Waren unsere heimischen Pfahlbauten aus der prähistorischen Zeit Wassersiedlungen?

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Waren unsere heimischen Pfahlbauten aus der prähistorischen Zeit Wassersiedlungen?

Ueber die Bedeutung der Pfahlbauten für die Urgeschichtsforschung ist kaum ein Wort zu verlieren. Zu dem allgemeinen kommt noch ein örtliches Interesse. Stehen wir doch hier in Salzburg an der Schwelle jenes jungsteinzeitlichen Pfahlbaugebietes, das schon den Mondsee mit zwei, den Attersee mit neun Siedlungen, den Traunsee mit einer umfasst.

Umsomehr werden wir uns gedrängt fühlen, zu den Ansichten von Privatdozent Dr. H. Reinerth in Tübingen Stellung zu suchen, der in einer Reihe von Veröffentlichungen, unter anderem in einem Vortrag aus der vorjährigen deutschen Anthropologentagung in Halle a. d. Saale, den Charakter unserer vorgeschichtlichen Pfahlbauten als Wassersiedlungen in Zweifel gezogen hat. Es soll sich bei ihnen vielmehr um Uferansiedlungen handeln und gerade die Seeufer soll man aufgesucht haben, weil sie offenes Gelände zur Niederlassung geboten hätten. In die Seen hinein sollen die einstigen Wohnstellen später durch Wasserstandsveränderungen gekommen fein.

Man muss aber damals, wie die Getreidefunde lehren, für den Zweck des Ackerbaues waldfreien Boden zur Verfügung gehabt oder sich durch Roden verschafft haben. Dem gegenüber war das Bedürfnis nach solchem Boden für die Wohnstellen jedenfalls die geringere Sorge. Müssen wir uns doch den Urwald selbst als einen streckenweise recht lichten Wald vorstellen, der einen Wohnbau in seiner Mitte nicht verhindert hätte. Es lässt sich sogar aus literarischen Zeugnissen noch für eine viel spätere Zeit eine altertümliche Art der Hausanlage nachweisen, für die ein lebender Baum den Mittelpunkt bildete. Aber selbst angenommen, der Wohnbau hätte Rodungsarbeit erfordert, so konnte doch nicht die Absicht, solche Mühe zu vermeiden für die Ansiedlung unmittelbar am Uferrand eines Gewässers maßgebend gewesen sein, wenn man dort Pfahlwerke herstellte und zu diesem Zweck ungleich mehr Stämme fällen musste als zur Freilegung eines Platzes im Wald für die Hausanlage notwendig gewesen wäre, nicht zu sprechen von dem Herrichten dieser Stämme zu Pfählen und ihrem Einrammen.

Würde es sich bei unseren Pfahlbauten um Landsiedlungen handeln, so fiele doch schon auf, dass sie je an einem bestimmten See, z. B. am Attersee, wesentlich in gleicher Höhenlage angelegt worden sind, wozu ja dann keine Nötigung bestanden hätte. Gerieten sie erst durch Hebung des Seespiegels ins Wasser, so ist es unbegreiflich, warum sie heute alle fast in gleicher Tiefe liegen.

Wären die Pfahldörfer wirklich auf dem Lande angelegt worden und ihre Stellen allmählich ins Wasser geraten, so wären diese im Lauf der Jahrtausende, seit sie verlassen sind, eine Zeitlang unmittelbar an der Uferlinie gelegen und ebenso den Einwirkungen des Wellenschlages ausgesetzt gewesen, wie der gegenwärtige Uferrand, d. h. die leichteren Bestandteile der Kulturschichte wären ausgeschwemmt und vertragen worden. Diese ist indes sichtlich in ursprünglicher Lagerung — am Mondsee bis zur Mächtigkeit von etwa einem Meter — erhalten. Dieselben Gründe sprechen nickt nur gegen eine Anlage auf ursprünglich trockenem Land, sondern auch gegen eine solche in so seichtem Wasser, dass die Wellen ihre Wirkung bis auf den Grund ausüben konnten.

