Die Kanal-Pfahlbauern-Kultur und der Name des Attersees

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Im Dezember 2017 stand der Autor nach einer besonders niederschlagsarmen Jahreshälfte bei Kammerl am Attersee auf der trockenen Strandplatte und fragte sich, wie ehemals die Pfahlbauten von Kammerl und auch die anderen vom Attersee, die sich heute in rund 4 m Wassertiefe befinden, auf dem Trockenen hätten errichtet werden können. Die Abflussmenge der Ager war bereits minimal und sie selbst war nur noch einen halben Meter tief. Falls der Abfluss auch noch um diesen halben Meter niedriger wäre, änderte das nichts an der gänzlichen Unmöglichkeit, dass die Pfahlbauten auf trockenem Boden errichtet worden wären. Die allein mögliche Erklärung bestand darin, dass eben die Sohlschwelle und damit die Abflusshöhe der Ager zur Zeit der Pfahlbauten um 4 bis 5 m tiefer lagen als heute.

veröffentlicht am 27. Juni 2021; Bearbeitungsstand: 28. Juni 2021

Kritik und Informationen: Contact@Atterpedia.at

Einleitung

Die Kanal-Pfahlbauern-Kultur ist eine eigenständige, hochstehende und faszinierende Kulturleistung der Neolithiker, die ihren Ausgangspunkt wohl im Voralpengebiet der Schweiz nahm. Diese Kultur verfügte über das so genannte „Agrarpaket“ und besaß zusätzlich bedeutsames hydrologisches Knowhow und eine vorauszusetzende tiefgehende gesellschaftlich-kulturelle Organisation der Groß-Gruppe. Der Nutzen der technischen Innovation der Kanal-Pfahlbauern bestand darin, dass sie durch einen Kanal den Seespiegel für alle Bereiche eines Sees absenkten, was für eine größere Anzahl von Menschen und Dörfern Vorteile brachte: große trockenfallende Strandflächen, die ohne aufwändige Rodung zur Besiedlung und als Ackerflächen genutzt werden konnten. Beim Auflassen der Besiedlung eines Sees wurde durch erneutes Aufstauen die ursprüngliche Situation wiederhergestellt.

Die hier vorgestellte These zeigt einen Weg, der einerseits das lange umstrittene Problem der Bauten auf Pfählen gegenüber ebenerdigen Siedlungen auf dem Trockenen eindeutig löst, andererseits die Frage der eigentümlichen Gegebenheit beantwortet, dass die meisten See-Siedlungen heute in etwa gleicher Wassertiefe gefunden werden. (Anm.: Erfreulicherweise führte das regelmäßige Wieder-Aufstauen auch dazu, dass die Kulturschichten der Siedlungen durch den Wasserspiegelanstieg konserviert wurden.)

Paradigmatische Entwicklung der Pfahlbauforschung

Siedlung auf Pfählen oder auf dem Trockenen

  1. Pfahlbauten auf Stelzen (erster Keller-Bericht von 1853/54)
  2. Erste Vorstellungen von Landsiedlungen wurden vor allem von Paret (1946) in Vorträgen ab 1941 propagiert. Er geht weiter von Klimaschwankungen als Ursache langfristiger Seespiegelschwankungen aus. Die Besiedlung sei nur zu Zeiten erfolgt, wenn die Seespiegel klimatisch bedingt so niedrig waren, dass die Gebäude auf trockenen Strandplatten errichtet werden konnten.
  3. Guyan, Vogt, Levi, Lüdi et.al. befassen sich 1953/54 im umfassenden Jubiläums-Buch „Das Pfahlbauproblem“ mit der Frage von Land-, Moor- und See-Siedlungen und wollen die Pfahlbauten auf das Trockene stellen. Die Seespiegelschwankungen werden weiter durch Klimaschwankungen bewirkt.
  4. Suter mit Jacomet (1987, S. 19) wollen beim Kleinen Hafner nicht erneut auf die Genese der einzelnen Schichten eingehen, sagen aber sehr klar, dass „ihre Abfolge ein Nacheinander von Phasen der Besiedlung des Kleinen Hafners und Phasen von (längeren) Siedlungsunterbrüchen (Siedlungslücken) widerspiegelt, während denen die Insel zeitweise vollständig oder teilweise überschwemmt war oder zumindest nicht als geeigneter Siedlungsstandort betrachtet worden ist.“, und ihre Bauten stehen auf trockenem Grund.

