Herkunft und Abstammung der Pfahlbauern und der Europäer

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Neandertaler / Cro-Magnon-Menschen / Neolithiker / Indoeuropäer (Kurgankultur)

Die ältesten Hominiden in unserem Gebiet waren über 100.000 Jahre lang die "klassischen Neandertaler", die etwa vor 35-40.000 Jahren ausstarben. Sie waren entfernte Verwandte des homo sapiens und hatten mit diesem vor rd. 700.000 Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Die Neandertaler stellten Werkzeuge aus Holz und Stein her und ernährten sich – je nach klimatischen Gegebenheiten – teils von Jagdbeute, teils von Pflanzen. Sie beherrschten das Feuer, konnten sich sprachlich verständigen und waren zur Symbolbildung befähigt. Die Neandertaler waren spezialisierte Jäger, die Großwild wie Wisenten oder Mammuts immer wieder an denselben Stellen auflauerten und erlegten. In Deutschland fanden sich zusammen mit tausenden Steinwerkzeugen Knochenreste von 86 erjagten Rentieren als beredtes Zeugnis für die ausgezeichneten Jagdfähigkeiten der Neandertaler. Mittelgroße Säugetiere wie Pferd und Ren wurden oft einzeln erlegt, zerlegt und die Teile zu den Wohnplätzen geschafft. In Österreich deutet die 70.000 Jahre alte Kulturschicht in der Gudenushöhle (Kleines Kremstal, Niederösterreich) auf die Jagd auf Mammuts, Wollnashörnern, Rentieren, Wildpferden und Höhlenbären hin.

Die frühesten anatomisch modernen Menschen (homo sapiens) in unserem Raum waren bis zum Neolithikum (Jungsteinzeit) die aus Afrika nach Europa eingewanderten alt-europäischen Jäger und Sammler. Diese werden nach dem Fundplatz → Cro-Magnon-Höhle in Frankreich als "Cro-Magnon"-Menschen bezeichnet; der Begriff ist auch ein Synonym für den eiszeitlichen homo sapiens. Nach jüngsten Berechnungen gab es in der Zeitspanne von etwa 42.000-33.000 Jahren vor heute gleichzeitig maximal 3300 Menschen in West- und Mitteleuropa. Diese Cro-Magnon-Menschen lebten rund 10.000 Jahre gemeinsam mit den Neandertalern, vermischten sich mit ihnen und trugen damit auch einen geringen Anteil von Neandertaler-Genen in sich, die ihnen z. B. helle Haut (gut für die Produktion von Vitamin D in höheren Breiten) und lange Haare (gut bei kaltem Klima) bescherten. Auch wir heutigen Europäer tragen so noch 1 bis 3 Prozent Neandertaler-Gene in uns. Die künstlerische Begabung dieser Menschen ersieht man in den → Höhlenmalereien von → Lascaux, und von → Altamiraund der weltweit ältesten Darstellung des menschlichen Körpers mit der elfenbeinernen → Venus vom Hohlefels (2008 in Baden-Württemberg entdeckt; 35.000-40.000 Jahre alt) und der kalksteinernen → Venus von Willendorf (Niederösterreich; 29.000 Jahre alt; Video Universum History in ORF 2, 19.4.2022). An diesem Fundort wurde aber auch bereits vor 43.500 (!) Jahren gesiedelt – in gleicher Seehöhe und klimatischen Verhältnissen wie den oberösterreichischen Alpenrandseen. Vor rund 25.000 Jahren gab es am Höhepunkt der Eiszeit einen Bevölkerungs-"Flaschenhals" → (Maier, A., 2017, p. 87) mit nur mehr ca. 700-1550 (!) Jägern und Sammlern in ganz Europa. Diese Jäger und Sammler bekamen auch nur etwa alle 3-4 Jahre Nachwuchs (Rebay-Salisbury, S. 15 f.: wg. Hormon Prolactin), sodass gegen Ende des Mesolithikums um ~6500 v.Chr. in Europa maximal 1 Million Menschen als Jäger und Sammler lebten (Rebay-Salisbury, S. 16).

