Die Spuren der vorgeschichtlichen Eiszeit im Salzkammergute (1846)

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Die Spuren der vorgeschichtlichen Eiszeit im Salzkammergute.

Oesterreichisch-Kaiserliche privilegierte Wiener Zeitung, Sonntag 3. Mai 1846 und folgende Ausgaben

Von Friedrich Simony.

Noch immer findet die Hypothese, daß einst Europa, oder doch ein großer Theil desselben, vorzüglich das Alpenland, unter großen Gletschermeeren begraben lag, trotz der mannigfaltigsten Thatsachen, auf welche bereits die Geologen Charpentier, Venetz, Agassitz, Forbes, Hugi u. a. ihre Ansichten begründet haben, zahlreiche Widersacher. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand sind auch noch keineswegs als geschlossen zu betrachten, das Sammeln neuer specieller Thatsachen, die darauf Bezug haben, und ihre naturtreue Darlegung durch Wort und Zeichnung, erscheinen noch immer unerläßlich, um die endliche Lösung einer Frage herbeyzuführen, die gegenwärtig das Interesse des gesammten wissenschaftlichen Publicums in Anspruch nimmt. — Bey meinen Wanderungen und vielseitigen Untersuchungen im Salzkammergute, habe ich auch in jener Beziehung manche Erscheinungen beobachtet, die mir in ihrer Vereinzelung anfangs räthselhaft erschienen, nach ihrer Zusammenordnung und Vergleichung aber immer klarer wurden, und mich endlich ebenfalls zu der nothwendigen Annahme einer einstigen, weitverzweigten und mächtigen Ausdehnung der Gletscher in unseren Alpenländern hinführten. In den folgenden sechs Nummern [der 2023 eingestellten Wiener Zeitung] theile ich vorlaufig meinen Lesern das im Auszuge mit, was ich später in einem größeren Werke über diesen Gegenstand zu veröffentlichen Gelegenheit haben werde. In den ersten mit dem Beginne des nächsten Jahres erscheinenden Lieferungen meines geologischen „Atlases des Oesterreichischen Gebirgslandes" werden sich mehrere strenge nach der Natur aufgenommene Blätter besuchen, welche die hier gegebenen Mittheilungen über das todte Gebirge, über Abrundungen der Gebirgstheile, über Karrenfelder, Moränen u.s.f. zur bildlichen Anschauung bringen sollen.

I. Das todte Gebirge.

Mit diesem Nahmen bezeichnet der Aelpler jene Steinwüsten, welche in oft stundenweiter Erstreckung sich um die zahlreichen Hochzinnen der mächtigen Alpenkalkstöcke in der nördlichen Norischen Kette ausbreiten, als da sind, das steinerne Meer, der ewige Schneeberg, das Tännen-, Dachstein- und Priel-Gebirge; und welche den höhern (zwischen 6500—9000' gelegenen) Theilen der weitgedehnten Hochplateaus dieser Gebirge jenen eigenthümlichen Charakter von Wildheit geben, den man vergebens in den Urgebirgen suchen würde. Wenn uns Gletscher das düster-großartige Bild einer in Todesschlaf versunkenen Natur darstellen, so zeigt uus das todte Gebirge nichts, als ein schauerliches Golgotha, das bloßgelegte, zerbröckelnde Riesenskelet eines abgelebten Erdenstückes. Versetzen wir uns einmahl in die große Einöde des Ausseer todten Gebirges, zwischen dem Elm- und Hochpriel, dem Rabenstein und den Trageln; oder auf dem Dachsteingebirge in das wüste Felsgewoge zwischen dem Krippenstein, Hirschberg und Speikberg, zwischen den Hochroms und Koppenkarste in, welch' ein Gemählde von Abgestorbenheit und Zerstörung biethet sich da unserem Auge dar! — Fällt der Blick aus einiger Entfernung in diese Trümmerwelt hinein, so müht er sich vergebens, nur irgendeine Spur organischen Lebens in ihr zu entdecken, und selbst wenn der Fuß des Wanderers bereits den Boden der Steinwüsten betreten hat, so entdeckt höchstens nur noch der Späherblick des Botanikers da und dort eine kleine, zwischen Felsenspalten sich bergende oder eingeklemmte Gruppe seltener Pflanzenarten.

Je mehr man über die grauweißen, zerschründeten Felswogen hinschreitend der Mitte dieser grauenvollen Einöden sich nähert, desto drückender wird das Gefühl der gänzlichen Abgeschiedenheit. Anfangs labt sich wohl noch das Auge im Zurückschauen an den dunklen Streifen Krummholzes, welches einzelne Steinköpfe überwuchert, oder es saugt Erquickung aus dem frischeren Grün eines grasbedeckten tiefen Kares, welches zwischen den kahlen Wällen gleich einer Oase eingebettet ist.

Aber der monotone Schmuck der Zwergsträuche auf dem bleichen Gesteine wird mit jedem Vorschritte krüppelhafter und spärlicher, die sammtfärbigen Matten im Grunde der Kare schrumpfen zu einzelnen bräunlichen Rasenflecken zusammen; endlich tritt gar nur wüstes Steingetrümmer an der letztern Stelle, zwischen welchem noch vereinzelt der Alpenflora letzte Kinder entweder vor der Gluth der durch den weißen Steinboden verstärkten Sonnenstrahlen des Sommers oder vor dessen plötzlichen Schneestürmen einen dürftigen Schutz suchen. Die Hochzinnen des Gebirges tauchen nun als wachsende Kolosse immer höher aus dem welligen Terrain empor, und beengen den Horizont, welcher dem Auge schon nichts mehr biethet, als einzelne Gipfel ferner Bergzüge, die gleich steilen Inselgruppen da und dort aus dem Gewoge des Felsenmeeres zu uns herüberschauen und durch ihre reichen duftigen Farbentöne mit der gespenstigen Farblosigkeit des Vordergrundes einen eigenthümlichen Gegensatz bilden. Nun klimmt der ermüdende Fuß immer unsicherer, bald über fürchterliches Geklippe mit messerscharfen Grathen, Spitzen, Zacken, dunklen Klüften und gezähnten Schlünden, die dem Alpenpilger grausig entgegenstarren, bald über gerundete und wieder hundertfach zerspaltene Felsenköpfe, die unordentlich über einander geschichteten, zerhackten Riesenschädeln gleichen. Die Oberfläche alles Gesteins ist rauh und ausgefressen, als wären einst Säuren darauf herabgeregnet. Endlich hat das Pflanzenleben auch seine letzte Gränze gefunden. Die Grasflecke in den tiefen Mulden sind verschwunden, und an ihre Stelle treten nun bald kleinere, bald größere Schneeflecke, die sich hie und da zu Feldern ausdehnen; aus jeder Höhle, aus jedem Felsenschrund, deren es unzählige gib, glotzt neuer oder alter, halb vereister Schnee hervor. Schnee liegt auf den ansteigenden Schuttbergen der emporstarrenden Wände, Schnee hängt in den tiefern Furchen der letztern; unvergängliche Lawinenmassen thürmen sich an ihrem Fuße zu mächtigen Schneepyramiden auf. Eine Riesenklippe steht jetzt nahe vor uns, sie schließt die Aussicht ab; wir wenden uns zur Rechten, zur Linken, wir schauen zurück, überall dräuen uns plötzlich schwindelnd hohe Felsgebilde, wie aus ihren Gräbern erstandene Titanen entgegen — wir sind im Herzen des todten Gebirges. Nichts gewahrt nun mehr der suchende Blick von der bewohnten Erde. Ebene, Thäler, Städte, Dörfer, Felder, Wiesen, Wälder, Alpen, sie alle sind dem Aug' entrückt, kein Laut aus der lebenden Welt, kein Glockenschall, nichts mahnt mehr an die fernen Sitze der Menschen. Vergebens lauscht das Ohr nach bekannten, wenn auch noch so leisen Tönen, die Fessel des Todes hält hier den Laut gefangen. Nur selten, wenn ein Rudel Gemsen vor dem rastlos sie verfolgenden Schützen bis in diese öde Wildniß entflieht und auf unzugänglichen Felsenzacken die letzte Rettung sucht, mahnt das Prasseln abgebrochener Steine oder auch ein gellender Pfiff an das Daseyn eines geängstigten Lebens; oder wenn ein hoch in den Lüften kreisender Geyer beutegierig sein Geschrey in die Wüste herabsendet, oder eine Schaar ziehender Raben plötzlich mit wildem Gekrächze auf eine vom Sturze oder tödtenden Bley verendende Gemse, oder auf ein verwesendes Aas niederschwirrt, bricht für Augenblicke das lastende Schweigen dieser erstarrten Natur. — Hier befinden wir uns in den erschlosssenen, abgedeckten Katakomben untergegangener Schöpfungen. Wir stehen über berghoch gelagerten Resten zahllos erneuerter Thierwelten und hoch über uns hinaus ragen noch Felsenmauern und Pyramiden, deren Hunderte von Schichten eben so wie die ungeheuern Massen unter uns im Laufe von Aeonen in des Urmeers tiefem Schooße abgelagert wurden, bis sie Plutos rastlos wirksame Gewalten dem Schooß Neptuns entrissen und allmählig zu mächtigen Erdhäuptern aufwölbten, von denen wir jetzt nur noch Trümmer und Ruinen erblicken, welche des Baues ursprüngliche Größe kaum mehr ahnen lassen. Wie schrumpfen die wenigen Jahrtausende der Menschengeschichte hier zur Spanne Zeit zusammen vor den unermeßlichen Epochen der Erdgeschichte, welche als die erhabenste Offenbarung der ewig schaffenden Allmacht mit deutungsvollen Zügen auf diesen großen Baustätten des Planeten, wo jetzt keine Spur ephemeren organischen Lebens an die kurze Gegenwart zu mahnen vermag, verzeichnet ist. Vergebens müht sich hier der Geist, Halt an den ihn umringenden Gegenständen zu gewinnen, um den Schwindel zu gewaltigen, welcher ihn im Schauen der unter ihm geöffneten ungeheuern Vergangenheit erfaßt; Alles reißt ihn wirbelnd nur immer tiefer in den bodenlosen Abgrund abgelaufener Zeiten. Welch eine Kette von Entstehungs-, Bildungs- und Umstaltungsphasen rollt vor ihm ab, wenn er sich die Geschichte der secundären Formation des Dachstein- oder Prielstockes von dem Zeitraume der Ablagerung ihrer untersten Schichte im Meere bis zu der jüngsten Epoche ihrer jetzigen Oberflächengestaltung denkt! Ja, welche Reihe von Jahrtausenden, welche Aenderung der klimatischen Verhältnisse ist der Forscher schon genöthigt anzunehmen, die nur zwischen der Periode, in welcher das todte Gebirge seine ihn jetzt so charakterisierende Verödung erfuhr, und zwischen der Gegenwart liegen! denn selbst dem Laien wird sich schon beym ersten An¬blick des todten Gebirges der Gedanke aufdrängen, daß eine solche Verwüstung der Gebirgsoberfläche nicht als das langsame Ergebniß der gegenwärtig wirkenden äußern Einflüsse angesehen werden könne, da es viele andere Gebirge derselben Formation und Höhenausdehnung gibt, die auch unter den gleichen klimatischen Verhältnissen stehen und dennoch keineswegs jene geschilderte Zerstörung der Oberfläche, jenen Mangel an Pflanzenleben wie das todte Gebirge zeigen, sondern daß diese so eigenthümliche Verödung des genannten Terrains Ursachen zugeschrieben werden müsse, die jetzt auf demselben nicht mehr wirksam sind.