„Apodiktische“ Werthaltungen zu konstanter Seespiegelhöhe des Zürichsees

  • Der strengste Vertreter des konstanten Seespiegels von 403 m war Conrad Max Schindler (em. Univ.-Prof. Zürich, 1929 – 2016: war Geologe - v.a. des Quartärs des Linthtals - und befasste sich auch mit Archäologie). In zwei Arbeiten (1968, 1971) befasste er sich mit der Zürcher Geologie und auch mit Seespiegelschwankungen des Zürichsees und vor allem der für ihn fixen Sohlschwelle der Limmat. Für ihn kam nicht in Frage, dass die Limmat einmal tiefer geflossen sein könnte. Hinweise auf Seekreidefunde in größerer Tiefe wischte er mit „verstorbenem Bohrmeister“ vom Tisch (Schindler 1971, S.297).
  • Dem steht entgegen, dass die Seekreide unterhalb der Kulturschichten des Kleinen Hafners eine Mächtigkeit von 8 m hat; deren Basis liegt damit ca. 12 m unter der Wasseroberfläche. Entsprechend Jacomet kommt es aber nur bis zu Wassertiefen von 6 m zur Bildung von Seekreide. Ein „Aufwachsen“ des Kleinen Hafners wäre nach Schindler nicht möglich.
  • Schindler (1971) schreibt auf S. 304, dass „der tiefstmögliche Seespiegel durch die Schwelle bei der Marktbrücke bestimmt (wurde) und nicht unter die Kote 403,0 m sinken (konnte), falls nicht der See für längere Zeit abflusslos wurde.“ Falls die Pfahlbauten im Trockenen errichtet worden wären, sieht Schindler als einzige Erklärung eine „solche Trockenheit, dass der Zürichsee eben abflussfrei geworden sei und so der Seespiegel weiter gesunken wäre.“ Auf S. 311 sieht er damit die Hafner-Siedlungen zumindest mit den Füßen dauernd im Wasser.
  • Demgegenüber sehen (Jacomet etal 2018, p.36) in 5.1 Discussion of the depositional environment: „… the water table would have needed to be so low, that Lake Zurich would have effectively had no outflow. Furthermore, older organic deposits on the shore of Lake Zurich would have been above the water table for decades, which would have caused their degradation.“

THESE: Der Zürichsee und das mögliche „Geschenk der Sihl“

Von vielen denkmöglichen Situationen, die die „Erfindung der Kanal-Pfahlbauern-Technik“ begünstigt haben könnten, scheint es dem Verfasser aufgrund der konkreten zeitlich-historischen Gegebenheiten (älteste Schweizer Pfahlbauern) und des räumlichen Zusammenwirkens der Sihl auf die Limmat und deren Auswirkungen auf den Zürichsee als eine realistische und wahrscheinliche These, dass die Erfindung der Kanal-Pfahlbauern-Technik ein “Geschenk der Sihl“ ist.

Die ältesten Kanal-Pfahlbauern der Schweiz sind wohl jene der egolzwilerischen Siedlung am Kleinen Hafner bei Zürich, die auf 4450/4250 B.C. datiert wird. C14-Datierungen (Ruoff, 1991) der egolzwilerischen Siedlung am Kleinen Hafner weisen ca. 4300/4200 v. Chr. auf. Im Vergleich ist die namengebende Egolzwiler Kultur bei Wauwil jünger. (Radiocarbon-Datierungen von (Felber 1970) weisen für Egolzwil 3: 3670 B.C., für Egolzwil 4: 3410 B.C. aus.) Auch (Doppler 2007) weist darauf hin, dass die egolzwilerische Siedlung am Kleinen Hafner bei Zürich älter als jene bei Wauwil ist.