Küstenlinie 7300 v.Chr. vor der Überschwemmung Yanchilina, Anastasia et al., Marine Geology, 2017

Die nächsten Einwanderer in unser Gebiet waren die aus dem Südosten Europas zuwandernden Neolithiker (= Linearbandkeramiker), die ursprünglich aus dem kleinasiatischen Anatolien stammten und von denen wahrscheinlich ein Teil → durch eine 40-60 m starke Schwarzmeer-Sintflut (vgl. die Veröffentlichung aus 2017) von ihren aufgrund der tiefen Lage klimatisch begünstigten Siedlungsplätzen am Schwarzen Meer (vgl. den Erosionskanal der Donaumündung der Abbildung unten) innerhalb einer Generation vertrieben wurden: siehe dazu in der nebenstehenden Abbildung → das um 7300 v.Chr. innert kurzer Zeit überschwemmte Schwarzmeer-Gebiet von etwa 40-50.000 km2. (Anm.: Bis knapp vor dieser Zeit konnten die anatolischen Bauern trockenen Fußes durch den Bosporus ziehen und sich auf den riesigen, ebenen und fruchtbaren Strandplatten des Schwarzen Meeres von Bulgarien und Rumänien niederlassen.)

Rückwärtserosion der tiefsten Mündung der Donau (Pfeil) während der Eiszeit; Google Earth. Landsat / Copernicus Data SIO, NOAA, U.S. Navy, NGA, GEBCO

Durch den seit dem Ende der Eiszeit laufend ansteigenden Weltmeeresspiegel wurde unvermittelt und plötzlich diese Überschwemmungskatastrophe ausgelöst: Als der Meeresspiegel von seinem tiefsten Niveau von minus 120 m gegenüber heute um ~7300 v.Chr. die Höhe der Sohlschwelle des Bosporus erreichte, begannen sich in kurzer Zeit enorme Wassermassen (insgesamt ca. 20-30.000 km3 – das entspricht 25mal der Donau über 30 Jahre oder einen Attersee pro Tag) aus dem Mittelmeer in das Schwarze Meer zu ergießen und dieses bis auf die Höhe der Weltmeere aufzufüllen. In der obigen Abbildung ist damit das überflutete Gebiet zu groß dargestellt, da der damalige Wasserzustrom ja endete, wenn der Schwarzmeerspiegel die Höhe des Weltmeeresspiegels (~ 36 m minimale Tiefe der heutigen Sohlschwelle des Bosporus) erreichte. Der weitere Anstieg des Schwarzen Meeres bis auf das heutige Niveau vollzog sich in der Folge nur mehr langsam und parallel zum weiteren Anstieg des Weltmeeresspiegels. Auch dieser weitere Anstieg des Schwarzmeerspiegels vertrieb immer wieder die noch dort lebenden Bauern, was aber eben nur über längere Zeiträume erfolgte.

Genomisch ermittelte neolith. Expansion < 9000 BP

Die vor dem steigenden Wasser klarerweise flussaufwärts flüchtenden Neolithiker (= Linearbandkeramiker) nahmen das Agrarpaket (Getreideanbau und Viehwirtschaft: Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Hund) mit sich und brachten es nach Südost- und in der Folge entlang der Donau auch nach Mitteleuropa. Sie wirtschafteten bevorzugt mittels Brandrodung in Lößgebieten und bewirkten so die "neolithische Revolution". Gimbutas erkennt bei ihnen eine ausgeprägte matrilineare, matriarchalische Gesellschaftsstruktur. → Funde von Schlichtherle S. 13 ff. (Ludwigshafen, Pfyner Kultur, ~3860 v. Chr.; ORF2 "Pfahlbauten" 29.4.2022) zeigen ebenfalls in diese Richtung. Die Neolithiker mit ihrer im Vergleich zu den (wenigen) Jägern und Sammlern höheren Bevölkerungsdynamik erreichen bald einen entsprechenden Anteil an der Gesamtbevölkerung und durch (friedfertige) Vermischung auch am Genpool der damaligen Bevölkerung.