Die nähere Bestimmung dieser Ursachen, welche den Zweck dieses Aufsatzes bildet, wird aus der nachfolgenden speciellen Untersuchung jener Erscheinungen hervorgehen, die entweder unmittelbar dem todten Gebirge angehören oder sich seinen so eigenthümlichen Gestaltungen anreihen. Die mögliche Zurückführung mancher dieser Erscheinungen ans analoge Wirkungen in der Natur, deren Ursachen der unmittelbaren Beobachtung nahe liegen, wird jene Bestimmung erleichtern.

II. Die Abrundüng der Gebirgstheile.

(5. Mai 1846)

Eine eben so auffallende als interessante Erscheinung auf dem Dachsteingebirge, dem höchsten und zugleich mächtigsten Alpenkalkstocke Oesterreichs, ist die Abrundung beynahe aller emporragenden Theile der Oberfläche von den unbedeutendsten Felsköpfen, Wällen und Stufen bis zu den großen Höhenmassen, die in oft imposanten Formen aus dem welligen Hochplateau sich in zahlreicher Menge erheben. Nur die höchsten Zinnen des Gebirges und manche schon ganz am Fuße desselben gelegenen oder sehr großen, steilen, nach der Außenseite des Gebirges gekehrten Wänden angehörige Felspartien machen eine Ausnahme. In den tiefsten Theilen des Gebirges ist die Abrundung der kleineren Erhöhungen durch dichte Wälder verhüllt, an der obern Gränze der letztern tritt sie schon sichtbarer hervor, in der Region des Krummholzes und im todten Gebirge bis zur Höhe von 7000' ist sie am vollständigsten ausgeprägt. Die Abrundung der Gebirgsgipfel wird desto deutlicher kennbar, je höher der Standpunct ist, von welchem aus die letztere übersehen werden können; von der Sohle des Thales aus, wo man nur selten die eigentlichen Kuppen der Berge zu sehen vermag, wird die Abrundung durch die sich dem Auge vorschiebenden verschiedengestaltigen Abhänge vielfach verdeckt.

Diese Erscheinungen der Abrundung sind auf dem Dachsteingebirge so allgemein verbreitet, daß sie schon bey der ersten Wanderung nach dessen Gletschern, noch mehr aber bey der Ersteigung seines höchsten Gipfels, des hohen Dachsteines, selbst dem Laien auffallen müssen. Wenn die Ersteigung dieses Bergkolosses von Hallstatt aus unternommen wird, so durchschreitet man zuerst das durch mächtige Schuttablagerungen geebnete, von gewaltigen, wunderlich geschichteten Felsmauern eingeengte Echernthal. Den Hintergrund desselben bilden die gerundeten Höhenrücken der Mitterwand, der Hochau, des Langthalkogels, des Blankensteins, des Grün- und Gamskogels. Ist der tosende Waldbach überschritten, beginnt das Steigen im Dunkel dichter Gehölze. Nach dreystündiger Wanderung hat man den sogenannten Thiergarten (4500') und mit ihm die obere Gränze der Waldregion erreicht. Die Bäume treten in kleinen Gruppen, oder ganz vereinzelt auseinander, und zwischen diesen breitet sich in üppiger Entwickelung das Krummholz und die Alpenrose aus. Hier werden die Abrundungen der verschiedenen Erhabenheiten des Felsbodens zum erstenmahle sichtbar. Hat man die Herrengasse, eine vom Witz der Sennerinnen so bezeichnete, mit ewigen Koth ausgefüllte, holperige Felsklamme hinter sich, so begegnen dem Auge schon überall abgerundete Felsköpfe, oder Rundhöcker, welche im Sommer, wenn aus ihren zahlreichen Spalten die üppig wuchernden Alpenrosen ihre reichen Blüthentrauben hervordrängen, durch den Farbencontrast ihres schimmernden, beynahe weißen Gesteins, und des dasselbe überschlingenden, im saftigsten Blattgrün und glühenden Blumenpurpur prangenden Strauchgewindes einen eigenthümlich schönen Anblick gewähren. Auch am Wege von der Wies zur Ochsenwies und von da nach der Ochsenwieshöhe findet man die gleichen Abrundungen des Bodens. Die Ochsenwieshöhe (6200 W. F.), welche gewöhnliche Bergsteiger von Hallstatt aus in fünf Stunden erreichen, gibt die erste freye Uebersicht eines ziemlichen Theiles des ganzen Dachsteingebirges. Der großartige Anblick des Hallstätter Gletschers und der denselben umschließenden prachtvollen Felsgebilde überrascht plötzlich den Wanderer. Die Pyramiden des hohen und niedern Dachsteins thronen in Südwest majestätisch wie ein Königspaar auf der höchsten Firnstufe des krystallnen Gletscherreiches. Im Osten ragen über die Rücken des Dachsteinplateaus die hundert Gipfel des Prielgebirges, die Berge von Admont und der mächtige Grimming empor; gegen Mitternacht bilden die stattlichen Höhen des nördlichen Salzkammerguts den Hintergrund. Von der Ochsenwieshöhe aus hat man auch zum ersten Mahle Gelegenheit, in größerer Ausdehnung die Tätigkeit der Abrundung an fast allen kleinen und großen Erhabenheiten der vielfach ausgewühlten Oberfläche des Dachsteingebirges von dessen tiefsten Karen an bis zum Fuße seiner höchsten Zinnen zu beobachten. Wo das Auge nur immer in das weite Felsmeer zu tauchen vermag, trifft es entweder auf weißgraue, runde Steinköpfe oder gerundete Wälle oder eigenthümlich abgeschliffene Stufen und Platten, zwischen Welchen die höheren Massen wieder als gerundete Küppen aufragen. Nur die pralligen Wände und zackigen Gipfel der Hauptzinnen in Süd, und Süd¬west zeichnen sich als auffallender Gegensatz der erstern in scharfeckigen Umrissen.

Ist die Ersteigung des hohen Dachsteingipfels (welche durch verschiedene von mir getroffene Vorkehrungen zwar jetzt nicht mehr so gefährlich wie ehedem ist, aber immer noch beschwerlich und für dem Schwindel unterworfene Personen unausführbar bleibt), das Ziel der Wanderung, so führt der weitere Weg bald über kahle Rundhöcker und abgeschlissene Felsstufen, bald über scharf zerklüftetes Gestein und Schneeflächen, in etwa zwey Stunden zum Fuße des Schöberls, eines schon dicht am Gletscher stehenden, ganz isolierten, ringsum abgerundeten, spitz auslaufenden, 80 Klafter hohen Felskegels; von da aus in gleicher Zeit über die Eis- und Firnberge des Großen Hallstätter Gletschers, dessen unterer Theil das Carls-Eisfeld genannt wird, zum Fuße des hohen Dachsteines, welcher aus der steilen, von einer mächtigen Querkluft, dem sogenannten Bergschrund, durchrissenen Firnsehne als eine beynahe senkrechte, spitz auslaufende Wand noch etwa 500' hoch emporragt. Ueber den Bergschrund gelangt man mit Hilfe einer mitgenommenen Leiter, bey dem Ersteigen der Wand dient ein durch viele Eisenringe geschlungenes Seil zur fortwährenden Handhabe.

Der Zweck dieses Aufsatzes gestattet nicht, hier in eine ausgedehnte Darstellung des großartigen Gemähldes einzugehen, welches den muthigen Ersteiger auf dieser erhabenen Firne umschließt (darüber findet der Leser Schilderungen in dem Berichte über meine erste Besteigung des hohen Dachsteines, Wiener Zeitung, Jahrgang 1842, Nr. 258, und in dem Aufsatze: „Zwey Septembernächte auf der hohen Dachsteinspitze“ in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur und Mode, Jahrgang 1844, Nr. 116—125), nur die Formen der Einzelmassen des ganzen Dachsteinstockes, welche» man nun beynahe vollständig überblicken kann, sollen hier vorzugsweise ins Auge gefaßt werden.