Die Sihl war ehedem ein wildbachartiger Fluss, der parallel zum Zürichsee im Sihltal fließt und in die Limmat, den Abfluss des Zürichsees, etwa nach einem Kilometer einmündet. Greule (Deutsches Gewässernamenbuch, 2014) führt den Namen der Sihl auf die idg. Wurzel *sh2i-lo „tobend, wütend“ zurück. Bei starken Gewittern konnte der Abfluss der Sihl bis zu 150 m3/sec betragen (MQ 7 m3/s; HHQ 280 m3/s) und damit dreimal höher als jener der Limmat sein. Die Sihl schüttete ihre Schotterfracht historisch sowohl über das jetzige Stadtgebiet von Zürich als auch bei ihrer Einmündung in die Limmat in diese – sodass es auch zu einem Aufstau der Limmat und damit auch des Zürichsees kommen konnte. Falls es damals – vor rund 6.500 Jahren – Ufersiedlungen der egolzwilerischen Kultur am Zürichsee gab und der Seespiegel anstieg, blieb den Siedlern nichts übrig, als die Schotter-Schüttung der Sihl-Hochwässer in der Limmat zu beseitigen. Damit sank der Seespiegel des Sees wieder und die Ufersiedlungen konnten weiter bewohnt werden. Die Beseitigung der Sihl-Schüttung erforderte entweder die Herstellung eines tieferen Grabens neben dem Flussbett oder die Forcierung eines Erosions-Kanals in der und durch die Limmat selbst. (Anm.: Dass die Neolithiker überhaupt zur Anlage solcher Kanäle befähigt waren sieht man an den Bauwerken z.B. der Altheimer Kultur. Diese schufen ein Erdwerk, das mit mehreren – insgesamt 800 m langen – Gräben mit 2 m Tiefe und 3 m oberer Breite umgeben war.)

Eine einfachere Rückwärts-Erosion könnte wohl dadurch bewerkstelligt worden sein, dass man mit geeignetem Werkzeug das Bett der Limmat beginnend deutlich unterhalb der Einmündung der Sihl kanalartig eintiefte, wodurch sich dort die Strömungsgeschwindigkeit erhöhte und damit ein Selbst-Erosionsgeschehen in Gang gesetzt und bis zum See fortgesetzt wurde. Je nachdem, in welcher Entfernung vom See man mit dieser kanalartigen Eintiefung begann, stellte man wieder die frühere Seespiegelshöhe her oder erreichte sogar niedrigere Pegelstände. Im letzten Fall fielen am ganzen See Strandflächen trocken, die ohne jegliches Roden besiedelt und genutzt werden konnten. Dieser vielfache Nutzen für alle Seeufer-Anwohner veranlasste wohl die gesamte Gruppe, sich an dieser gemeinsamen Kanal-Aufgabe und den Arbeiten zu beteiligen. Die Idee der Kanal-Pfahlbauern-Technik als Geschenk der Sihl war in der Welt.

Eine Eintiefung des Abflusses sollte jedenfalls immer innert einer kurzen Zeitspanne erfolgen, sodass die trockenfallenden Strandflächen nicht durch das Aufkommen von Bäumen (z.B. „Eschenanflug“) entwertet wurden. Der trockenfallende ehemalige Seeboden ist zudem recht fruchtbar und gut als Getreideacker nutzbar.

(Einfügung offen: archäologisches Experiment des Verfassers: Dinkel-Anbau auf Seeboden-Material vom Attersee)

Klarerweise war der geschaffene Abflusskanal instand zu halten und vor Einsturz und Verklausung zu schützen. Solche Aufgaben kamen klarerweise Siedlungen zu, die bei Pfahlbauseen regelmäßig in der Nähe des Abflusses zu finden sind (Attersee: Kammer und Seewalchen; Mondsee: See; Bielersee: Niedau; Zürichsee: Kleiner Hafner, usw.)

Tatsächlich verläuft neben dem Kleinen Hafner eine „Rinne“ in entsprechender Wassertiefe, die weit in die Limmat hineinreicht. Es gibt auch Bohrungen, bei denen neben der Limmat Seekreide-Material in entsprechender Tiefe gefunden wurde (Schindler 1971). Die heutige Höhendifferenz zwischen Zürichsee und Einmündung der Sihl „am Spitz“ in die Limmat beträgt rd. 4 m. Auch beim Bielersee findet man beim Zihl-Ausfluss in Nidau Pfahlreste in bis zu 6 m Tiefe; die Zihl weist ab dem Seeabfluss großes Gefälle auf.

Beim Abfluss des Mondsees gab es in den Jahren 1961/62 geologische Untersuchungen (Janik 1969) mit einem Abflussprofil der See-Ache, die am Lagerplatz der Möbelfabrik Oberburgau in 5,60 m Tiefe Seeschlick zeigten, sodass also die Wasserführung der Seeache zur Zeit der Pfahlbauten so tief lag, dass die Mondseer Pfahlbauten, die heute in 3,20 m Wassertiefe liegen, damals am trockenen Ufer standen.

