Ergebnisse von Marie-Claire Ries
Ries 2018, Marie-Claire: → Von Pollen, Pilzsporen und Parasiteneiern - Paläoökologische Analysen in oö Seeufersiedlungen; Fines Transire 28, 2018:201-219.
Ergebnisse der interdisziplinären Pollen-, NPP-, Makrorestanalysen und sedimentologischen Untersuchungen
Entwicklungen der Vegetations- und Landschaftsgeschichte vor, während und nach der neolithischen Besiedelung von Weyregg II zeichnen sich im Schichtverlauf ab. Holozäne Vegetationsabschnitte des Boreals, des Atlantikums, des Subboreals und Subatlantikums sind vertreten. Der Beginn der Ufersiedlung fällt in die Phase des Atlantikums, stratigraphisch jüngere Abschnitte konnten dem Subboreal zugeordnet werden. Die Analyse der anthropogen abgelagerten Schichten ist allerdings nicht mit der palynologischen Untersuchung natürlicher Archive zu vergleichen, welche vorwiegend großräumige, natürlich initiierte Landschaftsveränderungen reflektieren. Die Analyse von archäologischen Kulturschichten stellt sich anders dar, da diese zu einem großen Teil aus durch menschliche Prozesse allochthon akkumulierten Pollenspektren bestehen. Aussagen zum paläoökologischen Umfeld von Weyregg II und zu ökonomischen Schwerpunkten des Neolithikums lassen sich somit präzisieren.
Auffällig ist etwa die massive Akkumulation von Getreidepollen (Cerealia-Typ) in den Kulturschichtpaketen, welche Hinweise auf Verarbeitungsprozesse direkt im Siedlungsareal liefert. Neben dem Nachweis primärer Kulturpflanzen gelangen zahlreiche Nachweise der Nutzung pflanzlicher Ressourcen aus der Umgebung der Siedlungsstelle. Die gezielte Nutzung von Wald als Nahrungs- und Rohstoffquelle ist dabei hervorzuheben. Im Rahmen der Subsistenzwirtschaft von Weyregg II spielten menschliche Eingriffe in die ursprüngliche Bewaldung, etwa durch Brandrodung, Niederwaldwirtschaft, Schneiteln zur Laubheugewinnung sowie die Waldweidewirtschaft eine wichtige Rolle. Diese Tätigkeiten führten unweigerlich zu einer Veränderung der ursprünglichen Waldzusammensetzung, innerhalb derer bestimmte Arten wie etwa die Hasel oder Holzäpfel mit hoher Wahrscheinlichkeit gezielt gefördert wurden. Pflanzen aus Vegetationsgesellschaften des Kulturbrache- und Ackerbereichs (etwa die Trittrasenpflanze Spitzwegerich) sowie weitere Grünland- und Offenlandpflanzen (z. B. Süßgräser) sowie Stickstoffzeigern (Brennnessel) lassen auf waldfreie Areale und gedüngte Flächen im Siedlungsumland schließen. Wie das Verhältnis zwischen Ackerflächen, Grünland und Bewaldung im Umland ausgesehen haben könnte, lässt sich allerdings erst mit Ergebnissen ergänzender palynologischer off-site-Analysen und repräsentativen Großrestanalysen beantworten. Arbeitsergebnisse aus neuen Studien weisen auf eine Landschaft hin, in der menschliche Präsenz ein prägender Landschaftsfaktor gewesen sein muss (Ackerbau, Rodung, Viehzucht etc.), Offenland allerdings nur in sehr limitierter Form bestanden hat. Erfasste Pollentaxa geben Aufschluss zu bestimmten Sammeltätigkeiten für den menschlichen Nahrungserwerb. Klar ist allerdings auch, dass bestimmte Spektren der Mikrofossilien die Nutztierwirtschaft reflektieren. Hinweise auf saisonale Sammeltätigkeiten wie etwa das Pflücken von Bärlauch (Auftreten von Pollen des Alliumursinum-Typs) im Frühling, sind als besonders interessant hervorzuheben. Sporen von Mycogone, einem parasitären Pilz, der auf Fruchtkörpern der Agaricales-Familie („Champignonartige“) wächst, sind in großer Anzahl vorhanden. Zu den Champignonarten zählen Speisepilze, aber auch Giftpilze wie der Fliegenpilz. Dies könnte als potentieller Hinweis auf Sammeltätigkeiten für kulinarische Zwecke oder aber für eine mögliche Nutzung hinsichtlich psychoaktiver wirkender Stoffe für spirituelle Erfahrungen (entheogene) sozio-kultureller Zwecke interpretiert werden). Ähnliche Interpretationsvorschläge sind für Sporen von Sepedonium, einem parasitären Pilz, der auf Fruchtkörpern der Boletales-Familie (Ständerpilzen bzw. Röhrenpilzen) vorkommt, nicht auszuschließen). Außerdem ist eine enorme Bandbreite an Kräutern vertreten, welche für unterschiedlichste menschliche Verwendungszwecke herangezogen werden konnten. Möglicherweise repräsentieren bestimmte Pollenfunde Pflanzen, wie etwa das Lungenkraut oder der Beinwell, welche als Medizinalpflanzen genutzt worden sein könnten. Der Bittersüße Nachtschatten könnte hierbei aufgrund seiner entheogenen Wirkung im Neolithikum eine Rolle gespielt haben, wobei ein direkter wissenschaftlicher Nachweis für eine derartige Nutzung bisher nicht fassbar ist.