Die Details der Gestaltungen jener zahllosen Kare, Wälle, Rücken und Spitzen, welche das meilenweite Hochplateau zusammensetzen, sind nun zwar durch weitgedehnte Gletscherfelder, welche sich um den König des Gebirges wie ein Silbermantel schmiegen, dem Auge fern gehalten, dafür treten jetzt die allgemeinen Umrisse der größern Erhöhungen viel deutlicher hervor. Jene Abrundung, die wir früher an allen kleinern Aufragungen der Felsmassen so constant gefunden hatten, sehen wir hier nun auch im größern Maßstabe an den zahlreichen Gipfeln des riesigen Gebirgsstockes, jedoch nur bis zu einem gewissen Niveau, sich wiederhohlen.

Wenn wir den Theil des Dachsteinplateaus zwischen Nordost und Südost überschauen, so haben wir Mühe, die 5800—6800 Fuß hohen, ganz abgerundeten Kuppen des Hierlaiz-Zwölferkogels, Krippensteins, Koppens, Hirsch- und Speikbergs, die sich vom Hallstätter See aus in so verschiedenen Umrissen darstellen, von, einander sowohl, als auch von den andern im Innern des Plateaus gelegenen Hochrücken zu unterscheiden. Der zwischen den Hallstätter- und Schladminger Gletscher (die beyde von einer gemeinsamen Firnebene auslaufen) sich einschiebende Gjaidstein zeigt an seinem 8650 Fuß hohen Gipfel, welcher die um ihn herum sich steil abstufenden Firn- und Gletscherflächen gegenwärtig 800—1500 Fuß hoch überragt, die gleiche Abrundung. (Auch von Aussee und Jschl aus sieht mau die Rundung seiner Kuppe.) Dagegen stehen in einem grellen Kontrast zu den bisher genannten abgerundeten Gipfeln die, das Niveau der Gjaidsteinkuppen noch überragenden, scharfgezackten Zinnen des niedern Dachsteins, des hohen Kreuzes, der Diendln und des hohen Koppenkarsteins oder hohen Eselsteins und endlich der schmale Grath des hohen Dachsteins selbst.

Kehren wir uns nach Nordwest, so schauen wir in den tiefen Gebirgsausriß der Gosau, dessen oberster, die Doppelscharte zwischen dem hohen Dachstein, Mitterspitz und Thorstein bildende Theil von diesen drey höchsten Spitzen des ganzen Stockes, dann noch von der Schneebergwand, dem niedern Dachstein und dem Hochkreuz umlagert ist, und dem Gosaugletscher zum Bette dient. Unterhalb des letzrern bildet die breite Schlucht eine steile, 2500 Fuß hoch abfallende Stufe, hinter welcher sich in verschiedenen Höhenabständen die Gosauseeen und endlich das Gosauthal (ein bereits durch Schuttablagerungen trocken gelegtes Seebecken) aneinander reihen. Die diesen tiefen Gebirgsausriß begrenzenden Felsmauern, die sich am Gosaugletscher 1200 bis 1800 Fuß über dessen Oberfläche, an den Seen 2500- 2800' über deren Spiegel erheben, zeigen — vorzüglich der sogenannte Gosaustein (7700—6100 Fuß hoch) — äußerst scharf gezackte Formen, die mit den runden Kuppen des östlichen Gebirges auffallend contrastiren. Aber die klippige Form des Gosausteins, zur Linken der Gebirgsschlucht, bricht plötzlich mit dem kleinen Donnerkogel (6100'), zur Rechten mit dem hohen Hoßwandkogel (8000' zum Hochkreuz gehörend) ab, und die 5000—4600 Fuß hohen, das Gosauthal 2700— 2300 Fuß überragenden Kuppen des Zwieselbergs, Hühnerkogels und Hornspitz (an den Gosaustein sich anschließend), so wie die zahlreichen vom Hochkreuz aus nach Norden sich absenkenden, 7500—4500 Fuß hohen unmittelbar zum Dachsteingebirge gehörigen Rücken und Kuppen zeigen alle wieder die vielfach erwähnte Abrundung.

Zwischen Südost und West ist das Gebirge unmittelbar unter seinen höchsten Zinnen plötzlich abgerissen und bildet eine 2500—4000 Fuß hohe, beynahe durchgängig senkrechte, Wand. An diese lehnen sich ungeheuere Schuttgehänge, hinter welcher sich ein mehrfacher Wall zuerst von spärlich mit Bäumen besetzten Alpenrücken, dann von dicht bewaldeten Vorbergen ins Ensthal hinabsenkt.

Wenn nun nach den Erscheinungen, welche von mir nicht nur an den hier benannten Puncten, sondern auch an vielen anderen Orten der ganzen Ausdehnung des Gebirges nach aufgesucht und verfolgt wurden, die Gränzen der Abrundung, bestimmt werden sollen, so ergeben sich im Allgemeinen folgende Thatsachen: 1) Daß die Abrundung der verschiedenen Unebenheiten der Felsoberfläche in der Region des Krummholzes sich schon allgemein verbreitet zeigt, von da stellenweise, bis ins Thal hinabsteigt eben so auch bis zum Fuße der höchsten Zinnen, obwohl wieder im abnehmenden Verhältnisse sich verfolgen läßt; 2) däß die Abrundung der Felsmassen stets in den vertieften Theilen des Gebirgsplateaus, in den sogenannten Karen, stärker ist, als auf den Höhen und an den Abhängen desselben, daß man sie häufiger in den abwärts gehenden Schluchten, als auf den zwischenliegenden Rücken findet, ja daß sie auf den Letzteren, wenn sie sich hoch über die sie begränzenden Schluchten heben, oft gänzlich fehlt; 3) daß die Abrundung der Einzelngipfel nur bis zu einer gewissen Höhe über das sie umgränzende Plateau des Gebirges, oder über das von ihnen eingeschlossene Thal hinaufreicht, und daß Gipfel, welche jenes Niveau übersteigen, sich sogleich durch scharfe Umrisse kennbar machen.

Aehnliche Abrundungen findet man, und zwar unter denselben Begränzungs-Verhältnissen, wenn auch nicht immer so deutlich ausgesprochen, wie auf dem Dachsteingebirge, auch auf dem Prielstocke, und Spuren derselben auf allen Gebirgen des Salzkammergutes von größerer Oberfläche z. B. auf dem Höllengebirge.

Welchen Ursachen alle diese Abrundungen zugeschrieben werden dürften, wird in der Schlußnummer dieses Aufsatzes erörtert werden.

III. Karrenfelder.

(9. Mai 1846) → Link

Innerhalb derselben Gränzen wo sich die Abrundung der Gebirgsmassen beobachten läßt, begegnen wir noch einer zweyten eben so allgemeinen Erscheinung von gleichem Interesse, die mit der Abrundung, wie sich später zeigen wird, in einem innigen Zusammenhange steht; es sind dieß die in unzähligen Formen sich darstellenden Aushöhlungen in der Oberfläche der dichten Gesteinsmassen, durch welche vorzüglich das höhere Gebirgs-Terrain zum Theile eben jenes wilde Ansehen erhält, welches das todte Gebirge charakterisiert. Es ist unmöglich, durch das Wort all die bizarren Gestaltungen des Bodens in einem Bilde darzustellen, wie man sie so oft, besonders in jener Region des Priel- und Dachsteingebirges, wo das reiche Pflanzenleben plötzlich vor einer unwirthbaren Felsenwüste Stillstand hält, mit einem Blicke überschauen kann. Die verschiedenen Furchen und Rippen, Kegel und Zacken, Schneiden und Kämme, Kessel, Brunnen und Schründe, die von Dämonenhänden geformt, oder in das Gestein gegraben zu seyn scheinen, in der That aber das gemeinsame Product von Auswaschungen durch ein einziges aber lange wirkendes Element sind, bilden da ein wunderliches Chaos, welches das Auge des Neulings eben so überrascht, als es den Fuß des Wanderers ermüdet.

Wir werden hier nur die wesentlichsten dieser verschiedenen Aushöhlungsformen und zwar vorzugsweise solche betrachten, die vermöge ihres weit verbreiteten, und häufigen Vorkommens auch mehrere und zugleich sichere Anhaltspuncte bey der Aufsuchung der Ursachen, die ihre Bildung veranlaßten, biethen können.

Hierher gehören vor allen die eigenthümlichen Rinnen, welche die Oberfläche des Gesteins und zwar in der gleichen Ausdehnung des Gebirges, in welcher die oben beschriebenen Abrundungen beobachtet werden, mehr oder weniger dicht durchfurchen. Agassiz hat sie in seinem Werke über die Gletscher mit dem Nahmen Karren bezeichnet und die größeren von ihnen überdeckten Felsflächen Karrenfelder genannt.