Unterstützende Argumente für die These

  • Nachweise für tiefere Abflüsse gegenüber heutigem Abflussniveau: Seeache beim Mondsee (Janik), Limmat am Zürichsee (Schindlers „alter Bohrmeister“), Nidau am Bielersee (Suter)
  • keinerlei Baumstümpfe in den Siedlungen (vgl. Suter, Kleiner Hafner, 1987; Suter 2017: Pfählekarten Bielersee; Vogt 1977, Egolzwil 3): Das Fehlen von Baumstümpfen in den Siedlungsarealen zeigt, dass diese dauerhaft unter Wasser lagen und auch während einer Besiedlung baumfrei blieben.
  • Stratigraphie am Kleinen Hafner zeigt zumindest zehn Besiedlungen und dazwischen Seekreidebildungen
  • Dendrochronologische Daten am Bielersee zeigen jahr-scharf gleichzeitigen Besiedlungsstart am ganzen See und über zehn Besiedlungszeiträume
  • bei allen „Kanal-Pfahlbau-Seen“ gibt es Siedlungen nahe oder direkt beim Abfluss
  • Pfahlbauten gibt es bevorzugt an Alpenrandseen bzw. ehemaligen „Gletscher-Seen“ mit Endmoräne; der Abfluss hat ab der Sohlschwelle immer großes Gefälle
  • fehlende Pfahlbauten bei Seen ohne Endmoränen (z.B. Wallersee) wegen zu langer erforderlicher Kanäle für eine entsprechende See-Absenkung
  • Seen mit Gletscher im Einzugsgebiet werden eher gemieden (wegen unbewältigbarer Sommerabflüsse: Regen und warme Niederschläge auf den Gletscher?)
  • manche Siedlungslokalisierungen werden nur mit überindividuellen Aufgabenstellungen verstehbar (z.B. Misling am Attersee, Steilufer des Bielersees …)
  • komplexe Festlegung der Lage von Siedlungen nach Gunstlagen (Ackerbau, Viehwirtschaft) und auch Schutzwirkung (Beispiele: Urwald, Mäandersituationen, Einsichtigkeit, gestufte Rückzugsörtlichkeiten, nur über Wasser erreichbar …)

Nutzen und Vorteile der Kanal-Pfahlbauern-Kultur

  • Trockenfallen vieler Strandplatten am ganzen See zur Dorfgründung ohne Rodungsaufwand
  • diese sind (zumindest anfänglich) recht fruchtbare Ackerböden (s.a. Dinkel-Experiment, Vogt)
  • ehemaliger Bodenbewuchs aus Seepflanzen verfault rasch und wirkt düngend
  • weicher ehemaliger Seeboden günstig zum Einrammen (Eingraben) von Hütten-Pfählen
  • Seekreide- Schlamm zum Abdichten der Hüttenwandgeflechte
  • Schilf als Dachmaterial reichlich vorhanden
  • entstehende Inseln mit Schutzwirkung (z.B. Großer Hafner, Keutschacher See …)
  • Verteidigungsgemeinschaft gegenüber Angriffen marodierender Gruppen
  • Rückzugsoptionen bei Angriffen (Kammer - Attersee - Abtsdorf - Nußdorf - Misling - See)
  • reichlich verfügbares Zuchtvieh in räumlicher Nähe am See zur Vermeidung von Inzucht
  • natürliche Voraussetzungen zur Spezialisierung: Kanalbetreuer, Ackerbau-Dörfer, Viehzucht-Dörfer, Jäger, Materialbeschaffer (Mondseer Steinbeile aus dem Mühlviertel), Werkzeughersteller, usw.
  • Fischerei mit Netzen, Holz-Reusen und Angelhaken (aus Bein, später Kupfer/Bronze)

Voraussetzungen und Aufwand der Kanal-Pfahlbauern-Kultur

  • Zwang zur gesellschaftlichen Organisation mit hierarchischer Gliederung einer Großgruppe je See, Arbeitsteilung, Produkte- bzw. Dienste-Austausch; u.U. Personal-Rotation je Dorf für unterschiedliche Gemeinschafts-Aufgaben
  • je nach Seegröße und Abflusssituation kurzzeitig sehr großer personeller Aufwand für die Tieferlegung des Abflusskanals (Herstellung eines Grabens oder „Rückwärts-Erosion“ im bestehenden Abfluss)
  • die See-Absenkung setzt voraus: günstiger Voralpensee mit Endmoräne, Know how der See-Bewirtschaftung, Zuversicht über Arbeitserfolg, hierarchische Verfügungsmacht über zureichende Arbeitskräfte, Planung der Absenkung, Arbeitsorganisation, Versorgung der Arbeiter während der Bauzeit u.v.a.m.
  • Einbeziehung eines eventuell vorhandenen vorgelagerten Sees als „Vorfluter“ und damit Verminderung der Gefahr von Hochwasser (z.B. Neuenburgersee - Bielersee; Mondsee - Attersee)
  • Personal für die laufende Pflege des Kanals (Kanal-Abkehr, Verhinderung von Verklausung …)
  • diese Arbeiten erfordern „Hydroarbeiter“, die sich damit selbst weniger mit dem Lebensnotwendigen versorgen können und also durch Mehrproduktion von anderen mitversorgt werden müssen

