Exzerpt zur Station „Kammer I“

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Gotsleben, R.; Vymazal, K.: Vermessung der neolithischen Seeufersiedlung Kammer I

Einleitung

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die moderne Tauchtechnik Einzug in die österreichische Pfahlbauforschung. Erste Versuche im Keutschacher See und im Mondsee waren zwar richtungsweisend, doch nicht sehr erfolgreich.

Seit dem Jahre 1969 arbeitet die Abt. f. Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes an der systematischen Bestandsaufnahme historischer Objekte in den Salzkammergutseen. J. Offenberger hat die für maritime Verhältnisse konzipierten Methoden und Techniken für österreichische Verhältnisse abgeändert und mit ausgezeichnetem Erfolg angewendet. J. Offenberger geht nicht den Weg Schweizer Archäologen, gefährdete Objekte mit großem finanziellen und personellem Aufwand auszugraben, sondern versucht im Sinne einer bewahrenden Denkmalpflege durch systematische Erfassung und Vermessung der Unterwasser-Objekte den Denkmalschutz wirksam werden zu lassen.

Tiefenschichtlinienvermessung Seeabfluss Kammer-Seewalchen

Die Tauchgruppe Haag wurde im Jahr 1979 von der Abt. f. Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes beauftragt, eine Tiefenschichtlinienvermessung im Bereich des Seeabflusses des Attersees durchzuführen (Abb. 1).

Die vermessene Fläche liegt im Bereich der Parz. 2028(1 bis 3084/1 auf Seewalchener Seite und 14/2 bis 1/1 auf der Seite Kammer und beträgt rund 27 ha. Vermessen wurde nach der Dreiecksmethode, die A. Schatz in Misling anwendete (JBOÖMV 121/I, 1976, 121 ff.). Die Vermessung begann mit dem Aufsuchen geeigneter Basislinien am Ufer, die mit dem Maßband eingemessen wurden. Messpunkte der Parzellierung in der Uferzone sind in den Parzellenplänen eingezeichnet und wurden als Fixpunkte für die verschiedenen Messbasen übernommen.

Die Tiefenschichtlinien wurden bis Brusttiefe mit einer Messlatte gemessen, ab 2 m Wassertiefe mit einer Boje, an der eine Messleine mit in verschiedenen Tiefen einzuhängenden Gewichten befestigt war. Durch Aneinanderreihung derart gemessener Punkte gleicher Tiefe ist es möglich, die Tiefenschichtlinien zeichnerisch wiederzugeben. Noch während der Vermessung zeichnete sich ab, dass vom Abfluss seeaufwärts, etwa 300 m in westlicher Richtung, ein seichter Uferschelf verläuft, der auf der Höhe von Schloss Kammer in südliche Richtung und dem Strandbad Seewalchen am nördlichen Ufer in größere Tiefen abfällt. Die Tiefe der Abflussschwelle des Attersees liegt bei 467,9 m. Die Pfähle und Kulturschichten im Attersee liegen heute etwa 1 m unter der Abflussschwelle. Die Pfahlsetzungen im Kammer I liegt zwischen 467,81 und 467,88 m, somit in ähnlicher Höhe wie Misling II.

Station Kammer I – Abfluss Ache

Im Zuge dieser Tiefenschichtlinienvermessung wurden auf der Uferseite des Gemeindegebieter Kammer zwei mit Pflöcken im Seeboden befestigte Substruktionen einer neolithischen Siedlung gefunden. Die Fundstelle liegt genau vor der quer zum Ufer verlaufenden Grenzlinie zwischen den Parz. 14/21 und 14/2. Die Balken liegen parallel zueinander in 8 m Abstand.

Da sich einerseits die Möglichkeit abzeichnete, hier den Grundriss eines neolithischen Hauses zu erarbeiten, andererseits die Substruktionen oberflächlich und so seicht liegen, dass sie vor dem Zugriff von Badenden nicht geschützt sind, wurde eine Detailvermessung dieses Areals durchgeführt.