In der einfachsten Form finden sich diese Karren in steil abfallenden Felsflächen. Da bilden sie oft dicht neben einander liegende unter sich und mit der Falllinie der Fläche parallele, halbrund ausgehöhlte Rinnen von 1 bis 6 Zoll Tiefe und Breite, welche durch wieder abgerundete oder auch schneidige oder gekämmte Zwischenerhöhungen von einander getrennt sind. Auf dem Dachsteingebirge z. B. in der Wies, Ochsenwies, im Wildkar, an der Hoßwand, am Ochsenköpf, im Seekar, in der Hirschau und vielen andern Orten erscheinen ganze große Partien von steilen Abfällen und Wänden aus der Ferne bey einer bestimmten Beleuchtung ganz regelmäßig parallel senkrecht gestreift, in der Nähe oder mittelst eines Fernrohres erkennt man in diesen Streifen mehr oder minder breite und tiefe Rinnen. Auf Flächen von 50—20° Neigung wird die Gestalt der Karren schon zusammengesetzter, die Rinnen sind meist schon mehrfach gewunden und ihre Dimensionen nehmen, vorzüglich der Tiefe nach zu. Je mehr die Neigung der gefurchten Flächen sich der waagrechten Ebene nähert, desto mehr nimmt die Mannigfaltigkeit der Formen zu, desto mehr wächst Tiefe und Breite der Rinnen, wobey die erstere jedoch immer überwiegender wird. Auf wenig geneigten Felsebenen findet man nicht selten Rinnen von 3—4 Fuß Tiefe und 1—3 Fuß Breite. So sehr aber auch Form und Raumerstreckung der Karren wechseln mögen, darin bleiben sich die letztern stets gleich, duß sie in ihrem Grunde immer regelmäßig ausgerundet sind. Die zwischen den Rinnen liegenden Erhöhungen — man könnte sie Karrenrippen nennen — deren Breitedurchmesser eben so abnimmt, wie die Breitenerstreckung der Rinnen zunimmt, zeigen sich dagegen oben entweder gerundet oder keilig, oft schneidig auslaufend, dann nicht selten auch noch in die Quere durchbrochen und in abenteuerliche Formen zertheilt.

Die Rinnen nehmen nicht stets ihren Anfang im höchsten Theile der von ihnen durchschnittenen Felsfläche, sie beginnen auf wenig geneigten Ebenen oft gleich tief sich einsenkend in der Mitte derselben, verzweigen sich in ihrem Verlaufe oft vielfach unter einander und münden sich dann entweder in eine Spalte oder einen Kessel, einen Karrenbrunnen, in einen Absturz, eine Mulde, oder Ebene aus, oder schließen eben so plötzlich mitten im dichten Gestein sackförmig wie sie sich eingesenkt haben. Auch sieht man wieder in frey aus der Umgebung aufragenden geneigten Platten deren höchste Kante von den Rinnen tief kamm- oder kerbenartig durchschnitten.

Die Richtung der Rinnen folgt in der Regel der Abdachung desjenigen Felstheiles, welchen sie durchziehen. Oft bestimmte aber auch eine Zerklüftungsspalte, eine ursprünglich in der Lagerungsfläche befindliche Vertiefung, oder in dem gemengten Gesteine enthaltene Flecken oder Streifen, Nester, Adern oder Gänge leichter auflöslicher Massen den Verlauf der von der Falllinie abweichenden Furchen.

Es wurde bereits gesagt, daß die Karren im Allgemeinen innerhalb derselben Gränzen der Gebirgsoberflächen sich vorfinden, wo die Abrundung der Felsmassen beobachtet werden kann; nun bleibt nur noch Einiges über das specielle Vorkommen derselben zu erwähnen übrig.

Am vollständigsten ausgebildet zeigen sich die Karren auf dem Dachsteine — und Prielstocke in der Höhe zwischen 5000 und 3000 Fuß über dem Meere, und da wieder vorzüglich in den größern Vertiefungen, in den Karen (große Gebirgsmulden) und abwärtsführenden thalförmigen Weitungen der Gebirgsoberfläche. Hier sind besonders die weniger geneigten Felsebenen oft so enge von den gewundenen Rinnen durchschnitten, daß der Flächenraum der letztern den Flächenraum der sie trennenden Zwischenerhöhungen übertrifft, wodurch die Karrenfelder ein höchst eigenthümliches Aussehen erhalten. Unter dem Niveau von 3000' läßt sich die gleiche Rinnenbildung stellenweise, vorzüglich in den absteigenden Gebirgseinschnitten bis ins Thal verfolgen, nur ist da ihr Auffinden dadurch erschwert, daß sie zum größten Theile durch Schutt, Erde und Wald-Vegetation verdeckt ist. Solche tief herabgehende Karren sieht man z. B. im vordern Gosauthale dicht zur Rechten des Weges, im hintern Gosauthale beym Schmidt und in den Brunngräben; ferner im Echernthale bey Hallstatt am rechten Ufer des Waldbaches, dann am Kessel und Hirschbrunn, in der Hirschau; am Altausseer See u.s.f. Ueber dem Niveau von 3000' nehmen die Karrenrinnen in den Dimensions-Verhältnissen wieder ab, in der Höhe von 6300' sind sie auch schon seltener geworden und in der Höhe von 7500' verschwinden sie fast gänzlich (wenn auch die geognostischen und die Terrain-Verhältnisse sich in allen diesen Höhen gleich geblieben sind). Noch muß erwähnt werden, daß die oft am vollständigsten ausgebildeten Karren auf frey stehenden, erhöhten, von dem angränzenden Terrain ganz unabhängigen Steinflächen, Köpfen oder Rücken, wie sie in den Mulden und thalförmigen Vertiefungen der Gebirgsoberfläche häufig genug vorkommen, beobachtet werden können.

Wie sind nun diese Karren entstanden?

Bey einer oberflächigen Betrachtung oder bloß vereinzelten Beobachtung derselben wird man wohl leicht zu der Annahme verleitet, daß alle diese vielgestaltigen Felsenfurchen nichts als die sich immer erweiternden Rinnsäle der Schmelzwässer des Frühlings und Regenwässer des Sommers seyen, und daß auch ihre erste Entstehung bloß diesen langsam aber fortdauernd wirkenden Elementen zugeschrieben werden könne, aber bey sorgfältiger Prüfung aller Erscheinungen dieser in so großartigen Verhältnissen vorkommenden Erosionen wird sich bald ergeben, daß für die letzteren eine solche Erklärung nicht ausreiche, daß diese in andern Ursachen als den gegenwärtigen atmosphärischen Niederschlagen, deren Antheil selbst bey der Fortbildung der Karren nur als untergeordnet erscheint, gesucht werden müsse.

Einmahl schon, daß die Bildung der Karren überhaupt der vorgeschichtlichen Zeit angehört, läßt sich aus folgenden Thatsachen mit Sicherheit entnehmen: In den untern Regionen des Gebirges sind die Karren meist mit dichter Vegetation, oft mit uralten Bäumen, deren Wurzeln sich durch die mit reicher Humuserde ganz ausgefüllten Felsrinnen winden, hoch überdeckt. Die Karren mußten also bereits vorhanden gewesen seyn, als das Pflanzenleben in und über denselben Fuß fassen konnte, und daß zur Anhäufung hoher Dammerdelagen in Gebirgen vorzüglich auf Abhängen sehr lange Zeit erforderlich sey, ist eine bekannte Thatsache. Ferner sieht man in allen Regionen des Karren-Terrains in verschiedenen Gräben, Schluchten und Mulden die anderen felsigen Seiten herablaufenden Rinnen noch tief unter den Schutt, welcher die Sohle der letztern meist überdeckt, und zwar in gleichen Dimensions-Verhältnissen hinabreichen. Diese Erscheinung nöthigt zu der Annahme, daß die Furchen bereits in ihrer ganzen Mächtigkeit gebildet waren, ehe deren theilweise Ueberlagerung mit Schutt geschah. Da aber auch noch in den meisten Fällen die Lage und Beschaffenheit der erwähnten Schuttmassen wieder der Art ist, daß man die Herbeyführung der letztern solchen Ursachen zuschreiben muß, die jetzt nicht mehr vorhanden sind, die nachweisbar der Vorwelt angehören, so darf mit Sicherheit geschlossen werden, daß noch um so mehr die Bildung der Karren bereits in die vorhistorischen Zeiten falle.

Noch eine andere Thatsache gibt uns einen nicht unwichtigen Fingerzeig über das Alter der Karren. Im mittleren Gebirge, wo nicht selten noch perpetuierliche Quellen zu Tage treten, sieht man in einer Reihe von Karrenfurchen eine oder die andere zur constanten Abflußrinne des Quellwassers dienen, während alle übrigen trocken liegen. Trotz der fortwährenden Berührung des Gesteins mit stets neuem Auflösungsmittel in der zum Rinnsal dienenden Furche und dem Trockenliegen der übrigen beobachtet man doch keinen wesentlichen Unterschied der Raumverhältnisse zwischen der erstern und den letztern. Höchstens sieht man in den ausgerundeten Boden jener Karrenfurche, durch welche die Quelle abläuft, ein engeres, vertieftes Rinnsal eingeschnitten, dessen Dimensionen zu den Dimensionen der ganzen Karrenfurche in einem höchst untergeordneten Verhältnisse oft wie 1 zu 50 stehen. Lehrreiche Beyspiele solcher Art fand ich im sogenannten Schnalz nächst der Wiesalpe, dann zwischen dem Taubenkar und Karlseisfeld, am Krippenstein, in den Brunngräben u. a. O. Wenn nun solche perpetuierliche Quellwässer, deren Wasserquantum stets das Gesammtergebniß des jährlichen atmosphärischen Niederschlages auf einem mehr oder minder ausgedehnten Gebirgsterrain ist, auf welchem sich jener zur einzigen Quellader gesammelt hat, wenn nun solch perpetuierliche Quellwässer in dem dichten Gestein durch eine ganze Reihe von Jahrhunderten nur Rinnen aushöhlen konnten, die oft kaum ein Fünfzigtheil des Volums der Karrenrinnen enthalten, welche letztere überdieß oft noch in weiter Erstreckung so dicht neben einander liegen, daß ihre Wassersammlungsfläche nicht größer ist, als sie selbst und die nächstliegenden Karrenrippen, welche Zeit dürfte nun wohl erforderlich gewesen seyn, um diese Karrenrinnen auszunagen, vorausgesetzt, das Erosionsmittel sey bloß reines Quell- oder Schneewasser gewesen?