Beendigung einer Besiedlungsphase an einem See

  • Hypothesen zu Katastrophen für die Siedlungen (Schindler, Janik, Birnbacher …): Bergsturz mit Tsunami, Erdbeben usw.
  • Überschwemmung einer Siedlung (ein solches Ereignis wäre aber immer für einen gesamten See gleichzeitig eingetreten, sodass alle Siedlungen plötzlich zur selben Zeit zu Ende gingen)
  • Brandkatastrophen können einzelne Dörfer alleine getroffen haben. Falls sich an den Seeverhältnissen nichts geändert hat, wäre der Wiederaufbau einfach möglich gewesen, wie man anhand von Bränden am Kleinen Hafner ohne Siedlungsunterbruch erkennen kann.
  • Die Gründe für das Verlassen eines Sees werden wohl in agrarwirtschaftlichen, ökologischen und materiellen Ursachen zu finden sein.
  • Unter Umständen ermöglichte „Brandrodung als Wirtschaftsform" nur eine begrenzte regionale Ausbreitung und wenn diese erreicht war, musste eben ein neuer See besiedelt werden.
  • Die Aufgabe einer Siedlung wird wohl eine gemeinschaftliche Entscheidung gewesen sein.

Gründe für den Wiederaufstau beim Verlassen des Sees

  • Es ist nicht unmittelbar einsichtig, warum sich die Siedler beim Verlassen „ihres Sees“ der Mühe des Wieder-Aufstaus unterzogen haben sollen.
  • Unter Umständen sind manche „Dorfbrände“ beim Verlassen bewusst selbst gelegt worden: damit mussten alle Seeanwohner (zu einem neuen See) mit abziehen. Ähnliches machten ja auch die Helvetier bei ihrem Abzug zu Caesar´s Zeiten.
  • Weiters konnte keine andere Gruppe die verlassenen Gebäude und Strandplatten nutzen und sich an diesem See festsetzen.
  • Die Siedler wollten wohl die von ihnen empfundenen Vorteile „ihres Sees“ auch in Zukunft wieder nutzen.
  • Durch einen Wiederaufstau kam es wohl zu einer ökologischen / materiellen Regeneration und die Wiederherstellung des ursprünglichen, als vorteilhaft empfundenen Zustands mit neuem Wasserpflanzenbewuchs der Strandplatte und die Vermeidung von Baumbewuchs.

Wiederaufstau des Sees

  • Die Vermutung eines Bergsturzes (Janik bei Seeache unterhalb Mondsee) mit Verlegung des tief liegenden Abflusses und damit Aufstau des Mondsees geht rein geographisch bei den meisten Kanal-Pfahlbauern-Seen nicht: Attersee, Bielersee, Neuenburgersee …
  • „Natürliche“ Erhöhung des Abflusses: wird ursprünglich beim Zürichsee durch Sihl-Schüttungen bei Hochwässern in die Limmat immer wieder von selbst vorgekommen sein
  • „künstliche“ Abflusserhöhung: anthropogen entsprechend dem Sihl-Vorbild (z.B. Material der Sihl aus der regelmäßigen „Flussabkehr“ v.a. bei höchster Sohlschwelle einbringen)
  • Falls nur der Bereich der ehemaligen höchsten Abfluss-Schwelle für den Aufstau wiederhergestellt wurde, so machte dies einfach möglich, bei künftiger Wiederbesiedlung den Seespiegel ohne viel Aufwand erneut abzusenken.
  • Der Bereich nach dieser neuen Abflussschwelle hatte dann aber ein sehr starkes Gefälle, sodass die Ränder des Kanals wohl bald einstürzten und der Kanal breiter und ebener wurde. Deshalb wird man wohl den Kanal auch flussabwärts an mehreren Stellen aufgeschüttet haben.
  • Diese erodierende Wirkung auf den Kanal gab es seeseitig aber nicht: man vergleiche hierzu die Gegebenheit beim Ausfluss des Zürichsees, die bis heute neben dem Kleinen Hafner eine Rinne weit in die abfließende Limmat hinein aufweist. (Anm.: ... wenngleich die heutige Rinne wohl von der letzten See-Absenkung aus römischer Zeit stammt, als es Bauten auf der damaligen Insel des Großen Hafners gab.)
  • Manchmal wird aber – vor allem bei besonders großen Seen – der gewollte Wiederaufstau nicht mehr gänzlich gelungen sein, sodass die ehemaligen Siedlungen dauerhaft auf dem Trockenen zu liegen kamen und blieben: neue Siedlungen nach erneuter Absenkung liegen dann unterhalb der Höhenkoten der früheren Siedlungen.
  • Solche Situationen könnte es bei Egolzwil und Arbon Bleiche (?) gegeben haben, was aber entsprechend zu untersuchen wäre.