Genetischer matrilinearer Abstand zw. modernen Westeuropäern und den Linearbandkeramikern

Genomische Untersuchungen → Genomic Evidence Establishes Anatolia as the Source of the European Neolithic Gene Pool; Current Biology 26, 2016, 270–275 zeigen ihre Herkunft. In der nebenstehenden Abbildung wird der geringe (grün) bzw. der größere Abstand (orange) der DNA heutiger Westeuropäer von den historischen Linearbandkeramikern dargestellt. (Lit.: → Haak, W. et al.: Ancient DNA from European Early Neolithic Farmers Reveals Their Near Eastern Affinities, PLOS Biology, Nov. 2010.)

Eine von deren Gruppen, unsere sogenannten "Pfahlbauern", tauchten zuerst an den Schweizer Seen und – wohl als 400 km entfernter "spin-off" – später auch am Attersee / Mondsee als deren östlichstem Vorkommen nördlich der Alpen auf. Diese Pfahlbauern besaßen nicht nur das Agrarpaket, sondern verfügten auch über die beeindruckende eigenständig erworbene Innovation der hydrologischen Bewirtschaftung von Alpenrandseen, die auch eine entsprechende gesellschaftlich-kulturelle Organisation der Großgruppe je Pfahlbausee voraussetzte.

[Reizvoll wäre die konjunktivische Vorstellung, dass sich die vom Schwarzen Meer vertriebenen Neolithiker die ehemalige Flutkatastrophe – über 3000 Jahre – gemerkt hätten (vergleichbar zu Noah´s Sintflut und der Arche als Nothilfe) und sich am Kleinen Hafner gegen erneut steigendes Wasser aufgrund einer Sihl-Schüttung zur Wehr gesetzt hätten.]


Die gegen Ende unserer "klassischen", neolithischen Pfahlbauernzeit in Mitteleuropa um ca. 2700 v.Chr. auftauchenden patrilinearen und patriarchalen indoeuropäischen Schnurkeramiker – früher "Streitaxtkultur" genannt – waren Abkömmlinge der Kurgankultur (vgl. dazu → The Kurgan culture and the Indoeuropeanization of Europe - selected articles 1952-1993 von deren Aufdeckerin Marija Gimbutas, Harvard) und brachten v.a. in der zweiten und dritten Migrationswelle die indoeuropäische Sprache mit sich und zu uns (in der Folge als Keltisch, Italisch, Germanisch, Slawisch, Baltisch usw.), aber auch das (Reit-)Pferd und das Rad. Einen umfassenden Überblick zu diesem für Europa so entscheidenden Übergang gibt Gimbutas in ihrem letzten, abschließenden Aufsatz (1993, s.o.; S. 351-372): The Fall and Transformation of Old Europe: Recapitulation, in dem sie eine Abklärung und Verfeinerung ihrer Theorien über das Kurgan-Volk und die Alteuropäer bringt, siehe auch (da vergriffen): → Der Untergang und die Verwandlung des alten Europa: Rekapitulation. Um 1500 v.Chr. lebten in Europa bereits rund 13 Millionen Menschen (Rebay-Salisbury, S. 16) wegen des "baby booms" aufgrund der neolithisch anderen Ernährung der Kleinkinder und den damit verbunden häufigeren Geburten.

Die mit den Jägern/Sammlern und Linearbandkeramikern (= Alteuropäer) vermischten Schnurkeramiker – also unsere Vorfahren – tradierten entweder den bei den Neolithikern bestehenden Namen „Atter“-See weiter (dann kennen wir die Bedeutung deren Wortes "Atter" nicht – hätten dafür aber ein neolithisches Wort gefunden) oder sie bezeichneten selbst den See und seine Bewirtschaftung mit einem eigenen indoeuropäischen „Atter“-Namen (vgl. Kap. 10). Jedenfalls ist von ihnen der Name des Attersees als solcher bis heute über 4 ¾ Jahrtausende weitergegeben worden.