Aber nicht nur als Ganzes zeigt die Kulturschichte einen Zustand, der sich mit der neuen Hypothese nicht verträgt. Dasselbe gilt von ihren Einschlüssen, Sämereien, Baststricke, Holzgegenstände, vor allem die Pfähle selbst hätten sich im Trockenen nicht erhalten. Kupfer und Bronzesachen würden den bekannten grünen Erzrost angesetzt haben, wenn sie nicht ununterbrochen unter Wasser gelegen hätten. Tongefäße wären, zeitweilig ein Spiel der Wellen, in Stücke gegangen.

Unsere Pfahlbauten sind aber gegenüber den Landansiedlungen nicht nur gekennzeichnet durch die besonders gute Erhaltung der Fundgegenstände, sondern auch durch ihre Zahl und Art. Nur der geringste Teil von ihnen ist bisher gehoben, das meiste liegt noch auf dem Seegrund. Was an unversehrten, gebrauchsfähigen Gegenständen: Aexten, Hämmern, Pfeilspitzen, Knochenpfriemen, Tongefäßen geborgen worden ist, übersteigt aber schon um sin Vielfaches das, was wir von Landansiedlungen kennen. Bei letzteren finden sich von Waffen und Werkzeugen fast nur unbrauchbar gewordene Stücke, die offenbar weggeworfen worden sind, selten und ausnahmsweise ganze Gegenstände. Es ist das eine so auffallende Erscheinung, dass sie keinem Beobachter entgehen kann, und nur aus dem Charakter der Pfahlbauten a1s Wassersiedlungen ist sie verständlich. Was von Gebrauchsgegenständen zufällig ins Wasser fiel, war eben meist verloren. Einzelnes wird man wohl durch Tauchen heraufgeholt haben, aber sehr vieles war offenbar nicht mehr zu finden. Ist doch das Wasser unserer Seen in der wärmeren Jahreshälfte nicht klar genug, um an den Stellen der Pfahlbauten den Grund deutlich erkennen zu lassen, und dieser wird dort zu ihrer Zeit durch hinein geworfenen Unrat aller Art — waren doch auch Haustiere in den Pfahlbauten untergebracht — von einer Schlammschichte überdeckt gewesen sein, in der sich das, was hinunter gelangte, leicht verlor. Völlig undenkbar wäre bei Landansiedlungen auch die große Zahl erhaltener ganze Gefäße. Denn sollte man solche schon weggeworfen haben, so hätten sie sich doch sicher in nächster Nähe der Behausungen, im Bereich der spielenden Jugend, nicht unversehrt erhalten.

Wenn die Pfähle, so weit sie im Seeboden stecken, durch 4000 und mehr Jahre allen zerstörenden Einflüssen Trotz geboten haben, ist dieselbe Widerstandskraft auch bei Baumwurzeln vorauszusetzen. Da auch in der Vorzeit wie heute der Wald, zumal mit gewissen Baumarten, wie Weiden und Erlen, bis unmittelbar an das Ufer heranreichte, müssten wir, wenn sich der Wasserspiegel seit der Pfahlbauzeit um etliche Meter gehoben hätte, am seichteren Ufer der betreffenden Seen einen Gürtel erhabener Wurzelstöcke im Seeboden finden. Aber keine Spur davon ist vorhanden.

Das ist ein Beweis dafür, dass der Wasserstand seit jener Zeit wesentlich der gleiche geblieben ist. Wie hätte er sich auch ändern können? Man beruft sich auf das einstmals trockenere Klima. Aber in den trockensten Sommern, wie dem des Jahres 1911, sinkt die Seefläche erfahrungsgemäß um ein verhältnismäßig Geringes unter die Normale, keinesfalls auch nur um so viel, dass dadurch die Pfahlbaustellen der Salzkammergutseen durch Waten erreichbar würden. Das ist begreiflich, weil das Ablaufgerinne dieser Seen nur geringe Tiefe hat. Ein Sinken um einige Meter hätte einen tiefer liegenden oder tiefer eingeschnittenen Ausfluss des Sees zur Voraussetzung und dieser würde dann, nebenbei bemerkt, am Attersee gerade durch den einen der Pfahlbauten von Seewalchen hindurch gehen müssen. Landansiedlungen kann es also dort nicht gegeben haben.