Wirkung eines Wiederaufstaus auf die Hinterlassenschaften der Kanal-Pfahlbauern

  • Die Wieder-Herstellung der hohen Abflussschwelle führte je nach Niederschlägen und den natürlichen Zuflüssen zu einem raschen Wiederanstieg des Wasserspiegels. Beispielhaft sei angeführt, dass der Attersee ohne Abfluss je Jahr um 7 m ansteigt. Nach dem Verlassen dauert es demnach nur wenige Monate, bis zumindest die Gebäude zu einem Großteil im Wasser stehen; damit kommt es auch zu nur geringen Verschwemmungen der Hinterlassenschaften innerhalb der Gebäude. Erst stärkere Stürme werden die Bauten in Mitleidenschaft gezogen haben, aber da sind biologisches Material und Hölzer bereits untergegangen. Bei weiterem Wasseranstieg nimmt die Wellenwirkung in größerer Tiefe immer mehr ab.
  • Falls es rasch starke Stürme gab, konnten die Gebäude nicht lange standhalten und viele Hinterlassenschaften wurden verschwemmt und es kam auch zu stärkerer Erosion der Kulturschicht.
  • Falls die Siedlung vor dem neuen Anstieg in einer Brandkatastrophe endete, reichte wohl schon normaler Wellenschlag, um Hinterlassenschaften und Kulturschicht zu erodieren.
  • Die Ablagerung von Seekreide findet in einer Wassertiefe von einem halben bis zu 6 m statt und deckte häufig bestehende Kultur- und Besiedlungsschichten ab und konservierte diese.

Detaillierte Untersuchungen am Zürichsee und Bielersee (Suter 1987, 2017)

Stratigraphische Siedlungsschichten am Kleinen Hafner vor Zürich (Suter 1987)

konnten wohl nur aufgrund bewussten Absenkens und darauf folgender bewusster Wieder-Anhebung des Seespiegels auf uns kommen. Wären diese Seespiegelschwankungen aufgrund klimatischer Veränderungen – die wohl nur in Jahrzehnten und mit nur allmählichem Wasseranstieg wirksam geworden wären – zustande gekommen, hätten wir wegen der erodierenden Kraft eines Sees überhaupt keine und vor allem keine derartig detaillierten Befunde. Diese Untersuchung beim Kleinen Hafner ist vor allem deshalb so spannend, weil die dortige egolzwilerische Kultur als die wahrscheinlich älteste der Schweiz anzusehen und damit als „Erfinderin“ der Kanal-Pfahlbauern-Kultur zu vermuten ist.

Dendrochronologisch datierte Besiedlungzeiträume des Bielersees (Suter 2017)

zeigen faszinierend und aufschlussreich jahr-scharf zumindest für die letzten drei Siedlungsperioden, dass die gleichzeitige Neubesiedlung für alle Seestationen innert weniger Jahre und in ähnlicher Tiefe unter heutigem Seespiegelniveau erfolgte. Das zeigt eindeutig, dass sich die Kanal-Pfahlbauern-Kultur auf den gesamten See erstreckte und eine gemeinsame gesellschaftliche Kulturleistung darstellte. Diese verdienstvolle Arbeit von Suter (2017) zeigt dies eindrucksvoll für einen ganzen See und nicht nur für einzelne Siedlungen.

Attersee: Name und Bedeutung

Neolithisch oder Indogermanisch?

Die Kanal-Pfahlbauern-Erfindung ist jedenfalls eine neolithisch-europäische Innovation beginnend mit der Zürcher egolzwilerischen Kultur, dort gefolgt von der Cortaillod-, Pfyn-, und Horgen-Kultur.

