Komplexen Kuppelationsprozess

Aus atterpedia
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Pernicka 1990, Ernst: → Gewinnung und Verbreitung der Metalle in prähistorischer Zeit. JB röm.-germ. Museum Mainz 1990; S. 38 f.

Die zweistufige Silbergewinnung aus Bleierzen ist zwar technisch relativ leicht durchzuführen, weil die erforderlichen Temperaturen (900–1000° C) deutlich niedriger sind als bei der Kupferverhüttung. Aber in einem Keramikgefäß lässt sich die Kupellation wegen der großen Reaktionsfähigkeit von geschmolzener Bleiglätte mit Kieselsäure nicht effizient durchführen. Die Bleiglätte würde das Tongefäß angreifen und eine Bleiglasur bilden, die den Treibprozess zum Erliegen bringt, sobald sie das restliche geschmolzene Blei bedeckt. Deshalb wurden schon in der Antike andere Materialien, wie gestampfte Knochenasche (Calciumphosphat) und kalkhaltiger Mergel, gelegentlich mit Pottaschezusätzen, zur Herstellung von Treibgefäßen verwendet. Um den Kupellationsprozess auch in solchen Gefäßen in Gang zu halten, ist es nützlich bzw. notwendig, die entstehende Bleiglätte abzuziehen oder abzugießen. Alternativ kann die Glätte, die auf dem geschmolzenen Metall wie Öl auf Wasser schwimmt, vom Treibgefäß aufgesogen werden. Diese Methode ist auch heute noch bei der Prüfung auf den Edelmetallgehalt einer Legierung gebräuchlich. Allerdings ist dazu ein ziemlich großes Volumen an Saugmasse erforderlich. Da die Bleiglätte von Habuba Kabira aus nahezu reinem Bleioxid (PbO) besteht, dürfte sie wohl abgegossen oder abgezogen worden sein, was auf eine große Erfahrung schließen lässt.

Die Entstehung des Treibprozesses liegt im Dunkeln. Es ist denkbar, dass sehr silberreiches Blei Anlass zur Entdeckung von Silber gab. Wenn Blei z.B. in einem Tontiegel geschmolzen wird, überzieht es sich mit einer Oxidhaut, die bei niedrigen Temperaturen Keramik nur in geringem Maße angreift. Wenn diese Oxidhaut ständig entfernt wird, reichert sich das Blei immer mehr an Silber an und der Schmelzpunkt der Legierung steigt. Wenn man diese Legierung schmelzen will, kommt man in Temperaturbereiche, bei denen die Oxidhaut flüssig wird, mit dem Tongefäß reagiert und dadurch wenigstens zum Teil aufgenommen wird. Da in dieser Situation nicht mehr sehr viel Blei vorhanden ist, kann dessen Oxidation in kurzer Zeit so weit vervollständigt werden, dass der Schmelzpunkt der Legierung über die Tiegeltemperatur steigt und das Metall erstarrt. Bei der Erstarrung glüht das Metall durch die freiwerdende Schmelzwärme noch einmal kurz auf. Dieses Phänomen, das man den »Silberblick« nennt, wäre den frühen Metallurgen sicherlich aufgefallen. So oder so ähnlich könnte der Treibprozess entdeckt worden sein, den man wohl als frühesten, gezielt eingesetzten chemischen Trennprozess bezeichnen kann. Aus einem – offenbar nur wenig begehrten – Metall wie Blei wurde ein anderes, nämlich Silber, abgetrennt, das schon im dritten Jahrtausend v. Chr. als bevorzugter Wertmesser diente.