Untersuchen wir nun aber genauer, welcher Ursache die Bildung der Karren zuzuschreiben sey, so ergibt sich schon einmahl aus dem Unistande, daß dieselben immer nur innerhalb gewisser Gränzen auf dem Terrain des Gebirges beobachtet werden, und keineswegs über die ganze Oberfläche desselben verbreitet sind, die Folgerung, daß weder Regenwasser noch die Schmelzwässer des jährlichen Winterschnees sie hervorgebracht haben könnten, weil sonst dieselben Aushöhlungen bey gleichem Gestein überall vorkommen müßten, wo Regen und Schnee in gleicher Menge niederfallen, was aber keineswegs der Fall ist, wie oben bereits ausführlich beschrieben wurde.

Durch Quell- und andere zusammenfließende Sammelwasser können wir uns eben so wenig die Karren entstanden vorstellen, weil die Letzteren sehr oft gerade auf solchen erhöhten und isolirten Felsflächen am vollständigsten ausgebildet beobachtet werden, auf welche weder Quell- noch sonstige Sammelwässer je gelangen konnten.

Auch die Annahme von größeren fließenden Gebirgswässern reicht zur Erklärung bey weitem nicht aus, weil die Karren nur allzuhäufig da gefunden werden, wo unter keinen Verhältnissen solche Wässer, z. B. Zuflüsse oder Abzüge von Hochgebirgsseen, Wasserfälle, Wildbäche oder dgl. m. vorkommen konnten.

Durch stehende Wässer, durch Seen oder gar das Meer vermögen wir noch weniger die Auswaschung der Karren zu erklären, denn dagegen spricht zu sehr wieder die Form und vorzugsweise die bestimmte Richtung der Rinnen, die stets der Abdachung der ausgewaschenen Fläche folgt.

Beobachten wir aber einmahl die Vorgänge, die bey dem jährlichen Abschmelzen der jetzigen Gletscher Statt finden, so werden wir bald auf Analogien zwischen jenen Wirkungen, die dieses Abschmelzen auf die Unterlage der Eismassen hervorbringt und zwischen den Gebilden der Karrenfelder stoßen, die uns nach Erwägung aller Umstände und Thatsachen zu der Annahme hinführen, daß die Karren als das Resultat der Wirkung von Schmelzwässern einstmahliger weitausgedehnter Gletscher zu betrachten seyen.

Wenn wir zur Sommerszeit durch Eisgewölbe, wie solche manchmahl an den Rändern der Gletscher zu treffen sind, unter die letztern gelangen können, so sehen wir, daß in den verschiedenen Höhlungen, die durch das Schmelzen des Eises von der einwirkenden Erdwärme und zuströmenden Luftwärme gebildet werden, sich mehr oder minder zahlreiche, entweder noch in der Masse des Eises sich auskeilende oder schon bis an die Oberfläche des Gletschers reichende Klüfte befinden, durch weiche bald größere bald kleinere Strahlen Schmelzwassers auf den Felsboden herabstürzen und denselben mit Hilfe des theils von ihnen mitgeführten theils bereits unten befindlichen Schuttes mannigfaltig aushöhlen. Wir können ferner beobachten, daß die Schmelzwässer, welche aus dem höhern Gletscherterrain ankommen und unter dem Eise ihren weitern Verlauf suchen, eine Menge von kleinen Rollstücken, Sand und feinem Steinmehl mit sich führen, welche zusammen ein sehr wirksames Schleifmittel abgeben, die ersten Vertiefungen in dem Boden allmählig mehr und mehr zu erweitern und auszuhöhlen und zwar genau in solchen Formen, wie wir sie in den Karrenfeldern beobachten. Bedenken wir noch, daß vermöge der Gestaltung der Unterlage die Gletscher beynahe alljährlich über denselben Stellen und in gleicher Weise zerklüften, daß also die Schmelzwässer so ziemlich immer auf dieselben Puncte wirken, und im Laufe einer längern Zeit also auch so großartige Aushöhlungen, wie sie die Karrenfelder wirklich zeigen, hervorbringen kön¬nen, so dürfen wir wohl auch mit Sicherheit annehmen, daß alle Karrenfelder ihre Entstehung der gleichen Ursache, den Schmelzwässern einstiger Gletscher, zu danken haben.

Entscheidend für die so eben dargelegte Theorie über die Bildung der Karren überhaupt, spricht noch insbesondere das Vorkommen der sogenannten Riesentöpfe und Karrenbrunnen. Dieß sind kreisrunde oder ovale, manchmahl auch unregelmäßig gestaltete 1—6 Fuß im Durchmesser haltende meist senkrechte, oft klaftertiefe Löcher inmitten des festen Gesteins, dessen Schichten sie in verschiedenen Winkeln durchsetzen. Sie finden sich gewöhnlich in den tiefern Theilen eines größeren Hochgebirgskessels oder Hochthales, auch in einer Hochebene, selten aber auf einem Gebirgskopf. (Auf dem Dachsteingebirge habe ich sie nicht über die Höhe von 6000' beobachtet.) Gleich den Karrenrinnen kommen auch die Riesentöpfe und Karrenbrunnen — ich bezeichne mit dem letztern Nahmen die größern Aushöhlungen, die nicht selten ganz regelmäßigen runden Cisternen gleichen, z. B. der herrliche Karrenbrunnen in der Wies, von welchem später in meinem geologischen Atlase eine genaue Zeichnnung sich finden wird — oft an solchen Stellen vor, die ganz außer dem Bereich eines größeren Wasserzuflusses, eines gewöhnlichen Wassersturzes u. dgl. liegen, wie z. B. der eben erwähnte Karrenbrunnen in der Wiesalpe.

So räthselhaft dem Geologen diese letzterwähnten Arten von Aushöhlung in ihrer Vereinzelung erscheinen mögen, so wird er sich dieselben doch leicht und vollständig erklären können, wenn er nur einen jener in großen Eisfeldern gar nicht seltenen Gletscherkatarakte gesehen hat, bey welchen das obere Schmelzwasser durch 100—300 Fuß tiefe, die ganze Gletschermasse dnrchsetzende Klüfte oder Schlünde mit großer Gewalt auf die Felsunterlage niederstürzt und dieselbe mit Hilfe des mitgerissenen und bereits unten befindlichen Moränenschuttes verschieden aushöhlt. Wenn er dabey noch in einer Reihe von Jahren die Beobachtung machen kann, daß die abwärts rückenden Gletscher alljährlich, wie bereits erwähnt wurde, so ziemlich über denselben Stellen zerklüften, also auch ziemlich über denselben Stellen sich immer Katarakten bilden können, und wenn er nun nochmahls die ganze Oertlichkeit, wo Karrenbrunnen oder Riesentöpfe vorkommen, genau überblickt, so wird er leicht zu dem Schluß gelangen, daß diese beyden Aushöhlungsformen ebenfalls nur durch solche mächtige Schmelzwasserstürze einst das Karren-Terrän hoch überlagernder Gletscher gebildet worden seyn mußten.

Auch minder regelmäßig gestaltete Schründe, Höhlen und Löcher tragen die Spuren einer ähnlichen Entstehung wie die Karrenbrunnen an sich, doch darf man nicht alle derselben von gleichem Ursprünge ableiten, da es auch viele oft sehr tiefe Höhlungen und Schlünde in den Kalkgebirgen gibt, die bloß durch Zerklüftung und Verwitterung des Gesteins und durch die langsame Einwirkung der Atmosphärilien gebildet worden sind, auch noch gebildet werden. Hieher gehören z.B. die meisten sogenannten „Windlöcher." Ein geübtes Auge wird leicht die wirkenden oder einst wirksamen Ursachen dieser verschiedenen Formen auffinden und unterscheiden können.

In den folgenden Nummern wird das Vorkommen der verschiedenen erratischen Geschiebe und Schutt¬massen, welche über die Oberfläche des Dachsteingebirges verbreitet sind, näher erörtert werden.

IV. Erratische Trümmer, Moränen.

(13. Mai 1846); → Link

Wenn man das Dachsteingebirge von seinem Fuße an bis zu den höchsten Gipfeln, in welcher Richtung immer, durchwandert, so findet man dessen Oberfläche mehr oder weniger mit größern und kleinern Bruchstü¬cken der Gebirgsmasse bedeckt. Ein Theil derselben, in den Mengungs- und Mischungsverhältnissen gleichartig mit dem angränzenden festen Gesteine, liegt noch auf der ursprünglichen Vorkommnißstätte oder nahe derselben, und zwar entweder zerstreut oder als ungeordnetes Trümmerwerk den Felsboden überlagernd oder endlich zu Gehängen an Gebirgswänden aufgehäuft. Schuttmassen solcher Art sind das Resultat der langsamen Zerstörung der Gebirgsoberfläche durch die Atmosphärilien. Man findet aber eben so häufig Trümmer, welche sich in ihren Bestandtheilen von allen sie zunächst umgebenden Gebirgsschichten unterscheiden, also fremdartig auf ihrem gegenwärtigen sekundären Vorkommnißorte erscheinen, deren muthmaßliche, oft auch noch, nachweisliche primäre Lagerstätte zwar dem Dachsteingebirge angehörig, doch so entfernt von der jetzigen Fundstelle liegt, daß das gegenwärtige Vorkommen durch keines der verschiedenen derzeit wirksamen Transportmittel (Wind, Regen, Wolkenbrüche, Lavinen, oder das Gesetz der Eigenschwere), sondern nnr durch die Annahme viel gewaltigerer, in einer fernen vorgeschichtlichen Epoche wirkenden Ursachen erklärt werden kann. Man hat diesen fremdartigen Trümmergebilden den Nahmen der erratischen oder Findlingsgesteine gegeben.