Die letzten Kanal-Pfahlbauern am Kleinen Hafner waren bereits mit Schnurkeramikern vermengt; diese kamen vom indoeuropäischen Kurgan-Volk. In der Pfahlbausiedlung See am Mondsee gibt es Funde von Pferdeknochen, die wohl von indoeuropäischen Pferden zeugen.

Der Name „Atter-See“ ist entweder noch neolithisch-europäisch oder bereits indoeuropäisch. Auf jeden Fall weist er ganz weit in die Vergangenheit.

Falls er neolithisch-europäisch ist, bezeichnet er in deren – uns unbekannten – Sprache einen See, der abgesenkt wurde, um auf den dann trocken gefallenen Strandplatten zu siedeln und dort (zumindest anfänglich) Getreide anzubauen und nach Ausbeutung der regionalen Ressourcen wegzuziehen – um wiederzukommen. Falls diese Interpretation zutrifft, frägt man sich, warum dann nicht alle Schweizer Pfahlbau-Seen auch „Attersee“ heißen. Die Antwort ist einfach: weil funktional alle „Atter“-Seen waren und es damit nicht sinnvoll war, jeden Schweizer See als „Attersee“ zu benennen. Damit verblieb der Gattungs-Name „Attersee“ nur dem außerhalb des engeren Kanal-Pfahlbauern-Seengebietes gelegenen Attersee als Name.

Falls er bereits von den ankommenden Indoeuropäern in ihrer Sprache benannt wurde, so hieß er eben nach seiner Idee: Absenkung eines Sees mittels eines menschengemachten Kanals um Flächen für Siedlung und Getreideanbau ohne Rodungsaufwand zu gewinnen; dies ist im Indogermanischen wohl benennbar gewesen. Für diese Variante spricht vor allem, dass es ab dem Erscheinen der Kurgan-Leute eine bis heute ununterbrochene Weitergabe von alteuropäischen Hydronomien gibt.

Der Name des Attersees und die Indogermanistik

Neben Namenforschern wie Greule, Wiesinger et.al. hat sich der Indogermanist Harald Bichlmeier mit Herkunft und Bedeutung des Namens des „Attersee“ befasst. In seinen diesbezüglichen Veröffentlichungen 2012 und 2014 sieht er im Zusammenhang mit dem Attersee ausgehend von

  1. Christian Bartholomae: Altiranisches Wörterbuch: Spalte 57: javest.: adav- f.: „Wasserlauf, Bach, Kanal“; Spalte 62: javest.: adwan- m. „Weg, Pfad, Bahn“, und
  2. Pokorny: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch IEW: ad(u)-, ad-ro-: „Wasserlauf“; Avestisch adu- : „Wasserlauf, Bach, Kanal“ …

folgende indogermanische Wortwurzeln – in denen er auch die Laryngaltheorie (Reibelaute; mit h1, h2, h3 bezeichnet) berücksichtigt – als erwägenswert:

  1. uridg. *h1ed- : „essen“ (Bichlmeier 2012, S.19 formuliert (!): „… käme in Frage, falls sich bereits in früher Zeit eine semantische Entwicklung: „essend“ - „sich durch das Gestein fressend“ - „Bach, Kanal“ ereignet haben sollte.“)
  2. uridg. *ned- : „tönen, dröhnen“ (Bichlmeier (2012, S.19 und 2014) schreibt, dass sich „aber semantische Schwierigkeiten ergeben, denn dass Kanäle laut sind ist sicher nicht ein typisches Benennungsmotiv. Er schreibt aber auch: „sollte (S. 19, Fußnote 46) indes die für jav. adu ebenfalls bereits erwogene Bedeutung „Sturzbach“ das Richtige treffen, läge hier eine durchaus sinnvolle Verknüpfung vor.)

Die von Bichlmeier 2012 dargelegte mögliche Semantik („sich durch das Gestein fressend“) ist vor allem deshalb eindrücklich, weil er sie ohne Kenntnis der hier vorgelegten These der Rückwärts-Erosion für die Tieferlegung des Abflusses bringt und es die Gegebenheiten in frappierender Weise treffen könnte. Die Rückwärts-Erosion ist gegenüber der Anlage eines eigenen Kanals viel weniger aufwändig; vor allem wäre für einen künstlichen Kanal auch wenig Raum neben dem bestehenden Abfluss.

