Der spätneolithische Altheimer Kulturkreis.

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Reinecke 1924, Paul: Der spätneolithische Altheimer Kulturkreis. (Mit einer Tafel)

In: Der Bayerische Vorgeschichtsfreund 4, 1924:12–16.

Im Jahre 1911 beobachtete der leider zu früh verstorbene Hauptlehrer J. Pollinger von Landshut auf einem an der Mündung des Holzener Tälchens neben der Bahnüberführung gelegenen Felde des Ökonomierates Münsterer nördlich von Altheim (B.-A. Landshut, Niederbayern) durch Tieferpflügen aufgerissene Einfüllungen vorgeschichtlicher Gräben. Im Frühjahr 1914 wurde hier nach einigen Probeschürfungen Pollingers die Hälfte einer jüngersteinzeitlichen befestigten Hofsiedelung aufgedeckt, deren ergiebige Funde die Festlegung einer bis dahin in Südostbayern bezw. in Süddeutschland noch nicht klar erkannten spätneolithischen Periode ermöglichten.

Ein dreifacher Ringgraben – hinter den Gräben haben wir entsprechende Erdmauern (mit Holzeinlage) anzunehmen – umgab das Gehöft, dessen innere Fläche in der einen Achse etwas mehr als 40 m Durchmesser hatte. Lücken im Umzug der Gräben deuten Tore an, die in das Innere führten. Die kleine Befestigung ist feindlichem Ansturm zum Opfer gefallen. Wie die große Zahl von Schleudersteinen und beschädigten Feuersteinpfeilspitzen lehrt, ist namentlich an den Toren heftig gekämpft worden, nach dem Kampf kam es nicht mehr zum Wiederaufbau der Siedelung. In den Gräben fanden sich in gewisser Menge menschliche Knochen, die Reste von Leichen Gefallener, die offenbar von wilden Tieren verzogen waren. Die Gräben haben sich allmählich wieder zugeflößt, und zwar großenteils mit Lehmbrandmassen der Erdmauern. Aus der ungeheuren Fülle keramischer Niederschläge wurde während der Kriegsjahre eine größere Anzahl Gefäße – mehrere wurden übrigens unverletzt gefunden – zusammengesetzt. Die Fundstücke werden heute in der Prähistorischen Staatssammlung München und im Historischen Kreismuseum Landshut aufbewahrt.

Das überreiche Fundergebnis dieser Altheimer Grabung gestattete mit einem Schlage, eine ganze Reihe südostbayerischer wie auch anderweitiger Funde neolithischen Charakters, deren Zeitstellung bis dahin unklar geblieben, zeitlich richtig einzureihen. Der Altheimer Kulturkreis, wie wir ihn seitdem nennen, umfaßt einmal Südostbayern. Stationen dieser Art kennen wir beidseits der unteren Isar wie vom rechten Donauufer zwischen Regensburg und der Isarmündung, dazu gehört weiter die große Siedelung auf dem Auhögl bei Au unweit Hammerau an der Saalach.

Vom Salzburger und oberösterreichischen Alpenrand kommen dazu außer kleineren Punkten der fundreiche neolithischen Platz („Werkstätte“) auf dem Götschenberg über Bischofshofen im Pongau und die Pfahlbauten des Mond- und Attersees. [Fußnote: In diesen Pfahlbauten und Landstationen vom „Mondseetypus“ scheint auch die unmittelbar vorangehende spätneolithische Stufe vertreten zu sein.] All das bildet zusammen ein geschlossenes Kulturgebiet. Leider fehlen hier überall noch die zugehörigen Gräber, deren Ausstattung uns sicherlich über weitere bezeichnende Erscheinungen dieses Kreises aufklären würde.

Die Übereinstimmung einer Reihe von Formen, insbesondere auch in der Keramik, ermöglicht es, in anderen Teilen der Zone nordwärts der Alpen, in der mittel- und norddeutschen Zone wie auch außerhalb des mitteleuropäischen Kreises zeitlich mit dem Altheimer Typus zusammengehende Fundgruppen und Kulturkreise scharf zu bestimmen. Wir können hier in Mitteleuropa also von einer bestimmten Periode sprechen, die innerhalb der spätneolithischen Zeit ganz an das Ende des jüngeren Steinalters gehört.

In Schwaben begegnen Siedelungsfunde dieser Zeitstellung auf dem Goldberg und sonst am Riesrande, weiter in der jüngeren Schicht der Moorbauten des Federseebeckens (hier der eigentliche „Schussenrieder“ Typus).