Die erratischen Gesteine finden sich, wie gesagt, über das ganze Dachsteingebirge verbreitet, und zwar unter Verhältnissen der Ablagerung, die uns wichtige Fingerzeige über das Transportmittel abgeben, welches die Findlingsmassen einst über tiefe Karen und Schluchten, über hohe Rücken und Kämme tragen konnte. Schon in den Kesseln des todten Gebirges, welches die Dachsteingletscher umgränzt, auf dessen Terrassen, Köpfen und Wällen, oft gerade auf den höchsten Theilen der beyden Letzteren, gewahrt man bald einzelne, manchmahl ganz widersinnig aufgestellte Blöcke (z. B. auf einem deutlich abgerundeten, aus grauweißem Kalk bestehenden Walle in der Linie zwischen dem Taubenkar und dem Schöberl und etwa 500 Klafter vom seitlichen Rande des Carls-Eisfeldes entfernt, sieht man einen isolirten, mehr als eine Kubikklafter großen, ganz scharfeckigen Block von dichter, roth, grau und gelbfärbiger Marmorbreccie, der gerade auf seinen untern Flächen Spuren karrenahnlicher Erosion zeigt), bald in größerer oder geringerer Menge angehäufte Trümmermassen, die theilweise dem oft noch stundenweit entfernten und viel höheren Gipfel des Gebirges angehören. Gewöhnlich können hier die erratischen Gesteine von den localen Trümmermassen meist erst durch eine genauere Untersuchung der inneren Mengungs- und Mischungsverhältnisse unterschieden werden, in der äußeren Form beyder zeigt sich noch kein wesentlicher Unterschied, höchstens daß einige der Ersteren einzelne Spuren von Reibung und Abrundung zeigen. Je tiefer man von dem todten Gebirge herabsteigt, desto mehr häufen sich die erratischen Massen, desto leichter wird auch ein Theil derselben erkennbar durch die auffallende Abrundung der Oberfläche. Am Fuße des Gebirgesmengen sie sich mit den Alluvialgebilden und ihre Massen sind dann wieder schwieriger von den Letzteren zu trennen.

Wer hat wohl je die Wanderung von Hallstatt nach dem Carls-Eisfeld gemacht, dem nicht die zahllosen, mehr oder minder abgerollten Blöcke und Geschiebe, welche auf dem ganzen Wege von der Waldbachleithen an bis zum Rande des ewigen Eises hinauf überall hingestreut und stellenweise zu Wällen und Hügeln aufgehäuft sind, aufgefallen wären (die fast noch häufigeren scharfeckigen Findlinge ungerechnet, die mehr nur dem Auge des Geologen erkennbar sind) und dem sich nicht die Frage aufgedrungen hätte, wie, wann und von wo diese Massen auf ihre jetzige Stelle gebracht wurden?

Wenn bey der alleinigen Betrachtung der erratischen Trümmer diese Frage nur noch ungenügend lösbar erscheint, so wird sie doch vollständig beantwortet werden können, sobald wir neben dem Vorkommen der erstern noch eine zweyte, verwandte Erscheinung näher untersuchen und in Berücksichtigung ziehen, nämlich das gleichzeitige Vorkommen der vielen moräneartigen, mit Dammerde und Vegetation mehr oder minder hoch bedeckten Schuttmassen, die vorzüglich in der Karrenregion in ganz eigenthümlichen, streng umgränzten Formen gefunden werden. Manche dieser Formen sprechen unwiderlegbar gegen jede Annahme einer entweder langsamen Anhäufung ihrer Schuttmassen durch Verwitterung der Nachbatheile, oder einer Ablagerung oder Zusammenschwemmung an Wasser, z. B. die merkwürdigen Schuttgebilde in der Wiesalpe und im Taubenkar. Da über die Art des Mediums, durch welches einst der Transport des unter den beschriebenen und ähnlichen Verhältnissen vorkommenden erratischen Schuttes Statt gefunden hatte, noch immer ein lebhafter Streit geführt wird, so dürfte hier eine nähere Beschreibung der Schuttgebilde in den zwey letztgenannten Puncten des Dachsteingebirges nicht am unrechten Orte seyn. (Zwey möglichst treue Zeichnungen in meinen geologischen Skizzen werden später den Gegenstand noch anschaulicher machen.) In der Wiesalpe sieht man über der wellig gestalteten, grasüberdeckten Schuttebene des Kares und unmittelbar an der Einmündung der ziemlich weiten Schlucht der Greitgrube, eine etwa 2500 Quadrat-Klafter große und 10 bis 15´ hohe, bey ihrem Anfange an den Abfall der erwähnten Schlucht angelehnte, von da halbkreisförmig ausgebreitete Schutt-Terrasse sich erheben, welche in ihrer äußern ziemlich scharfen Abgrenzung fast durchgängig in einem Winkel von 35—45° abfällt. Vom obern Rande dieses Abfalles an steigt die Terrassenfläche nur sehr gering gegen ihren Anfangspunct hinauf. Sie ist von mehreren tiefen Gräben, welche radienförmig von dem letztern auslaufen, und in die sich wieder kleinere seitliche Gräben einmünden, durchschnitten. Die zwischen den Gräben befindlichen Höhentheile sind ganz mit kleinen 2 bis 4 Fuß tiefen und 4 bis 6 Fuß im Durchmesser haltenden runden oder länglichen Mulden bedeckt, die dicht neben einander liegen und der Terrasse ein vollkommen welliges Aussehen geben. Größere und kleinere, mehr oder minder abgerollte Findlingsmassen liegen auf dem üppigen Grasteppiche entblößt herum, welcher die ganze Terrasse dicht überzieht. Gräbt man an irgend einer Stelle in den Boden ein, so kommt man nach einer 2—4 Zoll tiefen Schicht humusreicher Erde sogleich auf einen mit Geschieben verschiedener Dimensionen und auch eckigen Fragmenten gemengten feinen Schutt, welcher die vollendeteste Aehnlichkeit mit jenem Schutt hat, den man unter den jetzigen Gletschern des Dachsteingebirges findet und der seine Entstehung dem Abwärtsrücken des Eises und dem dadurch hervorgebrachten Abreiben seiner Unterlage zu danken hat. Von gleicher Beschaffenheit mit der Terrasse zeigen sich auch die Massen des sie unterlagernden Bodens der Alpe und der vor ihr liegenden, an die Herrengasse gränzenden tief wellig gestalteten Grastrift. Noch muß erwähnt werden, daß am Anfangspuncte der beschriebenen Terrasse gerade unterhalb der Einmündung der Greitgrube große scharfeckige Trümmermassen — Bruchstücke der zur Rechten liegenden Felswand in großer Menge zerstreut umherliegen, welche an ihrer ganzen Oberfläche einen hohen Grad von Verwitterung zeigen und sich auffallend in ihrem äußern Ansehen von den abgerundeten Findlingsmassen, zwischen welchen sie ruhen, unterscheiden. Die Wand selbst trägt in einer großartigen Aushöhlung, über welche jetzt höhere Steinschichten dräuend hereinhängen, deutlich die Spuren eines einst mächtig wirkenden Elementes an sich, welches erst in der Greitgrube zusammenge¬drängt, dann an ihrer Ausmündung in die Wies plötzlich breitere Bahn findend, nun den untersten Theil der Wand gewaltsam ausbrach.

Noch ausfallender sind die Formen des erratischen Schuttes in dem 5500' über dem Meere gelegenen und etwa Dreyviertel-Stunden vom Carls-Eisfelde entfernten Taubenkar. Dieses bildet einen tiefen Gebirgskessel, nach welchem sich von dem ihn östlich abgränzenden Rücken, von dem untern Carls-Eisfeld, von Wildkar und der Ochsenwieshöhe Gebirgseinschnitte als verschieden tiefe und breite Schluchten herabziehen. Von der Einmündung je einer solchen Schlucht sieht man ein abgeschlossenes System bald paralleler, bald fächerig auseinander laufender, wenn auch wieder mehrfach überschobener Schuttwälle nach der Mitte des Kares zu so weit sich ausbreiten, daß die Endpuncte dieser verschiedenen Wälle beynahe alle außer dem Bereiche der etwaigen Lavinen, die allerdings ähnliche Schuttbildungen veranlassen konnten, liegen. Fast in der Mitte zwischen den verschiedenen Wallfächern und zugleich im tiefsten Theile des Taubenkars erhebt sich eine mächtige, unregelmäßig kegelförmige, breit abgeplattete etwa 16—20´ hohe Schuttmasse mit 35—45° steil abfallenden Seiten und mit einer wellig gestalteten, fast horizontalen Oberfläche. So weit ich die Masse dieses Schuttplateaus untersuchen konnte, zeigte sie sich identisch mit den übrigen Schuttmassen des Kares und diese identisch mit den Randmoränen des Carls-Eisfeldes.

Sollte man auch hier noch über den Ursprung der fächerigen Schuttwälle in Zweifel stehen, so muß der Anblick des mittleren Plateaus und eine nur oberflächliche Uebersicht der Umgebungen des Kares diesen Zweifel vollständig lösen. Vorläufig nur angenommen, daß große Gletschermassen das Terrain um das Taubenkar herum einst in unbestimmter Ausdehnung deckten, so mußten diese über dem großen Kesselthale sich ebenfalls mehr oder minder zu einer großen Gletschermulde zusammensenken, in deren tiefsten Stelle die sich begegnenden Gletscherströme durch wechselseitigen Druck einen entweder festsitzenden Eisstock, oder einen sich langsam bewegenden Gletscherwirbel hervorbringen mußten. Die mitgeführten Moränen der verschiedenen, in das Kar sich mündenden Eisströme mußten daher auch sich in der tiefsten Stelle des großen Gletscherkessels zu einer großen Central-Moräne zusammenhäufen und der untere Reibungsschutt bis nach den tiefsten Stellen des Felskares geschoben werden. Sowohl die durch das Niederschmelzen durch die Eismasse endlich auf dem festen Boden angelangte obere Central- Moräne, als auch der unten von allen Seiten zusammengeführte Reibungsschutt mußten sich nothwendig im Grunde des Kares zu einem mehr oder minder regelmäßigen Kegel aufhäufen, der durch den stets erneuerten Druck der immer wieder nachschiebenden und auslastenden Eismassen abgeplattet wurde.