Bei bewusst herbeigeführter Rückwärtserosion wird die Absenkung des Kanals immer mehr flussaufwärts in Richtung der Sohlschwelle vorgetrieben, sodass das Gefälle auf der seeabgewandten Seite immer steiler und damit die Abflussgeschwindigkeit im Kanal immer höher wird. Vor dem Durchbruch des neuen Kanals durch die ehemalige Abflussschwelle gliche er tatsächlich einem „dröhnenden“ „Sturzbach“.

  • uridg. *h2eg- : „treiben“; spätidg. *agro- ; *Ag(a)ra (Hier sei auf Bichlmeier 2012, S. 22, und Fußnote 56 verwiesen, wobei er einen theoretischen Ableitungsmechanismus sieht, falls es vor allem hydronymische Parallelfälle gibt: diesen könnte es mit dem Namen des Abflusses des Attersees „Ager“ geben.)
  • Bichlmeier (2020) kritisiert Greule, der „… ein ursprünglich idg. Gewässer- und Benennungssystem (sieht), indem der Mondsee zunächst *Adra geheißen habe und zwar mit indogermanisch *ped- „treten, fallen, sinken“ mit r-Erweiterung im Verbaladjektiv *pedro-s „fallend, sinkend“ als kelt. *adros.“

Anm. 1: Attersee und Mondsee waren zu Kanal-Pfahlbauzeiten recht wahrscheinlich ein integriertes Gewässersystem, weil das direkte Einzugsgebiet des Mondsees mit 247 km2 größer als das direkte des Attersees (217 km2; gesamt mit Mondsee 464 km2) ist, und eine hydrologische Beherrschung des Attersees unter Einbeziehung des Mondsees einfacher möglich war. Eine Vorabsenkung des Mondsees vor starken Zuflüssen und eine anschließend vorübergehende Wasserrückhaltung verhinderten am Attersee übermäßige Seeanstiege.

  • idg. *sh2i-lo „tobend, wütend“ führt Greule in seinem Gewässernamenbuch (Sp. 499 f.) für den Namen der Sihl, die in die Limmat mündet, an.

Anm. 2: Es sei hier auch darauf hingewiesen, dass es recht überraschend ist, dass der zur Zürcher Sihl vergleichbare Fluss, der durch den Neuenburger- und den Bielersee fließt, mit „Zihl“ frappierend ähnlich benannt ist. Auch dass die Zihl trotz Durchfließens dieser zwei großen Seen ihren Namen nicht ändert weist in eine vergleichbare Richtung. Die Zihl wurde offenbar nicht nur beim Bielersee abgesenkt sondern vermutlich auch beim Abfluss aus dem Neuenburgersee.

Synergien mit Nachbardisziplinen der Pfahlbauforschung

Grundsätzlich sei hier darauf verwiesen, dass ein Zusammenwirken von Sprachwissenschaftern mit Pfahlbauwissenschaftern offenbar wechselseitige Synergien bringen kann. Welches Wissen ist in Namen von Gewässern gespeichert? Können Informationen der Pfahlbauforscher für die Sprachwissenschafter nützlich sein? Gleiche Synergiepotentiale gelten wohl für der Pfahlbauforschung benachbarte Disziplinen wie Geologie, Hydrologie, Klimatologie, experimentelle Archäologie, Archäo-Disziplinen usw.

Solche Nutzen-Vermutungen und Forderungen nach Einbeziehung von naturwissenschaftlichen Disziplinen ziehen sich wie ein roter Faden durch das dem Doyen der Schweizerischen Pfahlbauforschung Emil Vogt zu Ehren herausgegebene Buch „Schriften zum Neolithikum – Chronologie und Pfahlbaufrage“; siehe hierzu vor allem Seite 150 "Naturwissenschaftliche Probleme". In seinen hier vorgelegten bedeutsamsten 15 Aufsätzen belegt er die kulturelle Auftrennung der ehemaligen Cortaillodkultur in eine (ältere) Egolzwiler Kultur und die (jüngere) Cortaillodkultur. Er weist nach, dass es sich bei den Pfahlbauten von Wauwil (Egolzwil 3 und 4) um ebenerdige Siedlungen auf einer Strandplatte handelte. Er nimmt eine natürliche Absenkung des Seespiegels an, die zu einem wasserfreien Baugrund führte und stellte damit die „Wasser-Pfahlbauten“ Ferdinand Kellers (1800-1881) nach einem Jahrhundert frontal in Frage. Für einzelne Seen sieht er als mögliche Ursachen für Seespiegelschwankungen zum Beispiel eine "Aufhöhung und Stauung der Ausflüsse durch Schotter [sic !], Biberbauten usw."

Literaturverzeichnis