Exzerpt zu den kultischen Aspekten der großen Maikop-Kurgane

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Korenevskiy 2010, S. N., Große Kurgane der Majkop-Kultur: Arbeitsaufwand und kultische Aspekte bei ihrer Errichtung. In Hansen, Svend et al. (Eds.): Von Majkop bis Trialeti: Metalle und Obsidian in Kaukasien im 4.-2. Jt. v. Chr.; Habelt, Bonn, 2010:69–71.


Die Bestattung eines Häuptlings dürfte Dutzende, wenn nicht Hunderte Menschen zusammengeführt haben. Totenfeiern mit so vielen Menschen waren ein aufwändiges gesellschaftliches und wirtschaftliches Unternehmen, deren Prestige für die Verwandten freilich von ausnehmender Bedeutung war. Mit dem Arbeitsaufwand könnte dem Verstorbenen andererseits durchaus Dank für zu Lebzeiten gewährten Schutz oder Hilfe gezollt worden sein.

Es gibt verschiedene Hypothesen, die das Phänomen der Entstehung von Kurganen erklären sollen. Die wichtigsten deuten den Kurgan als Markierung eines Familienterritoriums und als Himmelssymbol. In der Maikop-Kultur könnten diese Faktoren zweifellos eine Rolle gespielt haben. Gleichzeitig avancierte der Kurgan bei den Maikop-Stämmen zu einem kultisch-religiösen wie auch zu einem sozialen Symbol für die Elite der Gemeinschaft. An den großen Kurganen der Maikop-Kultur lassen sich verschiedene kultische Ideen aufzeigen, die in der Symbolik der Hügelaufschüttung zum Ausdruck kommen.

Die Hügelaufschüttungen der großen Maikop-Kurgane zeigten unterschiedliche Formen, etwa runde, ovale, mit flacher Kuppe oder von trapezartiger Form; zur Kuppe selbst konnte ein spiralförmig angelegter Weg führen.

Die runde Hügelaufschüttung war insgesamt sehr verbreitet. Ein ovaler Hügel in Form einer gleichmäßigen Ellipse scheint bislang singulär und nur mit dem Kurgan 3 bei Brut belegt. Die Ellipsenform korrespondiert hier eindeutig mit der länglichen Grubenform und ist den Regeln zur Symmetrie von rechteckigen und ovalen Formen geschuldet, die für ein Quadrat einen Kreis, für ein Rechteck eine gleichmäßige Ellipse vorsehen. Wie eine solche Zuordnung zu erklären ist, lässt sich bislang nicht eindeutig sagen.

Große Maikop-Kurgane haben häufig eine flache Kuppe. Beim Nal´cik-Kurgan hat sie einen Durchmesser von 30 m, war festgestampft und es fanden sich Asche- und Kohlespuren; letztere dürften auf kultische Handlungen deuten, die hier vollzogen wurden. Zamankul 2 hatte eine pyramidenförmige Konstruktion mit einem spiralförmigen Wege zu seiner flachen Kuppe; vermutlich diente auch dies dem Vollzug kultischer Handlungen.

Die Steinkreise der Kurgane 1 und 2 waren aus Flusskieseln errichtet worden, die aus unterschiedlichen Gegenden stammten. Gerade die verlieh dem Cromlech einen Symbolgehalt, der über die Funktion als magische Begrenzungslinie hinausging, da in ihm nunmehr Objekte integriert waren, die eine Bedeutung innerhalb der Wassermagie, der Fruchtbarkeit und der Reinigung besaßen. Wäre dem nicht so, hätten auch wahllos andere Steine gewählt werden können.

Insgesamt lassen sich für die Architektur der großen Maikop-Kurgane zwei Punkte festhalten.

Zum einen zeigen die großen Kurgane der Fundorte der frühen Maikop-Kultur und die späteren Novosvobodnaja-Varianten eine auffällige Nähe in der Symbolik der Hügelaufschüttung und der Konstruktionen. Die deutet darauf hin, dass die Elite der Maikop-Kultur ungebrochen auf die gleichen kultischen Vorstellungen zurückgriff, um den Gräbern ihrer Angehörigen Prestige zu verleihen; dem steht die Spezifik der späten Fundorte, wie sie mit den mit Kurganen versehenen Steingräbern vorliegt, nicht entgegen.

Zum anderen scheinen die komplizierten Formen bei den Erdaufschüttungen der großen Maikop-Kurgane (Hügel mit flacher Kuppe, Ellipsen oder tempelartige Trapeze) von vornherein nicht für die Ewigkeit gedacht. Vielmehr dürften sie in der Vorstellung der Träger der Maikop-Kultur eine verborgene magische Funktion erfüllt haben, selbst wenn sie die ursprüngliche Form eingebüßt hatten. Dies unterscheidet die Ideen, die sich in der Architektur von Erdaufschüttungen manifestieren, grundlegend von den Ideen, wie sie in Stein- oder Rohziegelarchitektur zum Tragen kommen, sollen Letztere doch Generationen von Menschen zur Ansicht erhalten bleiben.