In Franken scheint die gleiche Stufe in der Siedelung von Burgerroth (Aub) vertreten zu sein. In Böhmen und Mähren finden sich Zeugnisse der gleichen Kultur, teils mehr in ihrer mitteldeutschen Ausprägung, teils, wie am Stary Jamek bei Jeveschowitz unweit Znaim (Südmähren), sich enger an den südostbayerischen Kreis anschließend. In der mitteldeutschen Zone lassen sich verwandte Keramik und andere Parallelen aus der Provinz Sachsen wie aus Schlesien einschließlich Österreichisch-Schlesien (z. B. in Noßwitz, Trebnig, Landau) nachweisen. Die Schalenform mit den zwei nebeneinander gestellten Ösen verknüpft die Altheimer Gruppe unmittelbar auch mit dem Kulturkreis der echten (teilweise in Schnurtechnik verzierten) Kugelamphoren der nord- und mitteldeutschen Zone (wie des Ostens) und seiner Nachbargruppe, dem Walternienburger Typus; die „nordischen“ Gefäßformen aus Altheim bekunden des weiteren Zusammenhänge über mitteldeutsche Erscheinungen mit der megalithischen Ganggräberkultur des nordwestdeutschen-skandinavischen Kreises.

Im Süden der Alpen tritt als durchaus gleichalterige, ebenso unmittelbar der frühen Bronzezeit (der italischen „triangulären“ Dolche) vorangehende spätneolithische Stufe der Kulturkreis auf, den wir nach dem großen Grabfeld von Remedello bei Brescia zu benennen pflegen. Die italische Remedellokultur läßt sich ihrerseits an der Hand einzelner Metallformen mit der frühminoischen Kultur des ägäischen Kreises zeitlich in Zusammenhang bringen. Damit gewinnen wir zugleich für die Datierung unseres Altheimer Typus einen guten Anhalt, es kommt die Zeit vom Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends in Frage. In Osteuropa fällt in diese Zeit das Aufhören der bemalten neolithischen Keramik, deren jüngere Phase mit unserem Münchshöfener Typus zeitlich zusammengeht und an deren Stelle hier regional nun Kugelamphoren und Verwandtes treten.


Wir haben weiter den Formenvorrat des südostbayerisch-salzburgisch-oberösterreichischen Altheimer Kreis in Kürze hier aufzuzählen, die wesentlichsten Erscheinungen des Gerätes aus Stein usw. wie die Haupttypen der Keramik.

An Waffen und Werkzeugen macht sich wie auch sonst im Neolithikum keine sonderliche Mannigfaltigkeit bemerkbar. Unter den Beilen und Hämmern aus Felsgestein nennen wir als wesentliche Typen durchbohrte Knaufhämmer (eine auf Kupfervorlage zurückgehende Steinform, ein Metallhammer dieser Art aus Schweden bekannt) und verwandte Typen, ferner Keulenknäufe, trapezförmige Steinbeile mit rundlichen Kanten, Beile von mehr „spitznackigem“ Schema, solche mit „geklopftem“ Körper, die lediglich an der Schneide oder auch auf einem breiten Streifen der Breitseiten zugeschliffen sind, dazu die üblichen Klopfsteine und Reiber, ferner „Pfeilglätter“. Als einfache Wurfgeschosse (Schleudersteine) wurden, wie nebenher bemerkt sei, unbearbeitete faustgroße und größere Gerölle aus dem Diluvial- und Tertiärschotter verwendet. Aus Feuerstein wurden neben minder bezeichnenden Messern und Klingen, Schabern, Bohrern u. dergl. vor allem große „mondsichelförmige“ Klingen („Sägen“, aber ohne deren Zähnung), ferner dreieckige Pfeilspitzen mit mehr oder minder betonten Widerhaken (aber ohne Angel) angefertigt. Knochen und Hirschhorn wurden reichlich verwendet, jedoch haben die Hämmer, Meißel, Pfriemen, Ahlen, Spitzen u. a. keine sich ausschließlich auf die Altheimer Stufe beschränkenden prägnanten Formen. Gerät und Schmuck aus Kupfer, die, soweit heute ein Urteil möglich, als fertiges Fabrikat oder teilweise als Rohmaterial aus dem Mittelmeergebiet eingeführt worden sind, begegnen naturgemäß spärlich. Aus Altheim wie von den Stationen am Alpenrande stammen kleine trapezförmige oder mehr rechteckige kantige randleistenlose, mit mehr oder minder geschweifter Schneide versehene, nicht sehr dicke Beilchen, ferner – im südostbayerischen Flachland vorerst fehlend – kleine stark spitzwinklig ausgezogene Dolchklingen mit Nietlöchern (Griff aus organischer Substanz). Die italische Remedellokultur kennt dazu größere breitere dreieckige Dolchklingen mit kurzen schmalen Griffzungen, einzelne Stücke haben auch eine kräftige Mittelrippe; die erstere Dolchform erscheint hier auch in Feuerstein nachgeahmt, wie übrigens die Remedellokultur auch über größere Flintpfeilspitzen mit kräftiger Angel (die bei uns fehlen) verfügt. Wichtig ist das Vorkommen von Kupferschmuck im Altheimer Kreise, von Zierplättchen, wie solche schon vorher wie auch noch danach (in der frühen Bronzezeit) begegnen, u. a. m. Von sonstigen Schmucksachen (aus Knochen, Horn, Stein usw.) wissen wir vorerst wenig zu sagen.