Nun finden wir auch in der That wirklich jene centrale Schuttablagerung ganz in der Form im Taubenkar, wie sie unter den angegebenen Umständen nothwendig sich hätte bilden müssen, und wir können also auch mit voller Sicherheit diese mittlere Schutt-Terrasse und mit ihr die andern sie umgebenden analogen Gebilde als vorweltliche Moränen als Gletscherschutt bezeichnen. Zahlreiche Beyspiele ähnlicher Art ließen sich noch von dem Dachsteingebirge aus den verschiedenen Niveaus aufzählen, da wie gesagt, vorzüglich alle eine größere Vertiefung bis zu dessen Fuß und ins Hauptthal herab erratischen Schutt enthalten, doch werden die erwähnten zur Bekräftigung der ausgesprochenen Theorie genügen.

Die Verbreitung des Gebirgsschuttes und seine oft moränenähnlichen Gestaltungen in den angränzenden Hauptthälern geben uns keine hinlänglichen Anhaltspuncte für die unteren Gränzen der einstigen Gletscher, da in den tieferen Niveaus den verschiedenen Diluvien ebenfalls eine große Rolle eingeräumt werden muß, und sich hier also die Wirkungen des wandernden Eises und der vorgeschichtlichen Ueberschwemmungs-Epochen begegnen. Wir werden daher erst im Schlüsse aus der Verbindung aller bisher bezeichneten Erscheinungen die Gränzen des vorweltlichen Gletschergebiethes annähernd zu bestimmen suchen.

V. Gletscherschliffe.

(17. Mai 1846) → Link

Aehnliche, bald glatte bald gestreifte Flächen von verschiedenen Dimensionen, wie sie von den Gletscherforschern in verschiedenen Niveaus über den gegenwärtigen Eis- und Firnfeldern, oft mehrere tausend Fuß hoch über der Sohle der Thäler, auf Felswänden und Gehängen der Alpen und anderer Gebirge beobachtet, und mit anderen Erscheinungen zugleich als Beweise einstiger Gletscherausdehnung benützt wurden, findet man im ganzen Salzkammergute auf der Oberfläche aller Gebirge und in allen Höhen derselben. Viele solcher Flächen wird der erste Anblick als Gletscherschliffe oder als sonstige Wirkungen äußerer gewaltsamer Ursachen anerkennen lassen, aber bey genauerer Untersuchung werden die wenigsten davon äußern Einflüssen zugeschrieben werden können, sondern fast alle nur zuletzt als eine Eigenthümlichkeit der Formation erscheinen.

Die geschichteten Kalkmassen aller Alpen des Salzkammergutes sind von bald glatten, bald welligen, bald gestreiften Lagerungs-, Zerklüftungs-, Verschiebungs-, ja sogar von krystallähnlichen Absonderungsflächen in vielfachen Richtungen durchschnitten, welche durch die allmählige partielle Zerstörung der Gebirgsoberfläche verschiedentlich zu Tage kommen, und durch ihre Entblößung dem Terrain dann oft das Ansehen geben, als hätte irgend ein gewaltsam wirkendes Element einst die Felsen stellenweise geebnet oder geschliffen. In manchen Partien, wo die Schichtung des Kalkes durch eine nicht selten bedeutende Mächtigung ganz für das Auge verschwindet, tritt auf einmahl wieder eine und die andere Schichtungsfläche ganz deutlich sichtbar hervor, und zwar manchmahl in solcher Gestalt und unter solchen Umständen, daß man sie für eine Schliff- oder Rutschfläche ansehen muß, wenn man nicht Gelegenheit hat, die Structur der ganzen Partie höchst genau zu untersuchen. Im Altausseer und Grundelseer Gebirge sind solche Erscheinungen nicht selten.

Wenn die Schichtungsflächen an und für sich schon mehr oder weniger eben und glatt sind, so werden sie es noch in höherem Grade, wenn bey einem starken Fall der Schichtung Abrutschungen höherer Straten über tiefere Statt finden; dadurch entstehen allerley Schliffe, manchmahl auch Streifungen, die den Gletscherschliffen vollkommen gleich sind. So fand ich im Ausseer Gebirge in der Abdachung eines größeren Felsenwalles eine bedeutende Felsfläche, stellenweise mit fest angeschlossenen Bruchstücken und auch ganzen Rillen von Hornstein bedeckt, welche eine deutliche von harten Körpern erzeugte, im Ganzen mit der Falllinie der Fläche parallele, nach unten zu aber von der letztern etwas abweichende Streifung erkennen ließ. Alle localen Verhältnisse sprachen dafür, daß diese Streifung einem alten Gletscher zuzuschreiben sey, welcher einst über die Felsfläche niederging und sie mit seinem untern Moränenschutt ritzte, aber eine genaue Untersuchung des Nächstliegenden tieferen Terrains belehrte mich bald, daß eben diese Streifung nur durch das Ablösen und Abrutschen einer mächtigen Felsmasse entstanden war, deren untere Berührungsfläche ebenfalls viele Hornsteine enthielt, die beym Abrutschen in der weicheren Kalkfläche der Unterlage die ziemlich tiefe, jetzt noch deutlich erkennbare Ritzung hervorbrachten. Ich fand die Trümmer dieser abgerutschten Masse etwa 50 Klafter unterhalb der gestreiften Fläche.

Auch Zerklüftungs- und Absonderungsflächen haben oft das Ansehen von Schliffflächen. In einer Partie der Hoßwand (auf dem Dachsteingebirge) sah ich eine sehr große, ganz glatte, die Schichtung in einem Winkel von etwa 75° schneidende Fläche, die ich lange bereit war, als einen Gletscherschliff zu betrachen, bis ich endlich bey genauerer Untersuchung des mächtigen Felsstockes gewahrte, daß diese vermeintliche Schlifffläche vollkommen parallel mit einer zweyten, die Masse der Hoßwand selbst durchsetzenden Zerklüftungs¬- oder Gebirgskrystallisationsfläche (wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf) und also wohl auch als eine bloß durch Abbruch entblößte Fläche gleicher Beschaffenheit zu betrachten sey.

Solcher Beyspiele ließen sich noch viele aus den Alpen des Salzkammergutes anführen, doch die erwähnten dürften genügen, zu beweisen, welche Vorsicht bey der Erklärung einer Erscheinung zu beobachten sey, die man zur Begründung einer Theorie benützt. Meine eigenen Erfahrungen haben mich gelehrt, auf das Vorkommen einzelner glatter oder auch gestreifter Flächen in den Kalkgebirgen als Beweismittel für einst vorhandene Gletscher keinen großen Werth zu legen. Nur die allgemeine Abglättung und Abrundung eines ganzen Terrains, wie dieselbe z. B. auf dem Dachsteingebirge innerhalb gewisser ziemlich scharf gezogener Gränzen sich beobachten läßt, kann man mit Sicherheit als die Wirkung von Gletscherschliffen erkennen.

VI. Schluß mit Erkenntnissen zur Vergletscherung.

Ueberschauen wir nun noch einmahl alle bisher beschriebenen Thatsachen und fassen wir die Erklärungen, die wir für sie bereits theilweise aufgesucht haben, zusammen, so ergibt sich, daß wir aus den verschiedenen Karrengebilden und aus dem erratischen Schutte, welche beyde in bestimmter Ausdehnung vorzugsweise auf dem Dachsteinstocke, dann aber auch auf den übrigen bedeutenderen Gebirgen des Salzkammergutes gefunden werden, mit Evidenz das einstige Vorhandenseyn weit ausgedehnter Gletscher, die sich, mindestens stellenweise, bis an den Fuß der genannten Alpen erstreckt hatten, nachweisen können. (Ob auch die Thäler einst ganz mit Eismassen ausgefüllt waren, ob die letztern sich vielleicht, wie Charpentier, Agassiz und andere Naturforscher bereits nachzuweisen bemüht waren, auch das Flachland überzogen, vermag ich nicht zu behaupten, da ich selbst noch keine ausreichenden Beweisgründe dafür aufgefunden habe.)

Die Karrenfelder, welche sich, wie gesagt wurde, in der Region zwischen 5000 und 3000' am vollständigsten entwickelt zeigen, nach abwärts mehr oder minder durch alle tieferen Gebirgseinschnitte bis ins Thal verfolgen lassen, nach aufwärts in einer Höhe von 6500' regelmäßig aufhören, bezeichnen uns zugleich das einstige Terrain des eigentlichen Gletschereises; dürfen wir nun nicht vielleicht die Gränzen der auf dem Dachsteingebirge so konstanten Abrundung der Berggipfel und größern Erhöhungen, so wie der kleinen Aufragungen des Felsbodens als die großartigen Marken annehmen, bis zu welchen hinauf die wandernden, alles unter ihnen liegende Terrain abschleifenden und abrundenden Eis- und Firnmeere reichten; dürfen wir endlich nicht auch die düstere Verödung des todten Gebirges als die nachhaltige traurige Spur jenes tausendjährigen Gebirgswinters betrachten?

Welches Klima mußte nun aber in unsern Gegenden geherrscht haben, daß die Gletscher die bezeichnete Ausdehnung erlangen konnten?