Die Detailvermessung der Station Kammer I

Zur exakten Feststellung der Pfahlsetzungen im Bereich dieser beiden Balken wurde ein modifiziertes System angewendet, bei dem nicht ein fixer Rohrrahmen das Gerüst bildete – wie dies in der Station Misling II der Fall war –, sondern ein Schnurnetz, das auf einer Basislinie aufgebaut war. Es hat sich gezeigt, dass für so kleine Vermessungsflächen ein rasch auf- und abzubauendes flexibles Schnurnetz besser geeignet ist. Bei der Verlegung des Schnurnetzes wurde folgendermaßen vorgegangen: als Basis wurde eine Grundleine, die über die Längsseite der Station hinausgeht, verwendet. Im rechten Winkel darauf wurden zwei Schnüre von je 10 m gespannt und die Endpunkte vom Ufer aus eingemessen. Diese beiden seeseitigen Rechteckpunkte wurden dann mit einer parallel zur Grundleine verlaufenden Schnur verbunden. Um einen rationellen Auf- und Abbau des Schnurnetztes zu ermöglichen, wurde von der Tauchgruppe Haag folgendes System erprobt: zwei Taucher verlegten an der Grundleine ein Messband, das fix gespannt wurde. In 1 m Abstand wurden u-förmig gebogene, 7 mm starke Eisenstangen von etwa 50 cm Länge in den Seeboden eingeschlagen. Ein Maßband wurde an die andere Längsseite des Rechtecks gelegt und ebenfalls in 1 m Abstand Eisenstangen eingeschlagen. Dasselbe geschah auf den rechtwinkelig dazu stehenden Quadratseiten. Danach begann ein Taucher, von Meter 1 eine Schnur zu spannen, anschließend schwamm er zum seeseitig gelegenen Teil des Quadrates auf Meter 1, dann seeseitig zum Meter 2 und zum uferseitigen Meter 2, Danach zu Meter 3 uferseitig und zu Meter 3 seeseitig, usw. Dadurch gab es keine Schnitt- oder Knickstellen in der Quadrantenschnur. Genauso verfuhr derselbe Taucher mit den Schnüren, die parallel zur Grundlinie verliefen. Er begann seeseitig bei Meter 1 und schwamm parallel zur Grundlinie zum gegenüberliegenden Meter 1 usw. Wichtig war, dass die jeweiligen Startpunkte bzw. Endpunkte der Schnur festgelegt wurden, um einen raschen und störungsfreien Abbau in umgekehrter Reihenfolge zu ermöglichen. Auf diese Art ließ sich innerhalb kürzester Zeit ein exakter Quadrant von 10 mal 10 mmit allen Unterteilungen ausstecken und auch bei Bedarf zu reproduzieren.

Die Ergebnisse

Ungewöhnlich ist, dass der Fundort nur durch 1,5 m Wassertiefe vor direkten Umwelteinflüssen geschützt ist. Beide Balken sind in der Seekreide eingebettet und waren nur durch wenige Zentimeter dicke, mit der Hand leicht abzufächernde Seekreide bedeckt. Der nördliche, uferseitige Balken weist zahlreiche Bearbeitungsspuren auf: drei halbrunde Einkerbungen ohne Pfähle im Durchmesser zwischen 0,07 bis 0,1 m. Ein Pfahl mit Durchmesser von 0,11 m war durch eine Bohrung des Balkens zur Befestigung eingerammt. Die Art der Befestigung zeigt, dass es sich um eine Grundschwelle handelt.

Der im Süden (seewärts) gelegene Balken weist so wie der andere fünf durchgehende Bohrungen zwischen 0,04 bis 0,09 m auf, in denen Pfähle zur Sicherung eingeschlagen sind. An sechs Stellen ist diese rund 7 m lange Grundschwelle an den Außenseiten durch in halbrunde Ausnehmungen stehende Pfähle mit einem Durchmesser von etwa 0,05–0,07 m seitlich gestützt.

Der Seeboden besteht in diesem Bereich aus reiner Seekreide, in die vereinzelt kleine Bruchstücke eingelagert sind und die keinen Bewuchs aufweist. Die Seekreide ist oberflächlich sehr hart, ab einer Tiefe von 0,10 m wird sie weich. In einer Tiefe von 0,50 m zieht eine Schicht stark abrollierter, zwischen 0,05 und 0,11 m dicker Quarzsteine durch. Die Pfahlsetzungen im Bereich der beiden Grundschwellen sind durch mechanische Einflüsse wie die starke Strömung (30 cm/sek.), Badegäste und durch bauliche Veränderungen im Uferbereich gestört. Die größte Störung in unmittelbarer Nähe wurde durch die Einbindung der Ringkanalleitung verursacht. Sie führt in Höhe der Parz. 14/21 und 14/17 der KG Kammer nur wenige Meter an der Siedlung Kammer I vorbei.

Unmittelbar vor der Schiffsstation Seewalchen wurde durch die Einwirkung der Schiffsschraube eine 2 m tiefe und 10 m lange Grube ausgeschwemmt. In einer Tiefe von 1,90 m kommt 10 bis 20 cm großes, meist abrolliertes Geschiebegestein zum Vorschein, das in reine Seekreide eingebettet ist. Auch in diesem Bereich wurden vereinzelt Pfähle beobachtet, die teilweise stark ausgeschwemmt oder gänzlich zerstört sind.

Eine Kulturschicht, wie sie in anderen Stationen (Misling, Weyregg, Mooswinkel, Scharfling) vorkommt, findet man in Kammer I nicht, da durch die starke Strömung in diesem Bereich jedes organische Material abgeschwemmt worden ist.