Zentraler Bestandteil der vorliegenden Arbeit sind die vielfältigen Hinweise auf das Vorhandensein von Nutztieren im Siedlungsareal. Bestimmte immergrüne Sträucher und Bäume wie Efeu oder Tannen (v. a. reichlich auch als Nadeln vorliegend) dürften wohl als Winterfutterquelle genutzt worden sein. Ähnliches ist für die hohen Pollenkonzentrationen von Frühblühern wie Hasel oder Erle zu erwarten, die mit der Kätzchenfütterung von Haustierbeständen in Verbindung zu bringen sind. Im archäologischen Fundspektrum konnten zudem Tierkoprolithen nachgewiesen werden, sowie eine Fülle an Sporen koprophiler Pilze, welche Tierdung als Substrat benötigen (z. B. Podospora, Sporormiella, Delitschia und Sordariaceae). Zudem bezeugt das Auftreten subfossiler Peitschenwurmeier (Trichuris) das Vorhandensein von Parasiten im Verdauungstrakt von Säugetieren. Inwiefern diese den Menschen oder dessen Haustiere befallen haben, lässt sich ohne ergänzende parasitologische Informationen allerdings noch nicht verifizieren. Die Summe der Funde weist darauf hin, dass Haustierbestände, zumindest saisonal, mit Menschen auf engem Raum im Siedlungsareal von Weyregg-II gelebt haben müssen, und lässt auch indirekte Rückschlüsse auf den Verschmutzungsgrad des Lebensraums vor Ort zu, bzw. auf die allgemeinen hygienischen Bedingungen und die damit zusammenhängende Lebensqualität der prähistorischen Attersee-Bewohner.
Hinsichtlich der Schichtengenese und der Ablagerungsprozesse im Littoralbereich soll grundsätzlich darauf hingewiesen werden, dass diese sehr komplex und zahlreichen dynamischen Prozessen unterworfen sind. Eine kontinuierliche lückenlose Ablagerung, gerade im Flachwasserbereich, ist daher kaum gegeben. Hiatus- und Erosionshorizonte zeichnen sich im Profil des Bohrkerns ab. Beachtenswert ist, dass im stratigraphisch älteren Abschnitt der kompakten Kulturschicht ausgezeichnete Erhaltungsbedingungen vorherrschen und organische Materialien offenbar in ungestörter Art stratigraphisch abgelagert wurden. Von einer sehr schnellen Einlagerung und Konservierung organischer Reste unter anoxischen Bedingungen muss ausgegangen werden. Hierbei soll darauf hingewiesen werden, dass Moose aus dem Makrorestspektrum nach ihrer Entnahme aus der Kulturschicht teilweise noch grün wirkten Ein besonderes Highlight stellt zudem der Fund einer hervorragend erhaltenen Hülse einer Leguminose (Hülsenfrucht) dar, möglicherweise von einer Erbse (Pisum sativum), der erstmals für eine österreichische Seeufersiedlung gelungen ist und deshalb das besondere Erhaltungspotential der neolithischen Kulturschichten von Weyregg-II hervorhebt. Funde von aquatischen Pflanzen, etwa Eizellen von Armleuchteralgen, welche innerhalb der menschlich akkumulierten Kulturschichten auftreten, implizieren einen aquatischen Einfluss bzw. Hochwasserphasen, die allerdings innerhalb der Besiedlungshorizonte variieren. Als besonders interessant hat sich ein zwischen den archäologischen Kulturschichten eingebetteter minerogener Abschnitt herausgestellt. Die natürlich akkumulierte Hauptkomponente ist eine durch biogene Kalkausscheidungsprozesse gebildete Seekreide mit Characeen-Eizellen von Nitella, was auf einen möglichen Seespiegelanstieg im Weyregg-II-Areal hinweisen könnte. Als zusätzliches Argument dafür können auch die Funde zahlreicher aquatischer NPPs betrachtet werden. Vor allem die Anzahl aquatischer Flachwurm-Eizellen nimmt zu. Interessanterweise beinhaltet diese Schicht auch Getreidedruschreste sowie hohe Akkumulationsraten von Pollen des Cerealia-Typs. Inwiefern es sich dabei um limnisch aufgearbeitete Bestandteile einer Kulturschicht handeln könnte, wird erst nach einer vergleichenden Auswertung mit der archäologischen Befundlage geklärt werden können. Interessant ist, dass auch Höchstwerte von Sporen des Bodenpilzes Mykorrhiza auf starke Erosionsprozesse innerhalb dieses Abschnitts hinweisen.
Bemerkenswerterweise enthalten die neolithischen Kulturschichtpakete von Weyregg-II gemäß den durchgeführten, hochauflösenden XRF-Analysen, relativ hohe Kupfer-, Zink-, Arsen-, Mangan- und Eisenwerte, was möglicherweise auf Metallverhüttungstätigkeiten innerhalb des Siedlungsareals hinweisen könnte. Allerdings fehlt bisher auch hier der direkte Vergleich mit den archäologischen Funden und Befunden, sodass diese XRF-Ergebnisse noch nicht definitiv interpretiert werden können.
Der Übergang zwischen der stratigrafisch jüngeren Kulturschicht und der darüber liegenden, limnisch gebildeten Seesedimente ist ebenfalls durch starke Erosionsereignisse gekennzeichnet. Pollenfunde von Walnuss in den Schichten unmittelbar oberhalb der jungsteinzeitlichen, stratigraphisch jüngsten Kulturschichten deuten auf einen massiven Sedimentationshiatus von mindestens 3500 Jahren hin, da die Walnuss in Oberösterreich frühestens ab der Römerzeit auftritt.