Zur allgemeinen Kennzeichnung der Keramik von Altheim und den gleichalterigen südostbayerischen Siedelungen sei bemerkt, daß das in der Regel dunkelfarbige, aus verhältnismäßig grobem Ton hergestellte Geschirr, das durchweg kräftige Standböden (also nicht mehr die runden Böden unserer Bandkeramik) hat, durchschnittlich unverziert („glatt“) ist. Als Schmuck finden lediglich Fingertupfenleisten (die Tupfen fast stets von unten her in den verstärkten Gefäßrand eingedrückt, so daß also eine Art Bogen- oder Arkadenmuster entsteht) an den Rändern größerer Gefäße reichlich Verwendung. Daneben erscheint spärlich anderer plastischer Schmuck, aufgelegte Wülste (in Zickzacklinien, Kreismustern), Zapfen und Buckel. Eingeschnittene, eingeritzte und eingestochene Linien u. dergl. begegnen noch seltener. In den Siedelungen am salzburgisch-oberösterreichischen Alpenrande kommen insbesondere auf kleineren Gefäßen Verzierungen aus Stichkanalbändern (in Kreisgruppen, Spiralhaken u. a.) vor. Dem Schussenrieder Kreise sind Streifen und Bänder mit einfacher oder gekreuzter Schraffur eigen. Im Kreise der Kugelamphoren und des Walternienburger Typus, in der Ganggräberkeramik und in den anderen gleichalterigen Gruppen steht all dem eine andersgeartete reiche Ornamentik gegenüber.

Als wesentlichste Gefäßformen der südostbayerischen Altheimer Kultur müssen vor allem genannt werden: große und kleine bauchige einhenkelige Krüge (der große bandförmige Bügelhenkel am Gefäßrand oder etwas unterhalb ansetzend), in kleineren wie größeren Exemplaren geschweifte weite Schalen mit zwei nebeneinander an der Weitung des Bauches angebrachten, senkrecht durchbohrten Schnurösen, geschweifte weite große Vorratsgefäße mit den stereotypen Tupfenrändern, von der gleichen Form auch kleinere Stücke, auch solche in wesentlich schlankeren Ausmaßen, endlich große bauchige Flaschen mit engem, nicht eigens abgesetztem Hals und Schlaufenhenkeln unmittelbar über dem größten Umfange, eine Form, aus der möglicherweise die (wesentlich jüngeren) schnurverzierten Amphoren sich entwickelt haben. Daneben haben wir „nordische“ Gefäße mit bauchigem Körper, mit waagrecht oder senkrecht durchbohrten Ösen und mit abgesetztem, zylindrischem Hals (wir wählen das Wort „nordisch“ lediglich , um die Übereinstimmung mit Gefäßen im mittel- und norddeutschen Gebiet festzuhalten, keineswegs soll damit gesagt sein, daß unsere Gefäße oder ihre Vorlage aus dem Norden eingeführt wurden), mehr oder minder große (pithosartige) Vorratsgefäße (konischer oder doppelkonischer Form), Becher, die fast an Glockenbecher erinnern könnten, eine Flasche, wie die alten bandkeramischen Flaschen, aber mit Standboden und fünf (senkrecht durchbohrten) Ösen, und allerhand Kinderspielzeug, darunter Miniaturgeschirr in Formen des großen Gebrauchsgeschirrs, zu erwähnen. Paul Reinecke

Zur Tafel: Der in zwei Ansichten wiedergegebene Knaufhammer und das Mondsichelmesser stammen vom Auhögl unweit Au bei Hammerau, B.-A. Laufen a. Saalach, Oberbayern, alle übrigen Gegenstände aus Altheim, B.-A. Landshut, Niederbayern. Die hier in starker Verkleinerung (Gefäße ⅛, übrige Fundstücke ⅓ d. nat. Gr.) gebrachten Bilder wollen einer Veröffentlichung des Gesamtmaterials nicht vorgreifen.