Kapitel I: Sprache und Vorgeschichte
Kapitel I: Sprache und Vorgeschichte (S. 4 f.)
Welcher physischen Ethnie oder welchen Ethnien sie auch immer angehörten, sie müssen eine gewisse geistige Einheit besessen haben, die sich in ihrer Sprachgemeinschaft widerspiegelt und durch diese bedingt ist. Ihren sprachlichen Erben vererbten sie, wenn schon nicht Schädelformen und körperliche Merkmale, so doch zumindest etwas von dieser subtileren und wertvolleren geistigen Identität. Wer daran zweifelt, tut gut daran, die würdevolle Erzählung, die der arische Darius in den Felsen von Behistun gemeißelt hat, mit der bombastischen und unverhohlenen Selbstverherrlichung der Inschriften von Ashurbanipal oder Nebukadnezar zu vergleichen.
Zweitens waren die indoeuropäischen Sprachen und ihre mutmaßliche Muttersprache durchweg außerordentlich sensible und flexible Instrumente des Denkens. Sie waren zum Beispiel fast einzigartig darin, dass sie ein substantivisches Verb und zumindest eine rudimentäre Methodik zur Bildung von Nebensätzen besaßen, die begriffliche Beziehungen in einer Kette von Folgerungen ausdrücken konnten. Daraus folgt, dass die Arier mit außergewöhnlichen geistigen Gaben ausgestattet gewesen sein müssen, wenn sie nicht sogar in den Genuss einer hohen materiellen Kultur kamen. Dies ist mehr als nur eine Schlussfolgerung. Es ist kein Zufall, dass die ersten großen Fortschritte auf dem Gebiet der abstrakten Naturwissenschaft von den Ariern gemacht wurden
Griechen und die Hindus, nicht aber die Babylonier oder Ägypter, trotz ihrer großen materiellen Ressourcen und ihrer erstaunlichen technischen Fortschritte – zum Beispiel in astronomischen Beobachtungen. Auch bei der Moralisierung der Religion haben die Arier eine herausragende Rolle gespielt. Die ersten großen Weltreligionen, die sich an alle Menschen ungeachtet ihrer Rasse oder Nationalität richteten, der Buddhismus und der Zoroastrismus, waren das Werk von Ariern, die sich in arischer Sprache ausdrückten.
Es ist durchaus möglich, dass der iranische Zarathustra sogar den hebräischen Propheten zuvorkam, indem er die Idee der Göttlichkeit veredelte, sie von stammesbedingten oder materiellen Bezügen emanzipierte und eine abstrakte Rechtschaffenheit inthronisierte, wo zuvor personifizierte natürliche oder magische Kräfte geherrscht hatten. Es ist sicher, dass das große Konzept des göttlichen Gesetzes oder der kosmischen Ordnung mit den ersten arischen Völkern verbunden ist, die vor etwa 3.500 Jahren die Bühne der Geschichte betraten. Die ursprünglichen Arier selbst verehrten mindestens eine Gottheit, einen Himmelsvater, der zwar noch anthropomorph, materialistisch und barbarisch war, aber dennoch weit über die namenlosen Geister und magischen Kräfte bloßer Wildheit erhaben war.
Auch waren die Möglichkeiten der arischen Sprache nicht nur intellektuell. Poesie, in der sich eine feste metrische Struktur mit lieblichen Worten verbindet, um schöne Ideen zu verkörpern, scheint typisch arisch zu sein: Die semitische Poesie beispielsweise beruht nicht auf einer regelmäßigen metrischen Struktur mit einer festen Silbenzahl im Vers. Die Übereinstimmungen zwischen den Metriken der hinduistischen Veden, der iranischen Gathas und der griechischen Lyrik lassen in der Tat auf eine gemeinsame metrische Tradition schließen, die aus einer früheren Epoche stammt.
So offenbart uns die Philologie ein Volk, dessen Sprache mit großen Möglichkeiten ausgestattet war. Nun waren es die sprachlichen Erben dieses Volkes, die seit Anbeginn der Geschichte in Europa und im letzten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in Westasien die führende Rolle spielten. Es ist daher vielleicht nicht übertrieben zu hoffen, dass eine Zusammenarbeit zwischen den beiden prähistorischen Disziplinen Philologie und Archäologie zumindest in diesem bescheidenen Bereich dazu beitragen kann, bestimmte Probleme zu lösen, die eine der beiden Wissenschaften allein nicht in der Lage ist zu lösen.