Für die Anlage der großen Kurgane der Maikop-Kultur war ein spezielles Wissen nötig; darauf lassen die komplexe Architektur, die klare Symmetrie ihrer Konstruktionsdetails und die markante Stratigraphie schließen. Wie bereits erwähnt, wurde beim Bau das geometrische Zentrum fixiert, das mit dem geometrischen Zentrum der Bestattung selbst zusammenfiel. Konstruktionsbesonderheiten dieser Art sind beispielsweise an den Kurganen Zamankul und Brut zu beobachten. Sie offenbaren ein besonderes Wissen über geometrische Figuren, beispielsweise ein Verständnis vom Kreis, einer gleichmäßigen Ellipse, des Pythagoras-Dreieicks und der Neigung der Oberfläche mit einem Winkel von 30°.

Möglicherweise drücken sich in der Symmetrie der oben erwähnten Figuren auch kultische Vorstellungen aus, war die Verbindung von Mathematik und religiösen Anschauungen in der Vergangenheit doch weit verbreitet. Sie umfasste unter anderem Zahlenmagie und die Interpretation des Zentrums als geeigneten Ort für die Anlage „der Himmelsachse oder der Achse des Universums“.

Ferner soll die bewusste Wahl von Schwarzerde für die Errichtung der Kurgane nicht unerwähnt bleiben, die eine besondere Beziehung der Menschen der Vergangenheit zu dieser fruchtbaren Bodenschicht suggeriert; möglicherweise sprach man ihr eine magische Kraft zu, die die Fruchtbarkeit gewährleistete. Neben der Fruchtbarkeit könnte die Schwarzerde aber auch die Idee der Reinkarnation des Toten symbolisieren. Diese Hypothese wird durch die Aufschüttungen anderer Kurgane von mittlerer und großer Größe gestützt (z. B. Kurgan 5 der zweiten Gruppe in Nezin, der Inozemcevo-Kurgan aus dem Jahre 1976).

Symbolcharakter dürfte auch der anstehende (gelbe) Lehmboden haben, möglicherweise stand er aufgrund seiner Farbe in Bezug zum Sonnenkult. Beim Kurgan 3 bei Brut überlagerten lehmige Schichten von leuchtend gelber Farbe die Schwarzerde-Aufschüttungen. Eine mächtige Lehmzwischenschicht wurde in der Aufschüttung des Nal´cin-Kurgans festgestellt. Eine gelbe, 5–7 cm mächtige Zwischenschicht bedeckte die erste Aufschüttung des Kurgans 2 bei Kispek. Auch beim Silberkurgan in Klady schloss die Errichtung des Grabhügels mit der Aufschüttung einer gelben Schicht ab.

Insgesamt legen die großen Kurgane der Maikop-Novosvobodnaja-Gemeinschaft die Hypothese nahe, ihre Errichtung sei von kultischen Würdenträgern realisiert worden, die zumindest teilweise auch als Priester auftraten. Nach dem Ende der Maikop-Kultur werden, Kurgane mit flacher Kuppe, einer Aufschüttung aus Schwarzerde und einer abschließenden Schicht mit anstehendem Lehm in den folgenden Zeitabschnitten bei den Stämmen, welche in Tradition der Domen-Architektur (Kurgan 11, Grab 54 bei Klady) oder der Katakombengräber (im Norden des Kreises Stavropol der Große Ipatovo-Kurgan) stehen, errichtet.

Das Phänomen der großen Kurgane ist in einer Gemeinschaft aufgekommen, die innerhalb Kaukasiens respektive der alten Welt im 4. Jt. v. Chr. insgesamt vor allem in der Produktion von Sachgütern, Waffen und Statusobjekten hoch entwickelt war. Überdies kommen mächtige Grabhügel als unabhängige Erscheinung in verschiedenen Kulturen an der Schwelle der Staatlichkeit vor. All diese Kulturen verbindet eine hohe Militarisierung der Gesellschaft und das Bestreben der Elite, ihr Recht auf wirtschaftliche Vorherrschaft gegenüber den Stammesgenossen und der abhängigen Bevölkerung mit der Waffe durchzusetzen. Hügelgräber boten ihnen eine – freilich weder die einzige noch eine obligatorische – Möglichkeit, die Macht der Krieger, der geistigen und administrativen Elite im Rahmen einer prestigevollen Bestattung zu festigen, symbolisierten die Grabhügel doch die sich entwickelnde Naturreligion. Damit wurde der große Grabhügel in der Weltkultur zu einem Phänomen und einem Kult-Ort der Elite einer Gesellschaft, der sich über verschiedene Phasen einer jahrtausendlangen vorstaatlichen Entwicklung bei den Völkern Eurasiens hielt.