Wenn wir den Nordpol zu irgend einer Zeit unsern Ländern um 10 Grade (also beyläufig nur um zwey Drittheile der Abweichung des magnetischen von dem geographischen Pole) uns genähert denken, so mußte damahls, vorausgesetzt, daß die summarischen Temperaturs-Verhältnisse und deren Vertheilung nach Pol und Aequator auf unserem Planeten mit den jetzigen gleich waren, die Linie des sogenannten ewigen Schnees in unsern Alpen um etwa 2500' tiefer als gegenwärtig, also in einer Meereshöhe zwischen 6000 und 5500' liegen, mithin nicht nur alle Alpengipfel des Salzkammergutes von dieser Höhe, sondern vorzugsweise die beyden Hochplateaus des Priel- und Dachsteingebirges nach ihrer ganzen Ausdehnung, mit bleibendem Schnee bedeckt gewesen seyn. Die Scheidelinie von Firn und Eis liegt gegenwärtig auf dem Dachsteingebirge in 7500', die tiefste Erstreckung das Carls-Eisfeldes in 6000'. In jener kälteren Periode wird also, der tiefern Lage der Schneelinie entsprechend, die oberste Gränze des Gletschereises in etwa 5000' die untere durchschnittlich in 3500—3000´ gewesen seyn. Wir wissen, daß in den Schweizer und Tyroler Gletschern, da wo Firn und Eis einen größern Flächenraum einnehmen, die tiefsten Ausläufer der Gletscherströme bis zu 3500', also noch um 2500' tiefer, als die jetzigen, Dachsteingletscher, herabgedrängt werden. In jener Epoche der größern Polnäherung hatten aber die Gletscher des Dachstein- und Prielgebirges eine bey weitem größere Ausdehnung, als jetzt die mächtigsten Gletscher des Bernerlandes und Savoyens, da sie die ganzen ungeheuern Plateaus der beyden Gebirge inne hatten; sie waren also mächtig genug, durch ihr Anwachsen in den Höhen ansehnliche Gletscherströme nicht nur bis zu der bezeichneten Tiefe von 3500', sondern bis in das Niveau des Traunthales hinabsenden zu können.

Welche Physiognomie mochte nun wohl in jener Zeit das Salzkammergut gehabt haben? Wenn die Linie des permanenten Schnees in einer Höhe zwischen 6000 bis 5500' lag, so mußten beynahe alle Kuppen mit Firn gekrönt gewesen seyn, und dieser konnte in allen größern Höhenterrains, wie auch in allen tiefern Gebirgskesseln, z.B. auf dem Höllengebirge, am Schafberg, auf der Schrott, an der Ziemnitz u.s.w. einzelne Gletschergruppen gebildet haben, so daß wohl der größte Theil der Gebirgsoberfläche, vielleicht auch der größere Theil der Thaltiefen von den wandernden Eislasten überdeckt war, und somit das Salzkammergut bey einem Klima, wie dem Dänemarks, etwa das Aussehen einer Hochgebirgslandschaft des äußersten Nordens hatte.

Sind wir aber auch berechtigt, eine solche veränderte Lage des Nordpols, eine Näherung desselben um 10 Grade gegen unsere Länder anzunehmen? Die in einem Verlaufe von 2000 Jahren gemachten astronomischen Beobachtungen sprechen nicht dafür, durch die Abplattung unserer Erde scheinen für immer die Pole fixirt zu seyn, und alle petrefaktologischen Entdeckungen sprechen höchstens nur für eine in der Vorzeit herrschende allgemein verbreitete höhere Temperatur auf unserer Erdoberfläche, für ein tropisches Klima, aber keineswegs für eine Eiszeit!

Wenn wir das ganze Alter unserer Erde auf einige Jahrtausende beschränken, wenn wir das schöpferische Werden, das die losen Urstoffe im unbegränzten Raume zum Embryo eines neuen Weltkörpers sich gestalten ließe mit jenem Moment, wo der Geist des Alls mit seinem Odem den ersten Menschen auf den vollendeten Planeten belebte, in die Spanne einiger Tage, Jahre oder Jahrtausende zusammenzwängen wollen, so wird allerdings die Annahme einer Veränderung in der Polstellung unserer Erde nicht zulässig seyn, denn dann könnte nur ein gewaltsames Spiel des Zufalls an dem Planetensysteme gerüttelt, unsere Erde aus der ihr angewiesenen Stellung verrückt haben. In welchem Puncte des unbegränzten Universums aber vermöchte der Zufall zu walten, wo eine höchste Weisheit dem unsichtbaren Atom, wie dem größten Himmelskörper, wie dem ganzen Weltensysteme ihre unveränderlichen Gesetze vorgezeichnet hat!

Wenn wir uns die Erde als einen starren Klumpen, ihre Rinde als eine unverschiebbare Kruste denken, werden wir eine Verrückung der Pole nicht annehmen können, da diese durch die Abplattung schon für alle Zeiten fixirt erscheinen. Wenn das (hypothetisch) einst allgemein auf unserer Erde herrschende tropische Klima nur eine Folge der früheren viel höheren Centralwärme des Planeten war, die nun fortwährend im Abnehmen ist, in welche Epoche hätte wohl da das interregnum der Eiszeit fallen sollen, die nur erst nach der vollen Auskühlung unseres Erdkörpers in seinem letzten Lebensstadium, wo auch die letzten kümmerlichen Menschenreste als stumpfsinnige Lappländer endlich den Tod der Erstarrung werden sterben müssen, eintreten kann? Werfen wir aber noch einmahl den unbefangenen Blick hinein in die von der Wissenschaft immer mehr entrollten Blätter des großen Buches der Natur, fassen wir die unermeßlichen Zeiträume ins Auge, deren Zahlen die Allmacht zum Zeichen ihres ewigen Waltens, als unvertilgbare Offenbarung für den denkenden Menschen ins eherne Kleid der Erde gewebt hat, so werden wir nicht mehr nach Jahrtausenden, wir werden nach Millionen Jahren rechnen, die an unserem Planeten vorüber gezogen sind und wahrscheinlich noch vorüberziehen werden. Wir werden uns dann eine Reihe, einen Wechsel von Epochen denken können, deren Annahme für kürzere Zeiträume sich nicht rechtfertigen ließe. Haben z. B. die astronomischen Beobachtungen der letzten 1000 Jahre keine Veränderung der Polstellung unserer Erde nachgewiesen, so würden dieß die Beobachtungen von 10.000 Jahren wahrscheinlich, die Beobachtungen von 100.000 Jahren gewiß thun. Ist es nicht denkbar, daß in dem ganzen Verlauf der ungeheuern Zeit, die wir, durch wissenschaftliche Erfahrungen und Thatsachen genöthigt, nur für alle die Ablagerungen der unzähligen Schichten unserer Erdrinde und für die eben so zahllosen Gestaltungs- und Umstaltungsepochen der Erdoberfläche annehmen müßen, die Pole unserer Erde in einer fortwährenden unmerklichen, nach einer uns unbekannten Richtung Statt findenden Rückung, welche durch außer unserer Beobachtung liegende Einwirkungen der umgebenden Himmelskörper bestimmt wurde und noch fortwährend bestimmt wird, sich befanden und noch befinden? Ist es nicht denkbar, daß in dem Verlaufe von Millionen Jahren unsere Erdgegend ein- und vielleicht auch schon mehreremahl abwechselnd dem Nordpol und wieder dem Aequator näher stand als gegenwärtig? Die Abplattung unseres Planeten kann einer solchen Annahme nicht hinderlich seyn, denn die ganze Structur der Erdrinde, die noch immer Statt findenden vulkanischen Hebungen, die Wellenbewegungen der Erdoberfläche bey jedem größeren Erdbeben geben uns einen hinlänglichen Beweis, daß die starre Hülle unseres Planeten noch Verschiebbarkeit genug besitzt und immer besitzen wird, um bey veränderlicher Achsenstellung die damit bedingte Umstaltung eingehen zu können. Zahlreiche geologische Erscheinungen würden durch die Begründung dieser Annahme erklärbar werden, die jetzt noch dem Gebiethe der Hypothesen anheimfallen, wir würden uns dann ohne Annahme von allmähliger Erdabkühlung, von gewaltsamen Verrückungen der Erdachse und von vielen andern oft abenteuerlichen Erklärungen recht leicht vorstellen können, daß in einer Epoche um einen Punct Europa's das nördliche Polarmeer kreisele, daß seine Fluthen Treibeis mit erratischen Blöcken über alles Land unseres Erdtheils jagten, daß auf unsern Alpenländern arktisches Klima lag; daß in einem andern Zeitraum wieder tropische Regen unsere Länder befruchteten, Palmen und riesige Farnen sich auf unsern Felsen wiegten, und unabsehbare Prairien mit klafterhohem Grase dem Mammuth zum Aufenthalte dienten, ja wir würden uns zuletzt solche Wechsel vielleicht bereits öfter wiederhohlt denken können.

Die große Bühne der menschlichen Entwickelung kann nicht vergehen, ehe das Menschengeschlecht nicht seine Bestimmung erreicht hat, aber die Erreichung der letztern liegt in einer unabsehbar fernen Zukunft. Die Natur, auf der wir leben, in der es kein Verharren geben kann, rollt unter unsern Füßen sich immer neu gestaltend fort, ohne daß wir es gewahren; wir durchreisen das Universum ohne es zu achten, unser Planet hat, ehe wir waren, vielleicht schon unermeßliche Welträume durchwandert, unzählige Veränderungen, von denen wir keine Ahnung haben, erfahren, er wird vielleicht eben so viele von uns nicht wahrgenommene Veränderungen erfahren müssen, bis er seinen Lauf beschlossen — bis der Mensch sein Ziel zurückgelegt, der Erdenscholle nicht mehr bedarf!