räumliche und zeitliche Verteilung antiker Genome

Literatur zur Herkunft und Ausbreitung der Neolithiker

  • Excoffier, Laurent (Univ. Bern) et 30 al.: → The genomic origins of the world’s first farmers. Zs. Cell, Elsevier, 12.5.2022. Obwohl die anfängliche Verbreitung der Neolithiker im Fruchtbaren Halbmond durch kulturelle Vermischung von genetisch gut differenzierten Gruppen erfolgt sein muss, erfolgte die Ausbreitung nach Nordwestanatolien, ins Ägäische Becken und später auch in den Donaukorridor in erster Linie durch demografische Verbreitung. Die anfängliche Ausbreitung von Populationen jenseits des Fruchtbaren Halbmonds verlief nicht linear und war mit vielfältigen genetischen Einflüssen aus der Levante verbunden und es gab auch Einflüsse von kaukasischen Jägern und Sammlern. Populationen aus Nordwestanatolien und Nordgriechenland scheinen sich etwa zur gleichen Zeit (~ 9.300-9.100 BP) voneinander abgegrenzt zu haben, möglicherweise während der Besiedlung des weiteren Ägäisraums durch diese frühen Bauern. Sobald die neolithischen Lebensformen von der Ägäis ausgehend Europa erreichten, gab es auch eine Beimischung europäischer Jäger und Sammler. Die Ausbreitung der Populationen nach Mitteleuropa erfolgte aber linearer und ist im Wesentlichen eine Migration durch eine Abfolge von geographischen Haltepunken entlang der Donau. Wie der nebenstehenden Grafik entnommen werden kann, machen sich die frühen Bauern vor rd. 8.500 Jahren auf den Weg – vorerst von der Ägäis und Griechenland und kommen vor 8.000 Jahren in Serbien an und breiten sich dort aus. Um 7.500 erreichen sie Österreich (Asparn-Schletz) und Ungarn (Polgar-Ferenci-hat). Ca. vor 7.300 Jahren sind sie bereits in Deutschland (Dillingen, Essenbach, Herxheim, Stuttgart-Mühlhausen) nachzuweisen. In England tauchen sie erst 5.500 Jahre vor heute auf.

Literatur zum Einfluss der ab ca. 2700 v. Chr. deutlich bemerkbaren indoeuropäischen Schnurkeramiker (Kurgankultur) und zur genetischen Herkunft schweizerischer Menschen von Jägern/Sammlern, frühen anatolischen Bauern (Neolithikern) und gegen Ende des Neolithikums auch von Kurgan-Leuten - bis heute:

Genetische Übergänge in der Schweiz: Western Hunter and Gatherer (blau), Neolithiker (orange), Yamnaya Samara = indoeurop. Kurganvolk (grün)
  • Hafner, Albert (Univ. Bern) et al.: → Ancient genomes reveal social and genetic structure of Late Neolithic Switzerland., Nature Communications, Vol. 11, 20.4.2020. In der Abbildung wird die genetische Herkunft historischer Menschen in der Schweiz (Individuenanzahl in Klammern) nach Fundstellen in chronologischer Reihenfolge (von unten nach oben jünger werdend; ganz oben: heute) mit den Bevölkerungsquellen dargestellt: WHG = Western Hunter and Gatherer = Westliche Jäger und Sammler (blau), anatolische Neolithiker (orange) und indoeuropäische pontische Steppenhirten (Samara Yamnaya - Kurgane: grün).
  • Anthony, David W.: The Horse, the Wheel, and Language - How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World; Princeton University Press 2007. (Ausgezeichnetes Buch zur Kurgan-Kultur; Downloadquelle im Literaturverzeichnis)
  • Haak, Wolfgang (Max Planck Institut für Menschheitsgeschichte, Jena) et al.: Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe (in genetischer Sicht siehe v.a. Abb. 3 und 4). Zs. Nature 522, März 2015; verfügbar in: → Researchgate und → National Library of Medicine)
  • Librado, Pablo et 164 alii: → The origins and spread of domestic horses from the Western Eurasian steppes. Zs. Nature 598 (2021), 634-640. Überraschenderweise sei demnach nicht das domestizierte Reitpferd der Grund für die rasche Ausbreitung der indoeuropäischen Kurgankultur in Mitteleuropa gewesen. Trotzdem setzten sich ihre Gene und ihre indoeuropäische Sprache rasant durch – und die vergleichsweise wenigen eingewanderten Migranten wurden innert kurzer Zeit in einer "Kollision der Kulturen von Alt-Europäern und Indo-Europäern" (vgl. Gimbutas 1997, p. 345-350: When Worlds Collide) zur dominanten Bevölkerungsgruppe.