküste bis zu den Alpen erstrecken, sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt entweder mediterraner oder kontinentaler (LBK) Neolithisierung betrachtet werden. Stattdessen sollten die Grenzgebiete zwischen beiden als Schmelztiegel betrachtet werden, in denen innovative Prozesse der Neuzusammensetzung stattfanden, gefolgt von neuer Verbreitung dieser Innovationen.

Gimbutas zu den Schweizer Pfahlbausiedlungen

Die Pfahlbausiedlung von Gimbutas liegt am Trockenen

Gimbutas 1991, Marija: → The Civilization of the Goddess – The World of Old Europe. Edited by Joan Marler, Harper San Francisco, 1991. 529 pages; (359 MB).

  • S. 193-199: Kapitel zu "Schweizer Pfahlbausiedlungen"
  • das Buch enthält damals zum ersten Mal auch umfassende Tabellen zu kalibrierten Daten europäischer und Schweizer Siedlungen:
    • Cortaillod,
    • Pfahlbausiedlungen
    • Egolzwil,
    • Kleiner Hafner usw.

Kulturkomplexe vor der Pfahlbauern-Innovation 4800–4400 v. Chr. (Bearb. offen)

Verbreitung mittelneolithischer Kulturkomplexe 4800–4400 v. Chr. (Rössen = West-dt.– ; SOB = Süd-Ost-Bayerisches–Mittelneolithikum; Lengyel-Kultur)

Linearbandkeramische Kultur

Stichbandkeramik

Lengyel-Kultur

Riedhammer, Karin: → Die absolute Datierung des Südostbayerischen Mittelneolithikums des Mittelneolithikums westdeutscher Prägung, der Stichbandkeramik und der frühen Lengyel-Keramik Mährens und Ostösterreichs. 2016, 83 Seiten. CC BY-SA 4.0


Wie heute aufgrund von DNA-Analysen klar wird, stammen wir Europäer zu gleichen Teilen von den südöstlichen Alteuropäern und der indoeuropäischen Jamnaja-Kultur ab, die die ersteren in kurzer Zeit überlagert hat. Mallory schreibt, dass sich die Erforschung Europas vor allem auf die „siegreichen“ Indo-Europäer konzentriert, da es viel sprachliches Material gibt, was bei den Alteuropäern fehlt. Es wäre wesentlich, wenn wir uns auch damit beschäftigen, dass unsere “materielle Kultur“ (Landwirtschaft usw.) von den Alteuropäern stammt und vieles unserer gesellschaftlichen “Verhaltenskultur“ von den kriegerischen Jamnaja-Leuten.



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