Eine Hebung des Wasserspiegels um etliche Meter ist nur denkbar, wenn sich am Ausfluss durch Bergstürze, Muren oder durch das von Seitenbächen herabgeführte Geröll ein natürlicher Staudamm bildete. Alle diese Vorbedingungen sind an den in Betracht kommenden Salzkammergutseen nicht vorhanden. Ebenso wenig ist von einer den Ausgang verlegenden Torfbildung irgendwo eine Spur zu finden. Alles läuft also auf dasselbe hinaus: Der Wasserstand dieser Seen ist seit Jahrtausenden der gleiche. Nur der, dem die notwendige Anschauung fehlt, könnte anderer Meinung sein.

Die Argumente gelten aber mutatis mutandis auch für die Schweizer Seen. So ist — um nur eines hervorzuheben — in den Bronzezeitpfahlbauten der Westschweiz der Reichtum an wertvollen Fundgegenständen aus Metall ein staunenerregender. Denn Tausende von Schmucksachen, Beilen, Messern, Speerspitzen, Schwertern haben gleichzeitige Landansiedlungen nur ganz ärmliche Reste gegenüberzustellen. Es bleibt also auch dort bei den Pfahlbauten als Wasseransiedlungen.

Gegen diese Feststellungen spricht es nicht, wenn man in einzelnen Fällen Wohnungsanlagen in Mooren aufgedeckt hat, bei denen ein niedriges Pfahlwerk einen aus Holzbohlen hergestellten Estrich trug, über dem die Hütten gestanden hatten. Derartige Vorkommnisse sind nicht zu verallgemeinern. Auch aus Resten, von Sumpf- oder Wiesenpflanzen, die in Kulturschichten gefunden worden sind, kann man nichts schließen, ohne den besonderen Nachweis, dass diese Pflanzen an der Stelle, wo sie gehoben wurden, auch gewachsen sind.

Wenn wir so durch mehr als einen Beweisgrund zu dem bestimmten Schluss gelangt sind, dass unsere Pfahlbauten Wasseranlagen gewesen sind, ist dieses Ergebnis ja auch insofern keineswegs befremdlich, als sie sich als solches nicht als eine vereinzelte Erscheinung darstellen. Sind uns doch bekanntlich Pfahlbauten auf der Balkanhalbinsel geschichtlich durch Herodot bezeugt und zwar für den Pratsassee und den Stamm der Pasonier. Seine Beschreibung lässt einen Zweifel nicht zu dass es sich dabei um Wasserbauten handelt, die als solche sogar Schutz gegen feindliche Angriffe bieten. Dass sie in den Perserkriegen eine Rolle spielten und von Herodot im Zusammenhang mit diesen, aber sichtlich als eine auf altem Herkommen beruhende Siedlungsart geschildert werden, müssen wir ihre Anlage spätestens in das sechste Jahrhundert v. Chr., das ist in unsere Hallstattzeit, versetzen, ohne damit die Möglichkeit älterer Herkunft oder länger fortdauernder Benützung auszuschließen. Von den Schweizer Pfahlbauten der ausgehenden Bronzezeit sind sie auf jeden Fall durch keine breite zeitliche Kluft getrennt. Umsomehr werden wir uns auch auf dieses Seitenstück berufen dürfen, wenn die Frage zu entscheiden ist, ob unsere mitteleuropäischen Pfahlbauten Land- oder Wassersiedlungen gewesen sind.