Einige kleine Tonscherben und eine Kalkperle sind die wenigen Funde aus diesem Bereich. Die Armut an Funden ist vielleicht damit zu erklären, dass bereits ab 1870 der Pfahlbau von Graf Wurmbrand und dem Fischer Kopp systematisch abgesucht und ausgebaggert wurde.

Auch die Brüder Theodor Wang und Alexander Kropatschek waren zwischen 1895 und 1898 eifrig bemüht, Funde zu sammeln.

Die C-14-Datierung (VRI-723) eines Pfahles aus dem Vermessungsbereich ergab ein Alter von 4910 ± 110 Jahren. Kammer I ist somit gleich alt wie die Station See/Mondsee (VRI-37: 4910 ± 130) und die Station Scharfling/Mondsee (VRI-311: 4980 ± 120).

Holzartenbestimmung von 24 Holzproben aus der neolithischen Station Kammer I

Neben der pfahlgerechten Vermessung eines Teiles der Station Kammer-Seeabfluss wurden aus der Quadrantenreihe 8 insgesamt 24 Holzproben entnommen. Die Holzproben dienten der Bestimmung der Holzarten, wie auch schon bei den vorhergegangenen Vermessungen des Bundesdenkmalamtes teilweise geschehen (Vymazal, FÖ 14: Misling II; JBOÖMV 121: Attersee-Landungssteg).

Es muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass 24 Holzproben zu wenig sind, um einen repräsentativen Überblick über die statistische Verteilung der Holzarten zu gewinnen.

Die verwendeten Holzarten stimmen eher mit denen in der Station Attersee-Landungssteg überein, die im Herbst 1975 durch den Bau einer Ringkanalleitung zerstört worden ist, als mit den im Misling II aufgefundenen.

In Misling II fällt besonders der hohe Anteil der Fichte auf; dieses Holz fehlt sowohl in Attersee-Landungssteg als auch in Kammer-Seeabfluss.

Das fast völlige Fehlen der Nadelhölzer in Attersee und Kammer erstaunt zunächst, eignen sich doch Fichte und Tanne, aber auch Föhre wegen ihrer mechanischen und physiologischen Eigenschaften besonders für die Verwendung im und am Wasser. Auch der Zurichtung kommen die Nadelhölzer entgegen, sind sie doch leicht zu spalten und zuzuspitzen. Allerdings konnten die eben genannten Vorteile den Nachteil des weiteren Antransportes nicht aufwiegen: im Bereich der beiden Stationen hat sich wahrscheinlich die Waldgesellschaft des Asperulo-Fagetum breitgemacht. Ein solches Biotop hat als sine-qua-non-Voraussetzung Höhenlagen bis zu 700 m, basenreiche, schwach saure Braunerden mit guter Wasserversorgung, jedoch ohne stehendes Wasser. Der Baumbestandteil des Asperulo-Fagetum umfasst Buche, Ahorn, Hainbuche, Vogelkirsche, Eiche und wenig Tanne (Habilitation Zukrigl 1974).

Die in nächster Umgebung der Siedlung wachsenden Gehölze waren – so wie auch heute noch – Erle, Weide und Pappel. Bezieht man noch die Methode de Brandwaldfeldbaues in die Überlegungen ein, so spiegelt das Ergebnis der Holzartenbestimmung die in der näheren Umgebung der Station gelegenen Waldbiotope.

Für die Station Misling II kann der Holzartenzusammensetzung die Hypothese zugrunde gelegt werden, dass zwar im Hinterland dr Station ((heute Gemeinde Unterach) das Asperulo-Fagetum heimisch war, dass aber auf der gegenüberliegenden Uferseite des Attersees aufgrund des Kalkbodens die Waldgesellschaft Helleboro-Fagetum angenommen werden darf. In diesem Biotop sind die vorherrschenden Baumarten Fichte und – schon mit deutlichem Abstand – Tanne. Da sich ein gefällter Baum die kurze Strecke von einem Seeufer zum anderen transportieren lässt, ist leicht zuerklären, warum in der Station Misling II die Fichte die am häufigsten verwendete Baumart ist.

Bei der folgenden Holzartenbestimmung sind die Prozentzahlen für Kammer-Seeabfluss in Klammer gesetzt, weil die Zahl der entnommenen Proben zu gering ist, um sie statistisch auswerten zu können.

Tabelle: Prozentanteil der verwendeen Holzarten in den Stationen Kamm I-Seeabfluss, Attersee-Landungssteg und Misling II

Holzartenbestimmung
Holzart Kammer Attersee Misling II
% % %
Salix Weide 25 6 17
Alnus Schwarzerle 21 14 13
Fraxinus Esche 21 44 6
Fagus Sylv. Rotbuche 12 2 3
Betula Birke 8 6 10
Populus Pappel 8 6 20
Abies alba Tanne 4 2 -
Acer Ahorn - 4 3
Picea abies Fichte - - 20